Michael Schnitzler: Der Geiger und der Regenwald #
Michael Schnitzler: Der Geiger und der Regenwald. Erinnerungen.
Mitarbeit und Vorwort von Petra Hartlieb. Amalthea Verlag Wien. 272 S., ill., € 28,-
Mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch war Michael Schnitzler als Konzertmeister der Wiener Symphoniker, Violinprofessor an der Musikuniversität und Kammermusiker aktiv. Ich hatte im Lauf von 60 Jahren 3.200 Konzerte und geschätzte 10.000 Proben und Aufnahmen gespielt: mit Orchestern, Kammerorchestern, dem Schnitzler-Quartett, dem Haydn-Trio und anderen Ensembles, erinnert sich Arthur Schnitzlers Enkel. Beruflich war er in der ganzen Welt unterwegs. Privat interessierte sich der "Globetrottel", wie ihn sein Vater scherzhaft nannte, für Reisen und Natur. Wäre er nicht Geiger geworden, hätte Michael Schnitzler als Naturforscher oder Naturfilmer Karriere gemacht. Vor 30 Jahren startete er sein größtes Projekt, den "Regenwald der Österreicher" in Costa Rica. Seither wurden 6 Mio. € Spenden eingenommen und damit Regenwald - mit einer Fläche des Wiener Bezirks Floridsdorf - an der mittelamerikanischen Pazifikküste vor dem Abholzen gerettet.
Michael Schnitzler verbrachte seine ersten 15 Lebensjahre in Berkeley, USA. Sein Vater Heinrich war Film- und Theaterregisseur. Seine Mutter Lilly entstammte der Zuckerindustriellenfamilie Strakosch. Dass meine gesamte engere Familie den Holocaust überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Eltern, Bruder, Großmütter, Onkeln Tanten, Cousins und Cousinen. Sie alle konnten vor den Nazis fliehen. … Trotz ihrer erfolgreichen Assimilierung blieben meine Eltern im Grunde ihres Herzens immer Österreicher. … Meine Mutter spielte Geige und Bratsche in Quartetten und im Santa Monica Symphony Orchestra. Musik war in meiner ganzen Kindheit allgegenwärtig und so wünschte ich mir im Alter von sechs Jahren zu Weihnachten eine Geige.
1959 kehrte die Familie nach Wien zurück und bezog die Strakosch-Villa im Währinger Cottage. Heinrich Schnitzler nahm seine Arbeit als Regisseur am Theater in der Josefstadt wieder auf und war bald dessen Vizedirektor. Sein Sohn Michael studierte Geige an der Musikakademie. Seinen ersten Auftritt hatte der erst 15-Jährige als Substitut in der Staatsoper. In den nächsten drei Jahren sollten es dort mehr als 200 Aufführungen und 150 Proben werden. Außerdem spielte er bei den "Wiener Solisten", einem Streichorchester mit zwölf Mitgliedern, und lernte dabei die Routine der Konzerttourneen kennen. Auch diese Phase der Musikerkarriere dauerte drei Jahre. 1966 erreichte Michael Schnitzler der Ruf zum Konzertmeister der Symphoniker. (Für Laien sehr interessant sind die Erläuterungen über die mit dieser Tätigkeit verbundenen Verpflichtungen und Privilegien.) Sein Dienstantritt begann mit einer sechswöchigen Weltreise in die USA, nach Alaska und Japan mit Wolfgang Sawallisch als Dirigent. Er war ein uneitler Mensch, kein Zauberer, kein Blender … er hatte nicht das Charisma seines Vorgängers Karajan, war ihm aber in seinem Können und Wissen mindestens ebenbürtig.
Köstlich humorvoll sind die zahlreichen Anekdoten. Sie handeln beispielsweise von Dirigenten und anderen schrägen Vögeln, vom einsamen Solistenleben, Kollegen, Tournee-Erfahrungen, privaten Reisen und Schallplattenaufnahmen. Die ersten Einspielungen fanden im Casino Zögernitz in Wien-Döbling statt, in dessen Ballsaal Vater und Sohn Johann Strauß aufgetreten und legendäre Aufnahmen des Concentus Musicus entstanden waren. Das Casino war akustisch hervorragend, aber sehr heruntergekommen … und jedes Mal, wenn die Straßenbahn vorbeifuhr oder ein Flugzeug darüber flog, musste die Aufnahme unterbrochen werden. … Für ungefähr zehn Minuten Musik auf dem Tonträger spielten wir etwa vier Stunden und hörten weitere vier Stunden ab.
Die teils ernste, teils unterhaltsame Lebensgeschichte, die manchen Einblick in die Familie Schnitzler gibt, beleuchtet vor allem die Musikerkarriere. An Japan führt für Berufsmusiker kein Weg vorbei … Die Worte "Wien", "Mozart" und "Johann Strauß" wirken auf das japanische Konzertpublikum wie Zaubersprüche. … 20-mal war ich als Musiker im Laufe der Zeit in Japan, und die Abläufe waren immer ähnlich: hervorragende Hotels, perfekte, aber unflexible Organisation, akustisch großartige Konzertsäle, diszipliniertes Publikum, wunderbares Essen. … Das Privatleben bleibt streng verborgen. Beeindruckt zeigte sich der Musiker von der Sauberkeit der Städte, des täglich von mehr als drei Millionen Passagieren frequentierten Bahnhofs Shinjuku oder der unglaublich schnellen gründlichen Reinigung der Züge und Hotelzimmer. Seltsam empfand er, dass sein Ensemble von den Gastgebern genötigt wurde, mit ihnen den "Vogerltanz" zu tanzen, oder dass schon am Abend vor der Abreise die gepackten Koffer vor dem Zimmer stehen mussten. Als sein Mozart-Kammerorchester zur Eröffnung eines neuen Konzertsaals spielte, wurde es höflich um eine Widmung gebeten. Welche Überraschung, diese gleich nach dem Auftritt in Stein gemeißelt auf einem Monument zu lesen.
Reisen und Natur waren immer meine große Leidenschaft … Seit meiner Jugend habe ich sicher insgesamt drei Jahre meines Lebens auf Bergurlauben, Trekkingtouren, Tauchreisen, Safaris, Wohnmobilreisen und Kreuzfahrten verbracht … aber nichts hat mich mehr fasziniert als der tropische Regenwald. Für den Künstler ist er "das Paradies auf Erden", seit er 1989 Costa Rica besuchte. Die ersten Jahre in seinem Feriendomizil - ohne Straße, Strom, Gas und Fensterscheiben, dafür mit Amphibien, Reptilien, Insekten und anderen exotischen Tieren - waren "Lehrjahre" für den Professor. Er liebt die Schönheiten der Natur und setzt sich vehement für deren Schutz ein. Bis 1950 hatte das Land 60 % seiner Waldfläche durch Rodung verloren. Danach wurde zwar ein Nationalpark eingerichtet, doch der 140 km² große Esquinas-Regenwald blieb ungeschützt. Die einzige Möglichkeit zur Rettung war, ihn zu erwerben. Michael Schnitzler gründete einen Verein und motivierte seine zahlreichen Bekannten, symbolische Grundanteile zum Quadratmeterpreis von 3 Cent zu kaufen. Schon nach wenigen Monaten umfasste der "Regenwald der Österreicher" 300 Hektar, die dem Staat geschenkt wurden. Schnitzlers Verein erhielt Unterstützung von Tausenden ÖsterreicherInnen, Firmen, Institutionen und Massenmedien. Meinen Namen als Enkel Arthur Schnitzlers und meinen Ruf als Musiker habe ich dabei immer schamlos eingesetzt, erinnert sich der Initiator. Das Projekt zog weitere Kreise. Wildhüter wurden angestellt, um den Wilderern Einhalt zu gebieten, Biologen der Universität Wien richteten die "Tropenstation La Gamba" ein. Sie stellten fest, dass hier die größte Artenvielfalt an Bäumen in Mittelamerika herrschte, und Zoologen entdeckten neue Arten. Aufforstungen und Wiederansiedlung von Papageien zeigten Erfolge. Ein Teil der einheimischen Bevölkerung schien motiviert und wollte als Genossenschaft ein Hotel bauen und betreiben. Alle gehörten einem Clan an und sahen ihre Chance, Millionäre zu werden. Die Republik Österreich unterstützte anfangs das Entwicklungshilfeprojekt "Ökotourismus in La Gamba". Doch kam es zu großen Differenzen mit der Kooperative, die bis zu Morddrohungen reichten. Allen Schwierigkeiten zum Trotz gelang die Eröffnung der "Esquinas Rainforest Lodge", aber die Probleme bestanden weiter. Letztlich blieb nur eine Lösung: Ich entschied mich, die Lodge selbst zu kaufen. Nun war ich neben meinen bisherigen beiden Berufen - Musiker und Umweltschützer - auch noch Hotelbesitzer. "Der Geiger und der Regenwald" ist eine großartige, außergewöhnliche Autobiographie. Michael Schnitzler beendet sie mit dem Satz: Als Geiger und Lehrer war ich ersetzbar, als Naturschützer nicht.