Mathias Moosbrugger: Petrus Canisius#
Mathias Moosbrugger: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten. Tyrolia-Verlag. Innsbruck-Wien, 288 S., ill., € 27,95
Seit 120 Jahren beherrscht die Canisiuskirche dank ihrer Höhenlage den 9. Wiener Gemeindebezirk. Ihre beiden 85 m hohen Türme sind die vierthöchsten der Stadt, Innenraum und Krypta großzügig dimensioniert. Kreuzgang und Garten verbinden die historistische Kirche mit dem ehemaligen Ordenshaus der Jesuiten. Anlass für den Bau war der 300. Todestag von Petrus Canisius (1521-1597). Das Gotteshaus auf dem Alsergrund führt seinen Namen inoffiziell, denn der gewünschte Patron war bei der Wehe noch nicht heilig gesprochen. Doch ist es bei weitem nicht die einzige Canisiuskirche In Europa, etliche Organisationen sind ebenso nach dem ersten "deutschen" Jesuiten benannt.
Papst Leo XIII. bezeichnete ihn als "zweiten Apostel Deutschlands". Trotzdem nennt ihn Mathias Moosbrugger, Universitätsassistent für Historische Theologie in Innsbruck, einen "großen Unbekannten" 2021 jährt sich Canisius' Geburtstag zum 500. Mal. Deshalb hat der Autor (übrigens einer der wenigen Österreicher mit zwei Sub-auspiciis-Promotionen) auf dem aktuellen Forschungsstand ein Buch über den "Wanderer zwischen den Welten" verfasst. Mathias Moosbrugger will es nicht als Biographie verstanden wissen, sondern als "biographische Skizze". Er zeigt, in welchen Spannungsfeldern sich die Schlüsselfigur des reformatorischen Zeitalters bewegte. So betitelt der Autor die fünf Kapitel "Zwischen Nimwegen und Freiburg in der Schweiz", "Zwischen Kartäusern und Jesuiten", "Zwischen Kollegien und Konzil", "Zwischen Kirchenvätern und Katechismus" und "Zwischen Schuld und Sühne".
Peter Kanis war der Sohn des Bürgermeisters Jakob Kanis der - im Osten der Niederlande gelegenen - Hansestadt Nimwegen. Für seine Tätigkeit als Gesandter und Erzieher am herzoglichen Hof von Lothringen erhielt er das Adelsprädikat. Peters Mutter starb jung. Sowohl sie als auch als seine Stiefmutter waren fromme Frauen, letztere die Schwester eines Hofkaplans des Kaisers Ferdinand I. und Nichte zweier bedeutender Mystikerinnen. Der Vater wünschte für seinen erstgeborenen Sohn eine Karriere nach seinem Vorbild und schickte ihn zum Jus-Studium nach Köln. Dort lernte Peter die Spiritualität der Kartäuser kennen. 1540 er war knapp davor, sich dem strengsten Orden seiner Zeit anzuschließen, doch etwas hielt ihn davon ab. Die Zweifel dauerten drei Jahre. Nach Absolvierung der "Geistlichen Übungen" (Ignatianische Exerzitien) beschloss Peter Kanis, Jesuit zu werden. An seinem 22. Geburtstag trat er, ohne sich von Familie und Freunden zu verabschieden, in den Orden ein. Er war das erste Mitglied der Gesellschaft Jesu aus dem römisch-deutschen Reich.
Erst 1540 hatte der Papst die Jesuiten - ein zur ehrenvollen Selbstbezeichnung uminterpretiertes Schimpfwort - offiziell anerkannt. Weltoffen und mobil bildete der neue Orden eine "schnelle und effiziente Eingreiftruppe". Jesuiten wurden einflussreiche Berater und Beichtväter von Herrschern, predigten aber genau so dem "einfachen Volk". Ihr Weltengagement entsprach dem Wesen des "Vollblutjesuiten", der zur Schlüsselfigur des dramatischen 16. Jahrhunderts wurde. In ihm verkörperte sich das Ringen der katholischen Kirche, sich angesichts der Reformation neu zu erfinden. Überschäumender Tatendrang, Intelligenz und Beweglichkeit kennzeichneten Canisius' Persönlichkeit. Schätzungsweise legte er in Europa 100.000 km - meist zu Fuß - zurück. Seine Wanderungen führten ihn im Auftrag von Päpsten, Fürsten und Ordensoberen von Sizilien bis Osnabrück und vom schweizerischen Freiburg bis Warschau. Mainz, Prag und Innsbruck waren einige weitere Stationen. Papst Pius VI. brachte das zentrale Anliegen des Ordens und seines bedeutenden Mitglieds auf den Punkt. In einem persönlichen Brief ermutigte er Kanis (der sich nach Teilnahme am Konzil von Trient, 1447, Petrus Canisius nannte): "bemühe dich weiter, dass du den größten Gewinn an Seelen machst."
Es drängt sich die Frage auf, welche Aktivitäten (für wen?) "gut" waren. Die Wiederbelebung der katholischen Kirche war nach seiner Überzeugung der einzige Weg, auf dem das Auseinanderfallen dieser sich im 16. Jahrhundert zusehends voneinander entfremdenden Welten verhindert werden konnte, schreibt Moosbrugger und skizziert Problemfelder, wie die durch die Reformation aufgebrochenen neuen religiösen Bedürfnisse oder den globalen Anspruch des Christentums im Zeitalter der Entdeckungen. Canisius habe Bemerkenswertes geleistet, sei aber auch oft gescheitert und krassen Fehleinschätzungen erlegen.
Das Bemerkenswerteste ist sein katholischer Katechismus, das wahrscheinlich wirkmächtigste Buch der letzten 500 Jahre. Generationen von Schülern mussten den "Canisi" auswendig lernen. Canisius veröffentlichte ihn in verschiedenen Varianten zielgruppenorientiert: Für Theologiestudenten und Gymnasiasten, Schulkinder und wenig gebildete Erwachsene, sogar als Bilderkatechismus für Analphabeten. Die ursprünglich in Latein verfasste Glaubenslehre wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und erreichte fast 1200 Auflagen
"Hyperaktiv" als Organisator des Ordens gründete Canisius Kollegien, war Rektor der Universität Ingolstadt, Kaiser Ferdinand I. und Papst Gregor XIII. vertrauten ihm die Kirchenpolitik an. 1551 wurde er nach Wien beordert, um die Gegenreformation voranzutreiben. 1554/55 wirkte er als Diözesan-Administrator, lehnte aber das Bischofsamt ab. Als Domprediger in Wien und Augsburg bewirkte der "Zertrümmerer der Ketzer" unzählige Konversionen. Allein in Augsburg machte er tausend evangelische Christen wieder katholisch, so auch die Bankiersfamilie Fugger. Nachdem Canisius Ursula Fugger zur Konversion gedrängt hatte, führte diese in ihrer Familie ein streng katholisches Regiment. Ihre Tochter Anna Jakobäa musste 20 Jahre in Klöstern verbringen, ehe ihr eine spektakuläre Flucht gelang. In der Umbruchszeit der Renaissance herrschte Angst, man glaubte an Hexen und Dämonen. Auch Petrus Canisius war von der Existenz teufelsbündnerischer Hexen überzeugt. Seine systematische Pseudotheologie beeinflusste viele Gläubige und trug zur Verfolgung unschuldiger Menschen bei.
Petrus Canisius wurde 76 Jahre alt. Ein Jahr vor dem Tod (1597) verfasste er sein "geistliches Testament", um seine Biographie nicht späteren Historikern zu überlassen. Erst 1864 wurde er selig, und 1925 heilig gesprochen. 1988 restaurierte das Stadtmuseum von Nimwegen den Flügelaltar, den Jakob Kanis nach dem Tod seiner ersten Frau anfertigen ließ. Neben dem Stifter kniet der betende zehnjährige Peter. Lange Zeit war sein Portrait mit dem eines Halbbruders übermalt. Das wieder entdeckte Jugendbildnis wurde zum Titelbild des - nicht nur wegen der Spannungsfelder, in denen er sich bewegte - spannenden neuen Buches über Petrus Canisius.