Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Rolf-Bernhard Essig: Phönix aus der Asche: Redensarten, die Europa verbinden#

Bild 'Essig'

Rolf-Bernhard Essig: Phönix aus der Asche: Redensarten, die Europa verbinden. Dudenverlag Berlin. 144 S., ill. € 10,-

2014 hatten die Österreicher Grund zur Freude, als Tom Neuwirth alias Conchita Wurst mit "Rise like a Phoenix" den Eurovision Song Contest für sich entschied. Der Siegersong, für den der sagenumwobene Vogel Pate stand, wird nun auch in einem Buch des deutschen Dudenverlags gewürdigt. Der Germanist und Publizist Rolf-Bernhard Essig hat Phönix aus der Asche als Titel für sein jüngstes Werk gewählt. Über die glamouröse Ballade schreibt er: Der Erfolg fußte auf dem guten Song, der außergewöhnlich gekonnten Darbietung und dem Plädoyer für Toleranz, als das er verstanden wurde. Dass " Phönix aus der Asche" als Redensart europaweit gebräuchlich ist, half aber sicher ebenfalls. Im Vorwort verweist der Autor auf den altägyptischen Totengott-Vogel Benu, der sich alle 500 Jahre durch Verbrennen und Wiedererstehen seiner Asche verjüngte. Ähnliches berichteten der Grieche Herodot und der Römer Plinius d. Ä. von einem Vogel namens Phönix. Im Christentum ließ sich der Mythos als Symbol der Auferstehung deuten. So ist der Feuerreiher ein prominentes Beispiel für die rund 200 länderübegreifenden Redensarten und Sprichwörter, die Rolf-Bernhard Essig in diesem hochinteressanten Taschenbuch vorstellt.

Der Autor, der für bekannte deutsche Medien schreibt, ist auch Entertainer. Er versteht es, Vergnügliches mit solider Information zu verknüpfen und geht dabei systematisch vor: Die Artikel bieten immer zuerst die deutsche Form der sprichwörtlichen Redensart, dann die Bedeutung und den Hintergrund, um abschließend in einer alphabetischen Liste die Sprachen zu nennen, in denen sie vorkommen. 69 Sprachen Europas vergleichen etwas absolut Unterschiedliches mit "Tag und Nacht", 68 verwenden für Unversöhnliche die Analogie "wie Hund und Katz". In 64 Sprachen existiert die Redensart "mit dem Feuer spielen" und in 62 "rauft man sich die Haare".

Vieles machte der Humanist Erasmus von Rotterdam populär. Mit seiner Sammlung Adagia ("Sprichwörter") schrieb er 1503 einen Bestseller mit 818 Beispielen in lateinischer Sprache. Die erweiterte zweite Auflage (1508) umfasste 3260 sprichwörtliche Redensarten, die dritte (1533) bereits 4251. Darunter ist das geflügelte Wort "Eulen nach Athen tragen" ("etwas Überflüssiges, Sinnloses tun oder sagen"). Es geht auf den antiken Autor Aristophanes zurück. Die Stadtpatronin Athene wurde mit Steinkäuzen (Athene noctua) dargestellt, die auf dem Akropolis-Felsen lebten, Münzen trugen ihre Bilder. Engländer meinen, man solle nicht Kohlen nach Newcastle tragen, Spanier wollen kein Wasser zum Meer bringen, ebenso wie Ungarn keines in die Donau oder Slowenen in die Save. Bei den Esten heißt es "Bäume in den Wald bringen" und in Friesland "Torf zum Moor".

Antike Mythen leben im Computerzeitalter weiter, wenn von "Trojanern" als zerstörerische Schadsoftware die Rede ist. Eine Anspielung auf Homers Epos, wonach sich Odysseus mit seinen Kriegern in einem riesigen hölzernen Pferd verbarg, das sie den Bewohnern von Troja zum Geschenk machten. Durch diese List konnten die Griechen in die Stadt eindringen und sie zerstören.

Die Bibel ist eine unerschöpfliche Quelle für Redewendungen. In der Weisheitsliteratur des Alten Testaments gibt es ein eigenes "Buch der Sprichwörter". Aus dem Neuen Testament sind vor allem Jesusworte in die Alltagssprache eingegangen Rolf-Bernhard Essig erinnert daran, dass es gerade auf dem Land üblich war, von morgens bis abends sprichwörtliche Redensarten im Mund zu führen, darunter sehr viele christliche und biblische, um einander zu trösten, um Begebenheiten zu kommentieren oder einzuordnen, um Rat und Tat zu begleiten, zu motivieren und sogar, um zu erheitern. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war das eine weitverbreitete Praxis.

Ebenso flossen Weisheiten und Irrtümer der antiken Wissenschaften in die Umgangssprache ein, wie etwa die "Krokodilstränen", wenn jemand Mitleid oder Trauer vortäuscht. Auch das antike Recht hat seine Spuren hinterlassen, wenn von "Drakonischen Maßnahmen" oder einem "Scherbengericht" die Rede ist. In allen Kulturen waren und sind Fabeln beliebt, in denen sich Tiere wie Menschen verhalten. Man kann mit ihnen so angenehm indirekt Wahrheiten sagen. Meist enden sie mit einer kurzen Moral. Ähnliches gilt für Märchen - "Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul" - und die Literatur. Besonders William Shakespeares Werke sind im internationalen Sprachschatz häufig vertreten. Miguel de Cervantes, der Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen lässt, oder Molieres "Eingebildeter Kranker" fallen in dieses Kapitel.

Im nächsten geht es um historische Begebenheiten und Anekdoten, vom Pyrrhussieg (28 v. Chr.) bis zum "Fliegerass" im Ersten Weltkrieg. Theater und Film spielen im wahrsten Sinn des Wortes eine "große Rolle". Dies deshalb, weil man im 16. Jahrhundert nicht jedem Schauspieler ein Textbuch gab, sondern nur den ihn betreffenden Auszug. Da man diese auf Papierrollen schrieb, war eine große Rolle eben eine wichtige. Hingegen fällt der Ausdruck "Den Nagel auf den Kopf treffen" ("etwas prägnant formulieren") in die Kategorie "Sport und Spiel". Er leitet sich von mittelalterlichen Schützenfesten und Schießwettbewerben ab. Die Beispiele schließen mit der "Fülle des Unverständlichen". Alle finden die eigene Sprache schön, gut, wahr, andere Sprachen wirken lächerlich und unverständlich. Sinnbild für das vollkommen Fremde ist dabei oft "chinesisch" mit seinen exotisch wirkenden Schriftzeichen ("Fachchinesisch"). Im Nachwort empfiehlt der Autor, sich - wie er - mit den Spruchweisheiten der verschiedenen Länder zu befassen. Die Geschichten hinter unseren Redensarten haben meinen Blick auf Europa erweitert. Ich erkenne sie als Teile eines soliden Fundaments, von dem das gemeinsame Haus Europa ohne Frage mächtig profitiert.

hmw