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Paul Mahringer (Hg.): Albrecht Dürer in Wien ?#

Bild 'Dürer'

Paul Mahringer (Hg.): Albrecht Dürer in Wien ? Die Illusion eines Flügelaltars im Stephansdom. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege (ÖZKD) Heft 1/2 2021. Verlag Berger Horn - Wien. Herausgeber Bundesdenkmalamt. 181 S., ill., € 20,-

Denkmalschutz hat - bedauerlicherweise - kein gutes Image in der Öffentlichkeit. Anders als beim Naturschutz, der in Zeiten des Klimawandels als Gebot der Stunde erscheint, ist das Interesse an gebauter Umwelt gering. Ihre Pfleger gelten - zu Unrecht - als Verhinderer und haben meist eine negative Presse. Aber es gibt auch Ausnahmen. So berichteten die Zeitungen 2019 von einem Sensationsfund im Stephansdom. Untersuchungen beim Bischofstor (besser bekannt als Domshop) brachten ein Wandbild als Illusion eines Flügelaltars zum Vorschein. Seine Feinheiten und künstlerischen Qualitäten fanden die Experten "frappierend". Ein seit Jahrhunderten in Vergessenheit geratenes Wandbild aus dem Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit war wiederentdeckt, schreibt der Projektleiter Markus Santner.

Das Bundesdenkmalamt versammelte ein internationales und interdisziplinäres Forschungsteam. Gemeinsam mit der Dombauhütte veranstaltete es die Tagung "Dürerzeitliche Wandmalereien im Wiener Stephansdom". Zur Zeit Albrecht Dürers (1471-1528) bestanden zahlreiche künstlerische Verbindungen zwischen Wien und Nürnberg. Thomas Schauerte (Museen der Stadt Aschaffenburg) beleuchtet dieses Netzwerk in seinem Beitrag Nürnberger in Wien - Wiener in Nürnberg. Vieles spricht dafür, dass die Unterzeichnungen der Flügel von Dürer stammen könnten. Eine genaue Analyse stellt der Kunsthistoriker Erwin Pokorny von der Universität Innsbruck vor. Die "schöne Vorstellung", dass der große Meister selbst Wiener Boden betreten hätte müssen, um die "Zeichnung an der Wand" hinterlassen zu können sieht der Projektleiter dennoch skeptisch: Von einem solchen Aufenthalt in Wien gab und gibt es keinerlei Nachrichten.

Bei dem Kunstwerk handelt es sich um ein 2,70 mal 2,12 großes Wandbild. … Dieses ist wie ein Triptychon gegliedert mit zwei weiblichen Heiligen in den Flügeln und dem heiligen Babenberger-Markgrafen Leopold III. (1073-1136) in der Mitte. Überraschend war der qualitative Unterschied zwischen der zentralen Darstellung und den flankierenden Flügelbildern. Diese, die heiligen Frauen Katharina und Margareta darstellend, sind künstlerisch so ausgeführt, dass die Zuschreibung an Dürer nahe liegt. Der etwas jüngere zentrale Teil mit dem hl. Leopold lässt, so Erwin Pokorny, auf einen mittelmäßigen Maler schließen. Ursprünglich - und höchst ungewöhnlich - hatte der gemalte Altar einen plastischen Mittelteil, der thematisch nicht dazu passte. Er war das Epitaph des Wiener Bürgers Hans Rechwein von Honigstorff und seiner Gattin Margarethe, geborene Zoppf. Ein solches "Gesamtkunstwerk" aus Wandmalerei und Bildhauerarbeit war im frühen 16. Jahrhundert eine überaus seltene und höchst bemerkenswerte Komposition, stellt Bernd Euler-Rolle, Fachdirektor in Bundesdenkmalamt, fest. Hans Rechwein wurde 1492 in den niederen Adel (Ritterstand) erhoben, 1505 war er Hofrichter des Stiftes Heiligenkreuz für dessen Wiener Besitzungen. Damals dürfte er nach Wien gezogen sein, wo er dann das Bürgerrecht erwarb und 1512 im städtischen Gremium der "Genannten" aufscheint. Die letzte Nachricht über Hans Rechwein stammt aus dem Jahr 1513. Seine Witwe - erwähnt als "Rechwein Kramerin" überlebte ihn um 16 Jahre. Das Epitaph aus polychromiertem Kalksandstein entstand wohl 1511. Mit den Abmessungen 240 mal 110 mal 25 cm besteht es aus drei Zonen: Über einer Sockelzone mit der Darstellung des Stifters und seiner Gattin befindet sich das zentrale Andachtsbild mit der Madonna und den beiden Johannes. Den oberen Abschluss bildet eine Lünette mit einer Darstellung des Gekreuzigten, flankiert von Maria und Johannes. Inschriften, Wappen und heraldische Symbole ergänzen das Programm, schreibt der Kunsthistoriker Michael Rainer über das imaginäre "Retabel". Das Werk zählt zu den Humanisten-Epitaphien, wie sie im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts für Wien charakteristisch waren. In relativ knapper zeitlicher Abfolge hat man es durch die Darstellung des hl. Leopold ersetzt.

Die Stelle im Dom, an der sich das Kunstwerk befindet, ist eine sehr prominente. Das Bischofstor war ein Ort fürstlicher, privater und staatlicher Repräsentation. Das Portal an der Nordseite des Langhauses wurde von Herzog Rudolf dem Stifter (1339-1365) initiiert und im frühen 16. Jahrhundert mit einer polygonalen Vorhalle erweitert. Im heutigen Domshop befindet sich eine einst hoch verehrte Reliquie, der Kolomanistein, über den das Blut des ersten österreichischen Landespatrons, des hl. Koloman (+1012) geflossen sein soll. An der östlichen Abschlusswand des Vorbaues hat man eine Geheiminschrift Rudolf IV. angebracht, die auf sein Grab verweist, wie Archivar Franz Zehetner ausführt. Darüber, beginnend in einer Höhe von 2,80 m befindet sich das Wandbild (mit dem Epitaph). Vollends unverständlich ist, wie ein Ritter und Wiener Bürger sich unterstehen konnte, sein Grabdenkmal ausgerechnet an dieser Stelle errichten zu lassen, geben Renate Kohn und Christina Wais-Wolf zu bedenken. Denn das Bischofstor war ein klar landesfürstlich definierter Raum, der von Herzog Rudolf IV. als dynastisches Heiligtum konzipiert wurde.

Zur Auswechslung des Rechwein-Epitaphs durch das Leopold-Bild entstanden im Zuge der Tagung mehrere Theorien. Michael Rainer von der Akademie der bildenden Künste referiert: Benötigt wurde eine ephemere Festdekoration, die während der beiden großen, eng mit St. Stephan verbundenen habsburgischen Feierlichkeiten in den Jahren 1513 (Einweihung des Friedrichsgrabs) und/oder 1515 ("Wiener Doppelhochzeit", bei der Kaiser Maximilian anwesend war) die Wand oberhalb der Geheiminschrift Rudolf des Stifters in der Vorhalle des Bischofstores schmückte. … Seine Ikonographie zielt auf die genealogische Legitimation der Landesherrschaft der Habsburger. … In Wien schlief das Interesse an der Festdekoration in der Vorhalle des Bischofstores ein und es legte sich ein Schleier des Vergessens über die Malschicht, unter der Jahrhunderte später eine Unterzeichnung zum Vorschein kam. Es war 1857, als der damalige Dombaumeister Leopold Ernst das innere Bischofstor als einen der ersten Bauteile von Sankt Stephan renovierte - und zwar auf eine sehr grobe Art und Weise, was zu heftiger Kritik an der Vorgehensweise führte, wie Franz Zehetner weiß.

Seither haben Befundung und Restaurierung unglaubliche Fortschritte gemacht. Nicht- invasive Methoden führen zu völlig neuen Erkenntnissen. Annette T. Keller und Roland Lenz erläutern Reflexion, Absorption und Lumineszenz – Strahlendiagnostische Phänomene zu kompositionellen, maltechnischen und materialspezifischen Fragestellungen. Geert Verhoeven, Markus Santner und Immo Trinks konnten durch bildbasierte 3D-Modellierung Erkenntnisse zur Vorgehensweise der Künstler und deren Werktechnik gewinnen. Die präzisen wissenschaftlichen Analysen werden Fachleuten neue Wege eröffnen, und Laien zeigen, was mit modernen Methoden in der Denkmalpflege alles möglich ist. Dazu helfen die zahlreichen Illustrationen von Details im Textteil und in der Bildstrecke. Besonders fasziniert hier die Grafische Wiederherstellung der Gesamtansicht des Wandbildes mit der Einfügung des Epitaphs von Hans Reichwein sowie der farbigen Rekonstruktion des Wandbildes und des Epitaphs.

Im Triptychon von St. Stephan fließen Plastisches und Malerisches, Wienerisches und Nürnbergisches, Reales und Illusion zusammen, schreibt Michael Rainer. Bernd Euler-Rolle nennt das Forschungsprojekt eminent denkmalpflegerisch. Verschiedene Deutungsfacetten, wie sie die Publikation zusammenfasst, lassen das Werk mehrdimensional und reichhaltig erscheinen. "Albrecht Dürer in Wien ?" - das Fragezeichen bleibt, und es ist trotz aller Erkenntnisse nicht das einzige.

hmw