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Peter Csendes, Ferdinand Opll: Wien im Mittelalter#

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Peter Csendes, Ferdinand Opll: Wien im Mittelalter. Zeitzeugnisse und Analysen. Böhlau Verlag Wien - Köln. 440 S., ill. € 47.-

Salopp gesagt, ist ein Buch so gut wie seine Autoren. Beim vorliegenden Werk bürgen Peter Csendes, langjähriger Archivar im Wiener Stadt- und Landesarchiv, und Ferdinand Opll, dessen ehemaliger Direktor, für Qualität. Beide Universitätsprofessoren sind ausgewiesene Experten der Wiener Stadtgeschichte und Verfasser zahlreicher Publikationen über Wien. In der jüngsten widmen sie sich ihrem Spezialgebiet, dem Mittelalter.

Der moderne Mensch verbindet mit dem Mittelalter höchst unterschiedliche Vorstellungen, wobei Zuschreibungen wie "finster", "dunkel", "gewaltbereit", "brutal, "schmutzig" … in den Vordergrind treten. Viele dieser Assoziationen sind ja auch gar nicht falsch, schreibt das Autorenduo. Für die Historiker ist der wissenschaftlich-seriöse Zugang maßgeblich. Ihr mehr als 400-seitiges Werk ist ebenso angenehm zu lesen, wie es auf der Höhe der Forschung steht. Allein Literatur, Register und Anmerkungen machen an die 50 Seiten aus. Sehr aufschlussreich sind auch die Illustrationen, wobei Ausschnitte aus der Rundansicht von Niclas Meldeman von 1529/30 eine Art "roten Faden" bilden.

Es war das Ziel der Autoren, eine "um Erklärungen bemühte Veröffentlichung" vorzulegen. Dafür entwickelten sie ein innovatives Konzept, das eine chronologische Darstellung mit Erläuterungen, Erkenntnissen und Analysen verbindet. So bringen sie die zeitgenössischen Quellen zum Sprechen und zeichnen ein lebendiges Bild vom mittelalterlichen Wien. Die ältesten Nennungen von "Uuenia" (abgeleitet von der Bezeichnung des Wienflusses) aus der Zeit zwischen 800 und 1100 stehen im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen. Den Endpunkt der Darstellung bildet die Erste osmanische Belagerung 1529. Nach den Zerstörungen und dem schwierigen Wiederaufbau begann eine neue Epoche. Im Jahr 1533 verlegt König Ferdinand das ständige Hoflager nach Wien, wodurch der Charakter der Residenzstadt in allen seinen auch sozialen Auswirkungen übermächtig wird.

Der faktenreiche Chronikteil nimmt rund die Hälfte des Bandes ein. Der zweite Teil widmet sich speziellen Themenfeldern. Dazwischen wird auf die "Grundlagen unseres Wissens" eingegangen. Diese reichen von traditionellen schriftlichen und bildlichen Überlieferungen bis zur Internet-Recherche. Letztere bleibt insbesondere für den historisch nicht umfassenden Vorgebildeten keinesfalls frei von Gefahren. … wobei in jedem Fall eine Vorgangsweise mit "Check - Re-Check - Double Check" anzuempfehlen ist. Als verlässliche Alternative zu Wikipedia bietet sich das "Wien Geschichte Wiki" WGW an, das auf dem sechsbändigen Historischen Lexikon Wien (Czeike 1992-2004) beruht und ständig erweitert wird. Bei seiner Freischaltung 2014 galt das WGW als größte semantische Stadtgeschichte der Welt.

Die erste Analyse widmet sich dem Stadtraum: Werden und Ausbau Wiens, kirchliche und profane Bauten in der Stadt und in den Vorstädten, räumliche Kommunikation und Grenzen. Unter dem Titel Von Werkleuten, Schaffern und Schulmeistern geht es dann um die technische und soziale Infrastruktur der - lange Zeit aus Holzhäusern bestehenden - Stadt. Um 1200 baute man die große Ringmauer, die bis ins 16. Jahrhundert die Stadt schützte. Wasserversorgung und Kanalisation waren Problembereiche, da die Anlagen aus römischer Zeit verfallen waren. Die Pflege armer und kranker Menschen galt als religiöse Pflicht. Daher übernahmen zunächst geistliche Orden diese Aufgabe, Mitte des 13. Jahrhunderts kam das von der Stadt betriebene Bürgerspital vor dem Kärntner Tor dazu. Patienten mit ansteckenden Krankheiten fanden Unterkunft in Siechenhäusern, die in einiger Entfernung von der Stadt an den Ausfallstraßen lagen: "Zum Klagbaum" in der Wiedner Hauptstraße, St. Lazarus (später St. Marx) auf der Landstraße und St. Johannes auf dem Alsergrund. Die Anfänge schulischer Bildung reichen in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurück, doch waren ärmere Schichten und Frauen davon ausgeschlossen.

Über Stadt und Stadtherr berichtet das nächste Kapitel. Geht man zurück zu den Anfängen, so muss man sich Wien als Burgplatz vorstellen, der von ritterlichen Gefolgsleuten des Markgrafen bewohnt wurde, die im Schutz der römischen Mauern mit ihrem Gesinde auf großen Höfen saßen. Herzog Heinrich Jasomirgott (1107-1177) wählte Wien zu seinem Hauptsitz. Durch sein Zutun entwickelten sich die Stadt und ihre Bürgerschaft. Wie in anderen Teilen des Reiches lebte man ohne geschriebenes Recht. Erst 1221 entstand das erste Stadtrechtsprivilegium. Es war ein Vertrag zwischen dem Stadtherrn, Herzog Leopold VI., und der Bürgergemeinde. Der Abschnitt Alle die Rechte und die guten Gewohnheiten informiert über die rechtlichen Grundlagen der mittelalterlichen Stadt und ihre Verwaltung. Dazu zählten neben den Stadtrechtsprivilegien die Rechtsgewohnheiten und Gesetzesmaßnahmen, politische Gremien und Selbstverwaltung, die städtische Verwaltung und die Gerichtsbarkeit.

Im folgenden Kapitel geht es um die Wienerinnen und Wiener. In der "ungeheuer dynamischen Zeit" um 1200 entstand eine Stadtbevölkerung, die sich durch Beruf und Lebensumstände von der agrarischen Gesellschaft des Umlandes abhob. Unter diesen Stadtbewohnern bildeten die Bürger den kleineren Teil, jedoch den politischen Kern.. Im 15. Jahrhundert gab es schätzungsweise 2.000 bürgerliche Haushalte, in denen 10.000 Männer und Frauen lebten. Der größere Teil der Stadtbevölkerung - "die anderen Wienerinnen und Wiener" - gehörten nicht dem Bürgerstand an. Die soziale Spitze wie Adel und Geistlichkeit, Hofangehörige und Mitglieder der Universität, aber auch die Juden … waren nicht dem Stadtrecht unterworfen. Für ausländische Kaufleute, "Gäste", galten eigene Gesetze. Die Masse bildeten jedoch die Taglöhner Knechte und Mägde, die Armen und die Fahrenden, die in den Stadtrechtsprivilegien als die "wenig Ehrbaren" … erscheinen.

Die Stadtwirtschaft folgte nicht der heute gängigen Gliederung in die Sektoren Urproduktion, Industrie/Gewerbe und Dienstleistungen, sondern Landwirtschaft, insbesondere Weinbau, (Groß-)handel sowie Handwerk inklusive Gewerbe und Dienstleistungen. Der Weinbau spielte eine wichtige Rolle. Die Kaufleute erhielten 1221 mit dem Stapel- und Niederlagsrecht, einen unbezahlbaren Startvorteil für jegliche Handelsaktivität. Etliche Wiener Kaufleute zählten zu den besonders wohlhabenden Schichten der Bevölkerung, erfreuten sich besonderer Förderung von Seiten des Landesfürsten. Sie versahen hohe und höchste Ämter in der städtischen Verwaltung und Politik. Die dritte Säule des Wirtschaftslebens waren die Handwerker, welche die Deckung des lokalen Bedarfs sicherten. Auch sie konnten es zu beachtlichem Wohlstand bringen.

Das abschließende Kapitel haben die Autoren mit Stadtleben übertitelt. Dabei distanzieren sie sich vom strapazierten Begriff "Alltag" und stellen das "Leben" in den Mittelpunkt: (1) Leben mit und in der Zeit, (2) Lebensraum, (3) Lebensbedingungen (4) Festleben. Dieses umfasste kirchliche und profane Feste, mit fließenden Übergängen. Die in Wien lebende Bevölkerung war ausgesprochen vielschichtig … Ihr wohnte auch eine Lust und ein Bestreben inne, sich das Leben schön zu machen, schönen Elementen des Lebens den Raum zu geben, der sie aus nur allzu großer Mühsal tagtäglichen Lebens herauszuholen imstande war.

Nicht zufällig erscheint das neue Standardwerk zu einem historischen Jubiläum: Vor genau 800 Jahren am 12. Oktober 1221, wurde das erste überlieferte Stadtrechtsprivileg ausgestellt.

hmw