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Georg Jäger: Auf der Alm und im Gamsgebirge#

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Georg Jäger: Auf der Alm und im Gamsgebirge. Vergessene Zeugen des Alpenraums, Band 3. Kral Verlag Berndorf. 456 S., ill. € 29,90

Zum Mythos Alpen zählt in erster Linie das lustige Leben der bildhübschen jodelnden Sennerin. Sprichwörtlich geworden ist in diesem Zusammenhang der Refrain des siebenstrophigen Gedichtes "Alpenunschuld" von Johann Nepomuk Vogl (1802-1866) "Auf der Alm, da gibt's kan Sünd'!". Der produktive österreichische Lyriker veröffentlichte es 1840 in der "Allgemeinen Theaterzeitung". Damit traf er das romantische Gefühl zur Zeit der touristischen Eroberung des Hochgebirges. Ein halbes Jahrhundert später schwärmte der deutsche Schriftsteller Karl May (1842-1913) von der schönen Sennerin Leni: Das Mädchen war arm, aber von der Natur mit dem größten Reichthum: Schönheit und Gesundheit begabt, welcher wohl manche reiche, hoch stehende Dame neidisch gemacht. Inzwischen weiß man, dass die Arbeit der Frauen auf der Hochweidestufe in Österreich, Bayern und der Schweiz hart und entbehrungsreich war.

Georg Jäger widmet ihnen, den Wilderern und Gämsjägern, ein umfangreiches Buch mit vielen Illustrationen. Es ist das dritte seiner Reihe „Vergessene Zeugen des Alpenraums“, von denen Band 1 der Arbeit der "Männern und Buben" und Band 2 der "Frauen und Mädchen" gewidmet war. Längst ist das vorindustrielle Zeitalter in den hoch gelegenen Regionen Tirols Geschichte. Daher ruft Georg Jäger die früher weit im "Land im Gebirge" verbreiteten Bevölkerungsgruppen mit wenig oder überhaupt keinem Grundbesitz in Erinnerung. "Bittere Armut war die auffälligste Begleiterscheinung des Alltagslebens in den kargen Tiroler Bergen und Tälern." Der Autor hat eine beachtliche Karriere gemacht: vom Kleinbauernsohn aus dem Sellraintal in den nördlichen Stubaier Alpen zum Universitätsdozenten und Bibliothekar an der Universität Innsbruck.

Für das voluminöse Werk hat Georg Jäger Reiseliteratur zitiert, kommentiert, mit historischen Fakten ergänzt, mit zügigen Zwischentiteln gegliedert und mit Illustrationen, vorwiegend aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, versehen. So entsteht das Bild einer nahezu versunkenen Lebenswelt, die von den Autoren unterschiedlich beschrieben wird. Die Chronisten erlebten schöne und "schiache" (hässliche) Sennerinnen, berichten aber auch von tragischen Unglücksfällen, weiblichen Wilderern und Schmugglern oder Almerinnen, die dem Tabak- und Alkoholkonsum nicht abgeneigt waren. Die männlichen Kollegen dazu waren im Gamsgebirge als kühne Gämswilderer unterwegs. Als so genannte Helden der kleinen Leute waren auch sie für die Journalisten von anno dazumal interessant, besonders wenn es sich um so originelle Persönlichkeiten wie den legendären "Wilderer-Pfarrer" Josef Prieth (1864-1960) handelte. Er wirkte 70 Jahre als Seelsorger in Schmirn und Mösern, pflegte seine verbotenen Jagdtouren vor der Frühmesse und wurde nie verurteilt.

Auf den Almen waren zwei- bis dreimal so viele Frauen wie Burschen tätig. Bauerntöchter gingen oft schon mit 16 Jahren auf die Alm und versahen ihren Dienst dort viele Sommer hindurch. Bei hoffremden Dienstboten wurden ältere, im Umgang mit dem Vieh erfahrene Frauen bevorzugt. Der Arbeitstag dauerte von 3 Uhr 30 bis nach 21 Uhr. Dazwischen galt es, Kühe zu melken, Schweine zu füttern, Butter zu rühren, Käse zu kneten, die Arbeitsgeräte zu reinigen und Gäste zu bewirten. Junge Burschen und Mädchen halfen dabei. Ihre gemeinsame Unterbringung in den Kammern war dem Klerus ein Dorn im Auge, ebenso die Tänze der ledigen Personen. Schon Mitte des 17. Jahrhunderts nahm die katholische Kirche daran Anstoß, Maria Theresias Keuschheitskommission konnte die Verhältnisse ebenso wenig ändern, wie kontrollierende Missionare. Ein untauglicher Versuch war es, die Pfarrer über die Besetzung der Almhütten entscheiden zu lassen. Wer als sittsam und verlässlich galt, vor allem ältere Mägde, erhielt ein gestempeltes Zeugnis, war eine "gewappelte Sennerin". Erst wirtschaftliche Umstellungen brachten eine gewisse Änderung. Vor der Einführung der Hartkäseproduktion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren tirolweit vor allem junge, ledige Frauen als Allround-Arbeitskräfte für die Milcherzeugung und -verarbeitung innerhalb der Almwirtschaft zuständig. Durch die Errichtung von Almsennereien übernahmen männliche Spezialisten, "Schweizer" genannt, die Herstellung von Hartkäse. Die Frauen wurden zu Kuhmägden auf kleineren Almen degradiert.

Die Armut im Alpenraum veranlasste Not leidende Sennerinnen und Bergbäuerinnen, wie Männer zu schmuggeln und zu wildern. An der Grenze von Tirol und Bayern wurden auf einsamen Stegen bei Nacht Tabak, leonische Silber- und Goldwaren "geschwärzt". Auch Tabak, Kaffee, Zuckerhüte und Saccharin waren begehrt. Frauen versteckten sie oft unter ihren weiten Röcken. Ein Finanzwacheinspektor entdeckte eine alte, die in der sackartigen Umhüllung ihrer angeblich geschwollenen Beine zehn Kilo Kaffee verbarg. Im Lauf der Zeit sollen es 1000 Kilo gewesen sein. Unter den Saccharinschmugglerinnen befand sich sogar eine Fabrikdirektors-Gattin. Andere füllten statt des geschätzten Süßstoffs Salz in die Schachteln. Sie konnten sicher sein, dass die betrogenen Abnehmer keine Anzeige erstatteten.

Überregionale Bekanntheit erlangte Elisabeth Lackner (1845-1921) durch ihr Wildern. Die Witwe, von deren neun Kindern sechs gestorben waren, hatte das illegale Waidwerk von ihrem Vater gelernt und versorgte damit ihre Familie. Man erzählte viele Geschichten über die, wegen ihrer schlanken Figur so genannte, "Floitenschlagstaude". Einmal schlug sie dem Jäger eine Wette vor: Wenn es ihr gelänge, vor seinen Augen unbemerkt eine Gams zum Fleischhauer zu bringen, sollte er sie in Ruhe lassen. Er erbot sich, ihren schweren Korb mit Käse ins Tal zu schleppen. Doch unter den Käselaiben lag der Gamsbock. Lackner wurde eher selten für den Wilddiebstahl bestraft, einmal aber zu sechs Monaten schweren Kerkers und einer Geldstrafe verurteilt.

Öfter als Frauen waren Bauernburschen Gämswilderer. Der Autor stellt einige dieser Persönlichkeiten vor und widmet einen Exkurs den Murmeltierjägern in den Ötztaler Alpen. Die scheuen, fetten "Bergmäuse" fanden schon in ersten Landeskunde Tirols, 1558, Erwähnung. Man erlegte sie, um "Hurmentenschmalz" zur Herstellung schmerzlindernder und entzündungshemmender Salben zu gewinnen. Geschichten von Wilderern und Sennerinnen sind Inhalt vieler Volkslieder und füllen Bände zeitgenössischer Journale. Allein der berühmt-berüchtigte Kaunertaler Gämswilderer Wiesenjaggl, der am Anfang des 16. Jahrhunderts lebte … hätte im Laufe seines Wildschützendaseins über 1300 Gämsen geschossen.

Gämsjäger waren als verwegene Gestaltem in schroffen Felswänden unterwegs. Ihnen hat Friedrich Schiller in seinem Drama "Wihelm Tell" Verse gewidmet. Doch der prominenteste Gämsjäger fehlt im Buch. Kaiser Franz Joseph erlegte als Fünfzehnjähriger seinen ersten Gamsbock, dem im Laufe der Zeit noch 2000 folgen sollten. Mit dem Aufkommen des Tourismus in den Alpen seit den 1780er Jahren fanden einige Gämsenschützen eine neue Verdienstmöglichkeit als Bergführer oder "Wegweiser". Als wagemutig und ortskundig bekannt, wusste niemand zielführende Wege besser als sie. Georg Jäger schreibt: Die frühen Alpinisten standen den Gämsjägern mit großem Respekt gegenüber. Einerseits waren die "Bergreisenden" vor allem von der Verlässlichkeit und Bedürfnislosigkeit ihrer Führer tief beeindruckt … Dazu kam noch die Leidenschaft, welche die Gamsjäger auf die Berge trieb … Hier gab es auffällige Parallelen zu den "Bergreisenden", denen eine ebenfalls unerklärliche Passion innewohnte, eine "Sucht", um jeden Preis die höchsten Bergspitzen zu besteigen.

hmw