Martin Hochleitner: Die Sprache, die wir sprechen, wenn wir über Kunst sprechen#
Martin Hochleitner: Die Sprache, die wir sprechen, wenn wir über Kunst sprechen. Notizen, Bilder und Glossar. Mit einem Nachwort von Karl Müller. Verlag Anton Pustet Salzburg.
144 S., ill., € 19,-
Kunst und Sprache stehen zueinander in wechselseitigen Beziehungen und oft in Symbiose, beginnt Martin Hochleitner eine seiner 26 thesenartigen Notizen. Grafisch unkonventionell gestaltet, werden sie mit 25 Bildern von Kunstwerken begleitet. Das erste zeigt "die 100 wichtigsten Wörter des 20. Jahrhunderts". Norbert W. Hinterberger hat sie mit Klebebuchstaben an eine Wand der Landesgalerie Linz appliziert. Der Philosoph und Psychologe Hinterberger, der auch Professor für freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar war, beginnt seine Installation mit A wie Aids und beendet sie mit W wie Wolkenkratzer.
Notizen und Bilder machen den Hauptteil des Buches vom Sprechen über Kunst aus. Es bedarf eigener Worte, um die zeitgenössische Kunst zu erfassen schreibt der Autor, der die Landesgalerie Linz leitete und seit 2012 Direktor des Salzburg Museums ist. Als Professor für Kunstgeschichte und Kunsttheorie hielt er zahlreiche Vorlesungen über die Kunst seit 1980 und wurde dafür mit dem Staatspreis für exzellente Lehre ausgezeichnet.
Das Glossar mit 25 Einträgen macht das erhellende Buch zum Sprachführer der aktuellen Kunst. Seit Mitte der Nullerjahre wird viel und häufig adressiert. … Mit dem Wort wird eine gezielte Vorgehensweise zum Ausdruck gebracht. Etwas zu adressieren, vermittelt einen exakten, eindeutigen und systematischen Plan und lässt eine Formulierung prägnant und durchdacht erscheinen. Zeitgenössische Kunst und ihre kuratorische Präsentation gibt sich antirassistisch, divers, emanzipatorisch und inklusiv. Sie stellt den Anspruch der Wirkmächtigkeit. Dieses Wort ersetzte in den letzten 15 Jahren Ausdrücke wie Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit, Vermögen und Potenz und schafft schon durch seine bloße Verwendung eine wirkungsvolle Gegenwart der Aussage.
Martin Hochleitner skizziert Zusammenhänge, erklärt die Verwendung von Worten, verweist auf Einflüsse und verdeutlicht Anliegen und Absicht der Kunst-Sprache. Dazu gehört auch, dass bekannte Begriffe neue Bedeutungen erhalten. So meint Format nicht mehr nur die Maße eines Kunstwerks. Heute steht der Begriff viel öfter für Angebote und Veranstaltungen im Kunstbetrieb. Vor allem im Bereich der Kunstvermittlung werden Programme und Projekte fast ausnahmslos Formate genannt; zuletzt immer öfter auch Ausstellungen und Kataloge. Das Fachvokabel der Sprachwissenschaft Grammatik bezeichnet nicht mehr das Regelwerk einer Sprache, sondern eine systematische Struktur, die ein künstlerisches Werk inhaltlich, konzeptionell, stilistisch oder formal charakterisiert. Die Begriffe Praxis und Produktion haben seit den Nullerjahren sukzessive die Bezeichnungen Werk und Arbeit in der Kunst abgelöst. Beide Ausdrücke bringen eine komplexe Vorstellung von Kunst jenseits der Ausführung eines abgeschlossenen Kunstwerks zum Ausdruck. Das Verb verhandeln hat seinen Platz im Gerichtssaal längst verlassen. Im Kunstkontext beschreibt es einerseits das Konzept eines eingehenden, von Toleranz bestimmten Austauschs über ein Thema, andererseits eine intensive, oft multiperspektivische Behandlung einer Fragestellung.
Das Buch versteht sich als Vermittlungsangebot und Angebot für mehr Kunstverständnis. Dazu tragen wesentlich die Biographien der KünsterInnen, deren Arbeiten vorgestellt werden und das Nachwort des Germanisten Karl Müller bei. Ihm fiel auf, dass der Autor in seinen Kommentaren wiederholt auf Wörter/Begriffe hinweist, die Stereotype und scheinbar Festgeschriebenes infrage stellen, Machtstrategien, Ausgrenzung, Verdrängtes oder Marginalisierung thematisieren beziehungsweise gegen normative Setzungen und Konventionen eingesetzt werden. Martin Hochleitner sieht sein Projekt als Zeitschnitt, der gerade in Zukunft von unserem heutigen Sprechen über Kunst erzählen wird können. Denn so dynamisch wie die Zeit ist auch die Sprache, die wir sprechen und immer auch mit der Kunst einer Zeit verbinden.