Christoph Braumann: Eine Reise auf den Glockner#
Christoph Braumann: Eine Reise auf den Glockner. Das Abenteuer der Besteigung im Jahr 1802. Verlag Anton Pustet Salzburg. 194 S., ill., € 25,-
"Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen", wusste der deutsche Dichter Matthias Claudius (1740-1815). Sein Zeitgenosse Joseph August Schultes (1773-1831) hat dies ausführlich getan. Der österreichische Mediziner und Naturwissenschaftler war unter den ersten Touristen, die eine Expedition auf den Großglockner wagten. 1802 begleitete er seine ehemaligen Schüler am Theresianum, die ungarischen Grafen Anton und Joseph Apponyi, drei ihrer Freunde und ihren Kammerdiener als Reisearzt. Die alpinistische Unternehmung der sieben Herren erfolgte nur zwei Jahre nach der Erstbesteigung des Berges, der damals als höchster der Donaumonarchie galt. Dessen Bezwingung hatte sich die Gruppe als Höhepunkt einer Tour durch Steiermark, Kärnten und Salzburg vorgenommen und im August - September erfolgreich abgeschlossen. Joseph August Schultes war reiseerfahren, etliche Exkursionen hatten ihn durch Österreich, die Schweiz und Deutschland geführt. Er verglich Wahr ist es: Wir haben keinen Genfer See, wir haben keinen Montblanc, … aber wir haben einen Glockner… wir haben Seen, die … alle Seen in der Schweiz gleichwiegen und übertreffen. 1804 veröffentlichte er das vierbändige Werk Reise auf den Glockner. Damit schuf der Universitätsprofessor einen der ersten alpinen Reiseführer, den auch selbst illustrierte. Die Rezensenten waren begeistert. Einer schloss mit dem Wunsch, Herr Schultes möchte die ganze bekannte Erde durchstreifen und uns in dieser Manier Beschreibungen von allen Ländern geliefert haben.
Heute sind seine Schilderungen von Land und Leuten, Natur und Wirtschaft eine wertvolle historische Quelle. Es ist dem Salzburger Raumplaner Christoph Braumann zu danken, dass sie jetzt, ausgewählt und umfassend kommentiert, vorliegen. Der Herausgeber, Sohn eines der bekanntesten Salzburger Schriftsteller, Franz Braumann, war Universitätsassistent und Referatsleiter beim Amt der Landesregierung. Im vorliegenden Buch macht er, ebenso wissenschaftlich umfassend wie angenehm lesbar, die Geschichte eines Abenteuers lebendig, die 220 Jahre zurückliegt. Europa befand sich damals in tiefgreifender Veränderung, im Spannungsfeld von "Zurück zur Natur" und Interesse an Industrie und Wissenschaft, zwischen Romantik und Aufklärung. Die Entdeckung des Alpinismus durch adelige und bürgerliche Bildungsreisende passte da ganz genau dazu.
Die abenteuerliche Expedition der sieben Herren führte zunächst von Wien über Neunkirchen und Reichenau an der Rax, Mariazell und Eisenerz. Durch das Gesäuse kamen sie nach Admont. Nach einigen Tagen erreichten die Teilnehmer, manche zu Fuß, manche mit dem Postwagen, Klagenfurt. Auf alle machte die Stadt einen überaus guten Eindruck. Hier trafen sie Fürsterzbischof Franz Xaver von Reiffenscheidt, der die erste Glockner-Expedition finanziert hatte, und einige seiner Begleiter, denen sie wertvolle Hinweise für ihre Unternehmung verdankten. Die Weiterreise erfolgte durch das Drau- und Mölltal bis Großkirchheim. Die goldenen Zeiten - im Mittelalter war die Gegend für ihren Goldbergbau berühmt - waren längst vorbei. Die traurigen Reste erwecken bald ein Gefühl des Mitleides in der Brust des Fremdlings. Eine staatliche Zinkhütte beschäftigte nur noch 80 Arbeiter. Die Reisenden besuchten sie mit Interesse, nachdem sie den Direktor in Klagenfurt getroffen hatten. In Döllach beeindruckte sie nicht nur die Industrieanlage, sondern mindestens ebenso die imposante Zirknitzgrotte, über die der Naturforscher schreibt: Nichts fehlt hier, um das Bild der Hölle zu vollenden, als Zerberus. Die nächste Station war Heiligenblut, von wo aus man den Glockner besteigen wollte. Joseph August Schultes war von seinem Anblick in der Abendsonne überwältigt.
Als Botaniker zählte Schultes zu den meist geachteten Europas. Im zweiten Band schildert er Fauna, Flora und Geologie in Heiligenblut und Umgebung, wo Bergbauern ihr entbehrungsreiches Leben fristeten. Die Unterkunft war - wie so oft - schlecht und teuer, Proviant nicht zu bekommen, und die Bergführer ließen auf sich warten. Schultes widmete der Gegend trotzdem hymnische Beschreibungen: Ich kenne kein Tal, das gleichen Reichtum ... auch dem am schnellsten zum Überdruss zu sättigenden Auge darböte. Bei aller Begeisterung mahnte der Reisearzt zur Vorsicht, da Marterln an abgestürzte Besucher erinnerten. In blumiger Sprache erzählte er vom Alltag der Bergbauern, lobte deren Kräfte und meinte, dass der Glaube an Hexen und Gespenster bei diesen Viertelhalbwilden stark ausgebildet wäre Am Sonntag, dem 5. September 1802 begann die dreitägige Exkursion zum Glocknergipfel. Außer den sieben Touristen nahmen fünf Bergführer, acht Gepäcksträger und eine Köchin teil. Beim Aufstieg wurden sie von einem Gewitter überrascht, fanden aber Unterstand in einer anlässlich der Erstbesteigung errichteten Hütte. Bei Fackelschein begann um 4 Uhr die außerordentliche Herausforderung des Gipfelanstiegs. Nachdem ein Steinschlag die Kletterer arg bedroht hatte, genossen sie den Sonnenaufgang auf mehr als 3000 m Seehöhe. Fast hätte der Sauerstoffmangel ein Opfer gefordert. Während der wieder genesene Joseph Graf Apponyi mit mutigen Begleitern den Gipfel des Großglockners erstieg, blieb Schultes beim Gipfelkreuz des Kleinglockners zurück. Er kannte die Gefahren des Abstiegs und wollte keine Zeit mehr versäumen. Jede Minute Weile hätte gefährlich werden können bei dem immer mehr sich verdichtenden Nebel. … und dann herzlicher Abschied von unserem Glockner genommen.
Im dritten Band berichtet Schultes von der Fußwanderung über die Tauern nach Rauris und Bad Gastein. Weiter ging die Reise, teilweise mit der Kutsche, nach St. Johann im Pongau, Bischofshofen, über den Pass Lueg nach Golling. Von hier wanderte die Gruppe nach Hallein und erreichte per Schiff Salzburg. Dieses bot ebenso ein touristisches Ziel wie das Salzbergwerk auf dem Dürrnberg. Im vierten Band schildert Schultes Exkursionen in das Berchtesgadener Land und zum Königssee. Während die anderen Teilnehmer noch in der fürsterzbischöflichen Residenzstadt blieben, trat er durch das Salzkammergut die Heimreise an.
Christoph Braumann, der die Originaltexte behutsam der modernen Rechtschreibung angepasst hat, gelingt es hervorragend, historische Erläuterungen und fachliche Kommentare, Fakten über Persönlichkeiten und Ereignisse zu verbinden. Grafische Darstellungen der Reiseroute und zahlreiche zeitgenössische Abbildungen bereichern sein Buch. Abschließend geht der Herausgeber auf die Biographie des Naturwissenschaftlers der Aufklärung ein, dessen persönliches Leben von den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen der napoleonischen Zeit geprägt und überschattet wurde.