Franz Sauer: Karolingische Kirchen im Burgenland#
Franz Sauer: Karolingische Kirchen im Burgenland. Goberling, Güssing, Oberschützen, Siget in der Wart. Archäologie aktuell - Österreichs unbekannte Geschichte, Band 6. Verlag Berger Horn. 96 S., ill., € 17,-
Unvernünftig, ohne Gelehrsamkeit, wohl nicht zu bekehren, so charakterisierte die Synode des Jahres 796 die Awaren. Sie waren knapp 230 Jahre davor in Pannonien eingewandert, lagen mit den Franken im Streit und waren von Bürgerkriegen erschüttert. Die dauernden Kämpfe veranlassten einen awarischen Würdenträger, Karl dem Großen die Unterwerfung und die Annahme des christlichen Glaubens anzubieten. 798 entsandte der Kaiser den Salzburger Erzbischof Arn (um 740-821) in die Gebiete der Slawen, die christianisiert werden sollten. Arn delegierte die Aufgabe an einen Priester namens Theoderich, der in Leithaprodersdorf seinen Stützpunkt einrichtete. Neben Salzburger und Passauer Klerikern missionierten die "Slawenapostel" Konstantin (Kyrill, um 827 - 869) und Method (um 815-885) ab 863 im Großmährischen Reich und in Pannonien. Die aus Griechenland stammenden Brüder feierten die Liturgie statt in lateinischer in slawischer Sprache und führten eine eigene Schrift, die Glagolica, ein. Zwei Jahrzehnte später setzten dann die landnehmenden Magyaren mit der Zerstörung des Großmährischen Reiches und der Vernichtung eines bayrischen Heeres am 4. Juli 907 bei Pressburg/Bratislava den Aktivitäten aller Missionare ein Ende. Diese hatten in Pannonien zahlreiche Gotteshäuser geweiht. Manche Kirchen wurden weiter verwendet, doch die meisten verfielen und wurden als Steinbrüche verwendet. Wenn Fundamente frühmittelalterlicher Sakralbauten auftauchten, wurden sie von der Kunstgeschichte oft nicht als solche erkannt und falsch datiert.
Offenbar verbirgt sich eine gar nicht so geringe Zahl an Kirchen aus der relativ kurzen Christianisierungsphase vor der Landnahme der Magyaren in oder unter heute noch bestehenden „Dorfkirchen“ des Burgenlandes, schreibt Franz Sauer, der viele Jahre als archäologischer Denkmalpfleger des Bundeslandes tätig war. Nach einem historischen Einleitungskapitel über die Kirchen im Awarenland präsentiert der Autor vier Beispiele, die er mit Expertisen, Grundrissen und (vielfach eigenen) Fotodokumentationen vorstellt. Dazu hat er die Kirchen in Goberling, Güssing, Oberschützen und Siget in der Wart ausgewählt.
In Goberling (der Ortsname leitet sich vom altslawischen Wort für Dille ab) dient der Bau als evangelische Filialkirche. Das Bundesdenkmalamt hat sie 2014 untersucht. Bei der Renovierung entdeckte man einen Grabstein aus der römischen Kaiserzeit, der nun an der Innenseite der Nordwand angebracht ist. In der Apsis befinden sich Fresken aus zwei Malschichten, deren jüngere aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt. Sie zeigen Christus in der Mandorla und die vier Evangelisten. Außerdem sind der Apostel Johannes mit einem Spruchband und sechs weitere, unidentifizierbare Heilige dargestellt.
In der durch ihre Burg bekannten Stadt Güssing befindet sich die katholische Pfarrkirche zum hl. Jakob dem Älteren. Auch ihre Grundrissform - ein fast quadratischer Saal mit halbkreisförmiger Apsis - verweist auf das 9. Jahrhundert. Sie entspricht geradezu einem Paradebeispiel eines frühmittelalterlichen Gotteshauses. Die Gebäudeachse lässt auf eine Grundsteinlegung im Hochsommer schließen - der Gedenktag des Kirchenpatrons fällt auf den 25. Juli. Überraschenderweise besteht das Baumaterial nicht aus Steinen, sondern aus Ziegeln. Um die Akustik zu verbessern, hat man Keramiktöpfe eingemauert. Der Triumphbogen zeigt einen Schuppenfries in Ocker- und Rottönen.
Die Baugeschichte der Filialkirche zum hl. Bartholomäus in Oberschützen umfasst sechs Phasen vom 9. bis ins 20. Jahrhundert. Die bauhistorische Analyse des Bundesdenkmalamtes erfolgte bei Grabungen 1988/89, anlässlich der Renovierung 1992
und einer Neuvermessung 2017, die eine frühmittelalterliche Kirche beweisen. 1979 wurden Fresken entdeckt. Jene im Kirchenschiff aus der Zeit um 1290 zeigen die Geburt und Kindheitsgeschichte Jesu sowie Szenen aus dem Alten Testament. Um 1400 entstanden die farbenfrohen Apostelbilder des Chores. Eine Kuriosität bilden die im 15. Jahrhundert in die Chorwand eingeritzten Graffiti, darunter die magische Sator-Arepo-Formel.
Für das vierte Beispiel, die katholische Filialkirche hl. Ladislaus von Siget in der Wart, gibt es schriftliche Quellen. Anno 865 weihte der Salzburger Erzbischof Adalwin zu Ehren der Apostel Petrus und Paulus eine Kirche in "Weride", was dem Ort Siget (ungarisch Sziget - Insel) entspricht. Das aus dem Frühmittelalter stammende Gotteshaus gehört zu den bemerkenswertesten Kirchen des Burgenlandes, schreibt Franz Sauer. Die 1979 entdeckten, bislang nur schwer zu deutenden Wandmalereien werden dem 16./17 Jahrhundert zugeordnet. Die durch ornamentale Streifen voneinander abgegrenzten und ungelenk wirkenden Malereien sind einzigartig und entziehen sich einer schlüssigen Interpretation. Sie stammen, wie auch die Bemalung der Kanzel, aus der Zeit, als die evangelische Gemeinde den Sakralbau nützte.
Mit der vorbildlich gestalteten Publikation strebt der Autor eine "längst überfällige Kurskorrektur" an, die den Blick der interessierten Öffentlichkeit auf diesen faszinierenden Abschnitt der mitteleuropäischen Geschichte lenken soll. Dies ist ihm bestens gelungen. Jetzt wäre noch zu wünschen, dass nicht nur Denkmalpfleger, sondern auch Kommunen und (katholische) Kirche den "stillen, weitgehend unbeachteten Zeugen" die ihnen gebührende Wertschätzung entgegenbringen, wie es die Initiative "contemplom" im Geleitwort fordert.