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Bernhard Hachleitner - Christian Mertens (Hg.): Wien wird Bundesland#

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Bernhard Hachleitner - Christian Mertens (Hg.): Wien wird Bundesland. Die Wiener Stadtverfassung 1920 und die Trennung von Niederösterreich. Residenz Verlag Salzburg. 200 S., ill., € 29,00

Der 10. November 1920 ist ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Stadt Wien, sagte der Verfassungs- und Verwaltungsjurist und Politiker Robert Danneberg. Als Gemeinderat und Nationalratsabgeordneter zählte er zu den Wegbereitern der Wiener Stadtverfassung. Diese und die Trennung von Wien und Niederösterreich vor 100 Jahren hatten weitreichende Folgen. In der 1918 entstandenen Republik (Deutsch-) Österreich lebte mehr als die Hälfte der Bevölkerung im Bundesland Niederösterreich, zu dem damals auch Wien gehörte.

Im Mai 1919 fanden die Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen sowie die Wahl des Niederösterreichischen Landtags statt. Vorangegangen war im März eine Reform der Wahlordnung. Sie ermöglichte prinzipiell allen Männern und Frauen, die das 20. Lebensjahr vollendet und in Wien ihren Wohnsitz hatten, das aktive Wahlrecht. Über den Ausgang schreibt die Historikerin Birgitta Bader-Zaar: Die große Siegerin der Wahl war die Sozialdemokratie. Für den Wiener Gemeinderat erhielt sie 54,2 Prozent der abgegebenen Stimmen. … Gegenüber der Vorkriegszeit waren die Christlichsozialen nun die großen Verlierer mit 27,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. … Auch im Niederösterreichischen Landtag erreichten die Sozialdemokraten erstmals eine Mehrheit. Wiener Bürgermeister wurde Jakob Reumann, Landeshauptmann von Niederösterreich Albert Sever, beide erstmals Sozialdemokraten.

Die veränderten politischen Verhältnisse nach den Wahlen 1919 beschleunigten die Tendenzen zur Verselbständigung Wiens. 1920 schuf die Bundesverfassung den rechtlichen Rahmen dafür, gleichzeitig gab sich Wien eine moderne Stadtverfassung. Nach der Klärung organisatorischer und vermögensrechtlicher Fragen wurde die vollständige Trennung von Wien und Niederösterreich(-Land) mit dem Jahreswechsel 1921/1922 vollzogen. Der Aufstieg des "Roten Wien" begann.

Im Mittelalter basierte Wiens Stadtverfassung auf überlieferten Rechten und Freiheiten. Den rechtlichen Status des Stadtbürgers kennzeichnete dessen persönliche Freiheit, während Landbewohner Untertanen einer Grundherrschaft waren. "Stadtluft macht frei", hieß es. Seit Beginn der Neuzeit versuchten die Landesfürsten, die Rechte der Kommunen, adeligen und kirchlichen Herrschaftsträger einzuschränken. Ein Höhepunkt dieser Bestrebungen erfolgte durch Kaiser Joseph II., der 1783 das Städtewesen neu organisierte. An die Stelle von Stadtrat und -Richter trat der "Magistrat der kaiserlichen Residenzstadt Wien" unter einem Bürgermeister und zwei Vizebürgermeistern. Dabei ging es dem Monarchen nicht nur um Macht, sondern vor allem um überfällige Reformen.

Die kommunalrechtliche Stellung Wiens im 19. Jahrhundert ergab sich aus ihren beiden "Statuten", ihrer eigenen Verfassung. Damit eng verknüpft war die Eingemeindung der Vororte. 1850 waren die zwischen Stadtmauer und Linienwall gelegenen 34 Vorstädte eingemeindet worden. Die außerhalb gelegenen Vororte waren vorerst nicht Teil der Kommune Wien, sondern Niederösterreichs. Als großer Streitpunkt erwies sich die Verzehrungssteuer, ein Binnenzoll auf Lebensmittel. Am Linienwall eingehoben, verteuerte er die Lebenshaltungskosten in der Stadt und verschaffte den Vororten Standortvorteile. Diese sträubten sich vier Jahrzehnte gegen die Einbeziehung in die Stadt. Dann erkannten sie, dass sie ihre wachsenden Aufgaben nicht mehr allein bewältigen konnten und stimmten zu. 1892 trat die Eingemeindung in Kraft. Die Bevölkerungszahl Wiens (1890) stieg sprunghaft auf 1,4 Millionen an.

Das reich illustrierte Buch „Wien wird Bundesland“ umfasst verfassungs- und kulturhistorische Aspekte des Trennungsprozesses von Wien und Niederösterreich vor einem Jahrhundert. Herausgeber sind die Historiker und Kuratoren Bernhard Hachleitner und Christian Mertens, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Wienbibliothek auch die Ausstellung gestaltete. Die Beiträge im Buch stammen von mehr als einem Dutzend HistorikerInnen, von denen viele in der Wienbibliothek tätig sind. Sie haben vorhandene Studien ergänzt und die Ereignisse in den kulturhistorischen Kontext gestellt. Die Ausstellung im Foyer der Wienbibliothek im Rathaus sollte bis April 2021 zu sehen sein. Dies ist zwar vorübergehend nicht möglich , doch das Buch bietet einen wertvollen Überblick über die "Scheidung" der beiden Bundesländer und ihre lange wirksamen Konsequenzen.

hmw