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Karin Hochegger: Baume lesen lernen#

Bild 'Hochegger'

Karin Hochegger: Baume lesen lernen, Naturkundliche Streifzüge im Jahreslauf. Verlag Anton Pustet Salzburg. 274 S., ill., € 25,-

Dieses Buch ist ein ganz besonderes. Das beginnt schon bei der Gestaltung des Umschlags. Er ist nicht nur interessant anzusehen, sondern auch haptisch erfahrbar. Streicht man über die abgebildete Baumrinde, spürt man förmlich das Original. Auch das Innere birgt manche Überraschungen. Eine gelungene Kombination aus eindrucksvollen Fotos, die meistens von der Autorin stammen, und ebenso kompetenten wie poetischen Texten, die zahlreiche Aspekte berücksichtigen. DI Dr. Karin Hochegger hat an der Universität für Bodenkultur Landwirtschaft studiert und über Baumgärten in Sri Lanka dissertiert. Sie lebt mit ihrer Familie, samt Pferd und Esel, in einem abgelegenen Forsthaus im Ausseerland, wo ihre Vorfahren Förster waren.. Beruflich ist Karin Hochegger Europaschutzgebietsbetreuerin des Landes Steiermark und Autorin von Gartenbüchern. So bringt sie Fachkenntnis, einen weiten Horizont, aktuelle Forschungsergebnisse und altes Erfahrungswissen, philosophisches und literarisches Interesse in ihr jüngstes Werk ein.

Der Untertitel "Naturkundliche Streifzüge im Jahreslauf" verrät, dass es darin um die permanente Inspiration durch Flora und Fauna geht. Die persönlichen Ausflüge in die Welt der Bäume, zu denen die Verfasserin ihre Leser einlädt, beginnen im Jänner: Eismond - Die Bäume stehen starr und still. … Der Hochwinter erhellt sie mit seinem Licht … Ein Leitmotiv durch die Jahreszeiten ist ihr Lieblingsbaum, eine mächtige, einsame Rosskastanie, die ein Förster im 19. Jahrhundert gepflanzt hat. Der Kastanienbaum strahlt trotz seiner Bewegungslosigkeit eine Dynamik aus, als wären die Winterstürme und die herrlichsten Sommertage gleichermaßen in seiner Form gespeichert. Das Kapitel über den Jänner, die Zeit der "Ruhe der Bäume" gibt Gelegenheit, Grundlegendes über sie zu erzählen, wie "Rinde, Borke, Bast" oder Flechten und Moose.

Rund 40 einheimische Baumarten werden vorgestellt, im Februar Tanne und Weide. Dazu erfährt man Wissenswertes über Holzbringung, Misteln, lebendiges Totholz und Bienen. Alles ist mit Bedacht und kenntnisreich kombiniert. Im "Taumond - es ist eine Wendezeit" kommen die Palmkätzchen - eine Bienenweide - zum Vorschein. Im März lernt man Erle, Ahorn, Hasel und Fichte kennen. Die Autorin verhehlt nicht, dass sie letztere nicht schätzt. An verschiedenen Stellen bemängelt die Natur- und Umweltschutzbeauftragte die Monokultur und kritisiert subtil die Gefahren, denen Bäume und Tiere ausgesetzt sind. Der April gibt Hoffnung: Der Kastanienbaum zeigt nicht mehr nur dunkles Geäst. Er schmückt sich mit hellgrünen Blättern und glänzenden Knospen. Die Veränderungen der Bäume werden nun unübersehbar, überall brechen neue Triebe und auch die ersten Blüten hervor. Der Saftstrom lässt die Bäume tropfen, die Blätter erwachen, die Knospen entfalten sich. Espe, Ulme, Esche, Kirsche werden beschrieben und der "Tag des Baumes" gewürdigt. Diesen hat ein amerikanischer Politiker schon 1872 erfunden. Beim ersten Arbor Day wurden in Nebraska eine Million Bäume gepflanzt. Seit 1951 begehen weltweit 40 Länder den Gedenktag.

Im Mai leuchten die hellen Blütenkerzen der Kastanie auch im Regen. Interessant, dass sich nicht nur ein Tee, der stärkend und beruhigend wirkt, daraus brauen lässt, sondern auch, dass Kastanienblüten mit Bienen kommunizieren. Ein gelbes Saftmal bedeutet, dass es Nektar zu holen gibt - die Blüte ist noch nicht befruchtet - rote Flecken dagegen ersparen den Bestäubern eine unnötige Suche, weil kein Nektar mehr produziert wird. Obstbäume bei alten Bauernhöfen, Hausbäume und Baumriesen in der Stadt sind weitere Themen im "Blumenmond". In Wien gedeihen rund eine Million Bäume, viele wurden in letzter Zeit gepflanzt, wobei widerstandsfähige Arten wie Zürgelbaum, Zelkove und Gingko nun die Ulme, Linde, Esche oder Platane ablösen. Im Juni, wenn alles dem Höhepunkt des Sommers zustrebt, geht es um Blättergrün, Gewitter, Regen, Wind, Sturm und die ersten Früchte. Die Bäume des Monats sind Winterlinde und Sommerlinde, die im "Brachmond" duftend blühen. Im Juli ist es die Rotbuche. Vor kurzem hat man das Alter eines Exemplars im Nationalpark Kalkalpen mit 546 Jahren bestimmt. Der Standort wurde - erstmals in Österreich - in die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes aufgenommen.

Im August sagen es die ersten gelben Blätter: Der Sommer nimmt Abschied. Er macht das mit freundlichen Farben und sanften Übergängen, damit uns das Herz nicht zu schwer wird, Angesichts der in diesem Kapitel behandelten Stichworte, könnte es einem schwer werden: Waldbrände, Klimakrise, Miniermotten, invasive Neophyten. Doch es gibt auch Erfreuliches zu beobachten, wie die ungebrochene Vitalität der Kletterpflanzen, Pilze und bunte Blätter. Auch im September gilt: Hecken und Waldränder schmücken sich mit Farben und Beeren. Die Ernte wird für alle Schnäbel und Mäuler zu einem Fest. Jetzt geht es um Birne, Apfel, Vogel-, Mehl- und Elsbeere, mit einem Wort: "Fülle rundherum". Im Oktober gilt das nicht mehr. Die Blätter nehmen ihren Abschied. Baum für Baum tauchen sie die Landschaft in die Farben des Sonnenuntergangs. Dazu zählt der "goldene Gingko" ebenso wie die Birke, deren Blätter jetzt gelb leuchten. Ihre Rinde war seit Jahrtausenden ein vielseitiger Werkstoff und wird als medizinisches und kosmetisches Mittel gerade wieder entdeckt.

Der November trägt seinen Namen "Nebelmond" zu Recht. "Die Nebel ziehen ein und halten die Täler gefangen in einer Welt ohne Leuchtkraft. … Unbeeindruckt davon bewahren sich Zirben und Latschen ihr dunkles Grün." Sie werden im vorletzten Kapitel vorgestellt, ebenso Föhre und Lärche. Um Allerheiligen ist die passende Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, "was wir dem Wald antun", aber auch über Verbundenheit, Zusammenleben oder Winterruhe zu meditieren. Aus allen Texten spricht die Liebe der Autorin zur Natur, ebenso wie die Sorge um sie. Zum Dezember schreibt sie: Der Schnee fällt leise vom Himmel … Mit sanfter Geduld taucht er das Land in friedliches Weiß. Jeder Ast erhält seinen Pinselstrich. Daheim kann man Barbarazweige zum Blühen bringen. Auch von anderen alten Bräuchen und Vorstellungen ist hier die Rede, von sprechenden Tieren, redenden Bäumen, magischen Eiben, Baumkulten und dem biblischen Paradies. Obst- und Waldgärten sind Paradiesgärten, wenn wir verstehen, was sie uns bieten können, und wenn wir wissen, wie sie zu nutzen sind. … Immer dort, wo Menschen das ökologische Verständnis entwickelt haben, mit Bäumen zusammenzuleben und sie nachhaltig zu nutzen, entstehen paradiesische Orte. Auch der Platz auf der großen Weide, wo ein Förster vor langer Zeit eine Kastanie gepflanzt hat, erzählt vom Miteinander von Mensch und Baum. Mit deren Besuch am Jahresende schließt die Autorin ihren Jahreskreis. Karin Hochegger ist überzeugt: Wir brauchen Bäume … weil sie eine ständige Quelle der Inspiration darstellen. Bäume sind unsere ältesten Freunde.

hmw