Reinhard Mandl: Rund um Wien #
Reinhard Mandl: Rund um Wien in 24 genussvollen Etappen. Geschichte - Landschaft - Kultur. Elsengold Verlag Berlin. 192 S., ill., € 27,20
1905 beschloss der Wiener Gemeinderat den Wald- und Wiesengürtel rund um die Stadt. Als einer der ersten Grüngürtel der Welt wurden fast 6.000 Hektar – vor allem im Wienerwald und im Süden Wiens – unter Schutz gestellt. Zum 100-Jahr-Jubiläum erfand die Stadt den "rundumadum"-Wanderweg entlang der Stadtgrenze. Er umfasst 120 Kilometer in 24 Etappen, die zwischen drei und zehn Kilometer lang sind.
Der Autor und Fotograf Reinhard Mandl nennt sie "genussvoll". Erst heuer ist sein Buch über den Jakobsweg Weinviertel erschienen, eine Region, die mit ihrer "genussvollen Gelassenheit" wirbt. Wieder sind es die Fotos, die faszinieren und ungewohnte Einblicke in die bekannte Stadt geben. Auch der Text ist wieder subjektiv abgefasst, doch lernt man diesmal nicht nur (geschlossene) Wirtshäuser kennen, sondern erfährt auch viel über Geschichte, Landschaft und Kultur. Das liegt wohl daran, dass die Bundeshauptstadt anderes zu bieten hat, als das flache Land.
Es beginnt mit der Aufbruchsstimmung zur 1. Etappe von Nussdorf auf den Cobenzl. Die Start- und Endpunkte aller 24 Teilstrecken sind so gewählt, dass man sie gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. In diesem Fall ist es die Endstation des D-Wagens in Nussdorf. Auf der Fahrt dorthin passiert man Ringstraßenpalais ebenso wie den Karl-Marx-Hof. Stehen schon diese Wohnbauten im Gegensatz, so wirken die Ortskerne von Nussdorf und Kahlenbergerdorf ländlich. Donau und Kahlengebirge bestimmen hier die Landschaft. Der Nasenweg führt auf den Leopoldsberg. Die Höhenstraße, die längste Gemeindestraße Wiens, erschließt auch den Kahlenberg. Der erste Eindruck des Autors ist dort "eine riesige kahle Fläche aus Pflastersteinen und Asphalt." Seine Aversion dagegen wird einem immer wieder begegnen. Meist erfreut er sich jedoch an der Natur mit ihrer Fauna und Flora.
Weiter geht es zum Cobenzl und dem "Häuserl am Roan". Hier informieren Tafeln, dass man sich im Biosphärenpark Wienerwald befindet, der 2005 von der UNESCO anerkannt wurde. Sieben Wiener Gemeindebezirke und 51 Niederösterreichische Gemeinden zählen dazu. Die Kernzonen sind als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen, zehn der 37 liegen im Wiener Stadtgebiet. Sie sind u. a. für den Vogelbestand von Bedeutung: Wien gilt als die Spechthauptstadt Europas, da hier alle in Europa vorkommenden Arten leben. Beim "Häuserl am Roan" schließt an die zweite die dritte Etappe an, die zur Marswiese führt. Dabei lernt man das ehemalige Hameau und den Schwarzenbergpark kennen, die Maria Theresias Feldmarschall Moritz Graf von Lacy anlegen ließ. Im Stil der Zeit stattete er seinen weitläufigen Landschaftsgarten mit Skulpturen aus, wie jene des "ruhenden Mars", der die Wiese ihren Namen verdankt.
Von der Marswiese führt die 4. Etappe bis zur Feuerwache Steinhof, vorbei an Schottenhof, Jubiläumswarte und Schloss Wilhelminenberg. Vom Steinhof, mit dem von Otto Wagner entworfenen Krankenhauspavillons und seiner berühmten Jugendstilkirche, kommt man zum Bahnhof Hütteldorf (5) und von diesem in den Lainzer Tiergarten mit Kaiserin Elisabeths Hermesvilla (6). In Etappe 7 verlässt man den 13. Bezirk, Hietzing, und wendet sich dem 23, Liesing, zu. Der Weg führt zur "Friedensstadt", zu Antonshöhe und Bildeiche, zum Freiluftplanetarium und zur Kirche am Georgenberg. Das unkonventionelle katholische Gotteshaus entstand 1975 nach einem Entwurf Fritz Wotrubas aus 152 Betonblöcken. Die Etappe endet in Kalksburg. Die Fortsetzung (8) erstreckt sich von der Breitenfurter Straße/Liesingbrücke nach Alterlaa. Die bis zu 27-stöckigen Wohntürme aus den 1970er Jahren und die Wolkenkratzer der Wienerberg-City bieten tausenden Bewohnern Raum.
Im Kontrast dazu stehen die folgenden, von der Natur dominierten Abschnitte des Wanderwegs: Wienerberg bis Laaer Wald (10), Laaer Wald bis Zentralfriedhof (11), Zentralfriedhof bis Neu Albern (12), Neu Albern bis Waldschule Lobau (13). Der 1874 eröffnete Zentralfriedhof ist (nach Hamburg-Ohlsdorf) der zweitgrößte Europas. Er fungiert nicht nur als letzte Ruhestätte, sondern wird auch von zahlreichen Tieren bewohnt. Seit 1987 wird aber kein Wild mehr gejagt. Das zweieinhalb Millionen Quadratmeter große Gebiet bietet sich zudem als Erholungs- und Freizeitareal an. Es gibt zwei markierte Laufstrecken und eine Konditorei. Das Krematorium wurde vor 100 Jahren auf dem Areal des Renaissanceschlosses Neugebäude angelegt. Nur mehr wenig erinnert an das Lustschloss, in dessen Garten im 16. Jahrhundert erstmals in Europa Tulpen und Flieder blühten. In einem Teil des einst exklusiven Terrassengarten befinden sich nun Mietgärten für "Ackerhelden", die ihr Biogemüse ziehen.
In der Lobau - Etappe 14: Waldschule Lobau bis Panozzalacke - , wird Transdanubien erreicht. Ausgangspunkt ist das Nationalparkhaus, ein Informationszentrum und Erlebnisraum. Der Nationalpark Donau-Auen, der 2021 seinen 25. Geburtstag feiert, beginnt im Südosten Wiens in der oberen Lobau … Wien ist die einzige europäische Metropole, auf deren Stadtgebiet Teile eines Nationalparks liegen. Er erstreckt sich auf 45 km Länge bis Bratislava. Auf dieser und den folgenden Etappen kommen Freunde der Natur voll auf ihre Rechung. - Panozzalacke bis Nationalparkcamp (15), Nationalparkcamp bis Esslinger Furt (16) , Esslinger Furt bis Himmelteich (17). An Stelle der einstigen Schottergrube und Mülldeponie hat die Gemeinde, unweit der Seestadt Aspern, ein Biotop angelegt. In dieser - Himmelteich bis Breitenleer Straße (18) - erhascht man einen Blick in die Zukunft. Hier entsteht eines der größten Stadtentwicklungsgebiete Europas. Bis 2030 sollen auf dem ehemaligen Flugfeld rund 20.000 Menschen leben und ebenso viele Arbeitsplätze entstehen. Anschließend blickt man wieder in die ländliche Vergangenheit. Breitenlee blieb das größte Bauerndorf innerhalb der Stadtgrenze. Seine dem Schottenkloster inkorporierte Pfarrkirche ist die einzige zweitürmige im Marchfeld.
Drei Viertel des Weges sind zurückgelegt, sechs Etappen stehen noch auf dem Plan: Breitenleer Straße bis Wagramer Straße (19), Wagramer Straße bis Gerasdorf (20), Gerasdorf bis Brünner Straße (21), Brünner Straße bis Steinernes Kreuz (22), Steinernes Kreuz bis Strebersdorf (23) und Strebersdorf bis Nussdorf 24). Beim Nussdorfer Wehr schließt sich der Kreis und der Wanderer zieht sein Resümee. Die eigene Stadt von ihren Rändern aus zu betrachten, kann sehr in die Tiefe gehen! Mit diesem Buch macht er Lust, sich auf den "rundumadum"-Wanderweg zu begeben. Neben den schönen Fotos und vielen Informationen gibt es zu jeder Strecke einen QR-Code zur Webseite mit Wanderkarte.