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Markus Friedrich: Die Jesuiten#

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Markus Friedrich: Die Jesuiten. Von Ignatius von Loyola bis zur Gegenwart. Verlag C.H. Beck München, 128 S., ill., € 9,95

2021 zählt die Gesellschaft Jesu 14. 831 Mitglieder, 1965 waren es 36.038, 50 Jahre davor rund 27.000. Der Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola (1491-1556), versammelte zehn Gleichgesinnte um sich, bei seinem Tod waren es rund 1.000, Ende des 16. Jahrhunderts 8.519. Um 1750 gab es 22.589 Patres. Papst Clemens XIV. verfügte 1773 die Aufhebung des Ordens, die mehr als vier Jahrzehnte - bis 1814 - dauerte. Die ersten Gegner waren Politiker in Portugal (1759), 1762 folgte Frankreich, fünf Jahre später Spanien. Ausschlaggebend war jedoch die Zustimmung Maria Theresias: … erließ der Papst am 21. Juli 1773 schließlich das Breve Dominus ac redemptor. Es … bedeutete jeweils das Ende der einzelnen Niederlassungen, schreibt Markus Friedrich. Er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Ausgezeichnete lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg.

Mit Bezeichnungen wie "objektiv" oder "wertfreie Wissenschaft" muss man vorsichtig sein. Bei diesem Buch erscheinen sie aber gerechtfertigt. Eine ausgewogene Darstellung zu erreichen, ist umso schwieriger bei einer Gemeinschaft, die humanistische Weltoffenheit mit strengstem Gehorsam verbindet. Markus Friedrich ist es gelungen, kompakt und kompetent die wechselvolle Geschichte der Jesuiten von ihrer Gründung im 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart zu beschreiben. Besonderes Augenmerk gilt dabei ihren Leistungen in Wissenschaft, Kultur, Mission und Politik. . In der Einleitung betont der Autor, das neue Buch über den Jesuitenorden behandelt seine Leistungen genau so wie die Schwächen, über die die Ordensmänner mehr als einmal gestolpert sind. Glanz und Elend liegen in dieser Geschichte oft sehr nahe beieinander, und es wäre unredlich, den Orden entweder unkritisch zu verklären oder pauschal zu verteufeln. Gerade das freilich passiert nach wie vor vor.

Die Jesuiten kamen nicht aus dem Nichts. …Sie standen und stehen auf den Schultern ihrer Vorgänger." Das erste Kapitel erläutert die Entwicklung "Von den Wüstenvätern zur Gesellschaft Jesu: Die Jesuiten, die Tradition und die Moderne. Den frühmittelalterlichen benediktinischen Lebensformen folgten die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner, die bestrebt waren, in den Städten das Ideal der radikalen Armut zu verwirklichen. Die Jesuiten als Regularkleriker repräsentierten im 16. Jahrhundert eine dritte Entwicklungsstufe. Sie lebten unter einer gemeinsamen Regel, verzichteten aber auf Ordenstracht und Chorgebet.

Das zweite Kapitel schildert die Entwicklung bis ca. 1580. Ein neuer Orden etabliert sich: Ignatius von Loyola und die erste Generation. Der baskische Adelige Inigo López de Onaz y Loyola hatte schon ein dramatisches Leben hinter sich, als er die zehn "ersten Gefährten" um sich sammelte. In seiner Autobiographie erzählt er von Kriegsverwundung, mystischen Erfahrungen und Askese. Im Zuge der spirituellen Neuorientierung entstand das Exerzitien-Buch "Geistliche Übungen", das die Frömmigkeitspraxis der Jesuiten prägte. Ebenso strukturiert und detailliert waren die "Konstitutionen" die er ihnen gab. Experimentieren prägte die ersten Jahre, wobei der junge Orden die Bedeutung der Ausbildung erkannte und sich in der Übersee-Mission etablierte

Das dritte Kapitel Vom Charisma zur Institutionalisierung: Die Jahrzehnte um 1600 unter General Acquaviva konzentriert sich auf das Schulwesen, die interne Organisation und die Spiritualität der Weltzugewandtheit. Dabei erwies sich die Rolle der Hofbeichtväter als gefährlich. So stand etwa Pater Wilhelm Lamormaini in Wien "im Ruf Politik gemacht zu haben". Als kaiserlicher Beichtvater übte er zur Zeit der Gegenreformation großen Einfluss aus. Er wirkte als Rektor des Grazer und des Wiener Jesuitenkollegs und betrieb den Bau des Hernalser Kalvarienbergs, um die Wiener mit Mitteln der "Volksfrömmigkeit" wieder katholisch zu machen.

Zwischen 1600 und 1720 (4. Kapitel) stand der Orden "Auf der Höhe der Zeit: Führungsrolle in Wissenschaft, Kultur und Mission ". China, Indien, Paraguay und Kanada galten als Musterbeispiele. In Europa wurden die Rekatholisierung der Protestanten und die Bekehrung der Nichtchristen ebenso vehement betrieben wie die "Volksmission" der Katholiken. Medien und Künste standen im Dienst der Seelsorge. Zehntausende Theaterstücke entstanden, Musik wurde immer wichtiger. Auch in Wien begeisterten multimediale Spektakel die Zuschauer. Der bekannte Bühnenbildner und Illusionsmaler Andrea Pozzo gestaltete die Jesuitenkirche. Alle Bemühungen zielten ganz klar im Sinne eines synästhetischen Gesamteindrucks auf die sinnliche Überwältigung der Gläubigen ab.

Da die gegenreformatorischen Bestrebungen nach allen Regeln der Kunst zielgruppenorientiert - von den Bildungseliten bis zur sogenannten Volksfrömmigkeit -zum gewünschten Erfolg führten, konnte die Kritik nicht ausbleiben. Ihr widmet sich das fünfte Kapitel Entfremdung vom Zeitgeist: Kritiker, Gegner, Alternativen (1650–1750). Darauf folgte der Pendelschwung: Ins Abseits der Geschichte und zurück (1750–1830) Das sechste Kapitel behandelt die eingangs erwähnten Verbote und die Wiederzulassung 1814.

Die neue Schlagkraft beschreibt das siebente Kapitel Aufbruch: General Roothaan und die Neuausrichtung nach 1830. Die Betonung von Exerzitien, Mission und Bildungstätigkeit sollten dem Orden wieder Profil, Tiefe und klare Ziele geben. Doch Von Mystik, Freude oder einem inneren Aufstieg zu Gott war kaum die Rede. Trotz aller Anstrengungen blieb der Orden "nur ein Schatten seines früheren Selbst." Mit 5.209 Mitgliedern erreichte die Gesellschaft Jesu nur knapp ein Viertel der Stärke vor ihrer Aufhebung. Immer mehr Regierungen gingen auf Distanz zur Kirche. Die Jesuiten bekamen die offene Feindschaft als erste zu spüren. Der Orden fungierte dann als Projektionsfläche für politische, religiöse und kulturelle Ängste, Hoffnungen und Befürchtungen jeder Art, schreibt Markus Friedrich im achten Kapitel Kulturkampf: Ultramontaner Katholizismus und die Allianz mit dem Papsttum (1850–1915).

Der Orden überlebte, und er wuchs sogar - von 17.000 auf 27.000 Jesuiten, nachzulesen im neunten Kapitel Zweiter Sommer: General Ledóchowski und die Turbulenzen der Weltpolitik (1915–1960) Die Öffentlichkeitsarbeit expandierte. 1931 übernahmen die Jesuiten Radio Vatikan. Das ordensinterne Pressewesen erzeugte 1.112 Publikationsorgane. Vor allem Arbeiter sollten angesprochen werden. Die soziale Frage und Antikommunismus wurden zum "Dauerbrenner". Das abschließende zehnte Kapitel ist mit einem Fragezeichen versehen: Ein neuer Orden für eine neue Kirche? Vom Zweiten Vatikanum bis zu Papst Franziskus. Auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hatte der in Österreich lehrende Jesuit Karl Rahner starken Einfluss. Das Aggiornamento ("Anpassen der Kirche an die Gegenwart") bewirkte eine Neuausrichtung, die Laien wie Geistliche betraf. In der Gesellschaft Jesu setzte es "enorme Reformenergien" frei. Karl Rahner suchte Diskussionen mit dem Ostblock. 2013 wurde der Argentinier Jorge Mario Bergoglio in Rom zum Papst gewählt. Er ist der erste Jesuit in diesem Amt. Bergoglio nahm den Namen Franziskus an. Nach einem jahrhundertelangen Auf und Ab, so scheint es, hat die Gesellschaft Jesu damit endgültig die Verankerung im Zentrum des römischen Katholizismus erreicht.

Eine Zeittafel, Karten, Literaturhinweise und Personenregister ergänzen die fundierte Darstellung fast eines halben Jahrtausends Ordensgeschichte. Durch seine nüchterne Art grenzt sich das Buch von Polemik wie Apologetik erfreulich ab. Wer sich fundiert über den umstrittenen Orden informieren will, sollte es unbedingt lesen.

hmw