Ingrid Haslinger: Otto Desbalmes - Aus dem Leben eines k. u. k. Hofkochs#
Ingrid Haslinger: Otto Desbalmes - Aus dem Leben eines k. u. k. Hofkochs. Vom Lehrling in der Hofküche zum Hofchefkoch und Hofkücheninspektor. Mit Rezepten aus seinem Nachlass und dem seiner Kollegen. Kral Verlag Berndorf. 320 S., ill., € 34,90
Küchenshows im Fernsehen und Kochbücher, deren Ausstattung an Kunstbände erinnert, haben Konjunktur. Während der mit Hauben prämiierte Star (oder "Promi") im Scheinwerferlicht steht, bleiben die vielen dienstbaren Geister im Dunkel. Das war vor 150 Jahren nicht anders. Nur waren die kulinarischen Köstlichkeiten nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt, sondern für den Kaiser. Wie bei allen Hofämtern herrschte eine strenge Hierarchie - vom Kesselreiber bis zum Hofkücheninspektor.
Otto Desbalmes (1859 Verona - 1925 Wien) war der letzte in einer langen Reihe von Mundköchen und k. u. k. Chefköchen. "Ein Menschenalter lang", bis zum Ende der Monarchie, verwöhnte er den Kaiser, dessen Familie und Gäste mit Spezialitäten. Begonnen hatte seine Karriere mit einem Schreiben des Vaters, eines verdienten Militärs, der um die Aufnahme seines Sohnes als Lehrling in die Hofküche bat. 1874 trat Otto Desbalmes seinen - wie üblich unbezahlten - Dienst als Lehrling an. Anschließend arbeitete er als Praktikant mit 1,5 Gulden (ca. 15 €) Taggeld. 1881 rückte er zum "Bestallungskoch 2. Klasse" auf. Die fixe Anstellung als Unterkoch ermöglichte ihm die Heirat mit der Handarbeitslehrerin Maria Stepanek, der Tochter des Prager Schlosshauptmanns. Der nächste Karrieresprung folgte 1885 mit der Ernennung zum "Hofkoch 2. Klasse", 1893 erster Klasse. Als solcher musste er bei Reisen Jagden und Manövern Dienst machen. Besonders stolz war Otto Desbalmes auf seine Ernennung zum Hof-Chefkoch 1907. Sein erstes Diner in dieser Funktion bestand aus zwölf Speisen, von der Hühnercremesuppe mit Spargelspitzen bis zum Stachelbeereis und Dessert. 1914 konnte er sein 40-jähriges Dienstjubiläum feiern. Auf die Ernennung zum Hofkücheninspektor - das höchste Ziel jedes Chefkochs - musste er bis 1918 warten. Doch dann folgte schon bald die Pensionierung. Bei der Krönung des letzten Kaisers, Karl I., war Depalmes für das Festmahl verantwortlich. Vom "Huldigungsbraten" bis zum "Thronfolger Giardinetto" ließ man es, trotz des kriegsbedingten Lebensmittelmangels, an nichts fehlen.
Die Historikerin (und passionierte Köchin) Ingrid Haslinger hat sich bei ihrer Forschungstätigkeit auf Hofwirtschaft und Hofküche spezialisiert. Sie verfasste einen Katalog der ehemaligen Hofsilber- und Tafelkammer und Bücher über die Kulturgeschichte der Wiener Küche und kaiserliche Tafelkultur. Privat verfügt sie über eine reiche Sammlung an Tafelgeräten und Kochbüchern. Für ihr jüngstes Werk pflegte die Autorin persönliche Kontakte mit Nachkommen von Otto Desbalmes, die ihr wertvolle Hinweise gaben. Im November 2018 wurde ein Teil seines Nachlasses versteigert. Er umfasst ein Menübuch, Fotos und amtliche Schriftstücke, die das Leben und die Arbeit des Hofkochs dokumentieren und Einblick in die Organisation der Hofküchen am Wiener Kaiserhof geben. Besonders bemerkenswert sind zwei handgeschriebene Kochbücher mit Rezepten, die Otto Desbalmes gesammelt hat, und die im Buch im Originalwortlaut wiedergegeben sind. Allerdings warnt die Autorin: Sie setzen beim Leser mehr als nur Grundkenntnisse der Kochkunst voraus. Geeignet sind diese Rezeptsammlungen daher besonders für Küchenchefs der gehobenen Gastronomie und für private Liebhaber einer qualitativ herausragenden Küche.
Ingrid Haslinger hat das reich illustrierte Buch in fünf Abschnitte gegliedert. Der erste enthält neben der Biographie und Einblicken in Desbalmes' Dienstleben u. a. Informationen über die Hofküchen und die Lieblingsspeisen der Majestäten. Aus den am Vortag vom Chefkoch abgegebenen Vorschlägen wählte der Kaiser aus und strich Speisen, auf die er gerade keinen Gusto hatte, mit Rotstift auf dem Speisezettel durch. Die Menüs werden als echt wienerisch, "von vornehmer Schlichtheit" bezeichnet. Nur bei Galatafeln und anderen besonderen Anlässen konnten die Hofköche aus ihrem ganzen Repertoire schöpfen. Zu den Leibspeisen Franz Josephs gehörten Rindfleisch und Wild. Auch Reis aß der Kaiser sehr gerne. Auf Anraten des Leibarztes durften Karotten und Spinat nicht fehlen, doch Zwiebel und Knoblauch waren verpönt. Kaiserin Elisabeth bevorzugte Hühner- und Fasanenbraten mit Erbsen. Zum Diner wurden ihr Suppen, Fleisch, Gemüse und Früchte serviert, ebenso Schokoladetorte, Eis und Käsegebäck. Als Tafelgetränk mochte sie bayrisches Bier, Rheinwein und Champagner. Interessanterweise aß die Kaiserin oft mehr als ihr Gemahl. Auch hielt sie sich nicht an die kirchlichen Fasttage.
1901 wurde Otto Desbalmes dem Thronfolger Franz Ferdinand zugeteilt, der innerhalb eines Jahres schon drei Hofköche "verbraucht" hatte. Auch ihm sollte es nicht besser ergehen. Dass er für den Erzherzog nur besonders Gutes kochen wollte, wirkte sich auf die Kosten aus. Dieser jedoch fand, dass zu viele Lebensmittel verwendet wurden und die Abrechnung mangelhaft gewesen sei. Das wurde als grobe Dienstverletzung betrachtet und bescherte dem Küchenchef mehrere Jahre hindurch erhebliche finanzielle Nachteile.
Teil II betitelt sich Die kaiserliche Tafel. Franz Joseph war kein Freund großer Gesellschaften. In seinen letzten Jahren zog er vor, allein in seinem Arbeitszimmer zu essen. Doch gab es traditionelle Fixpunkte im Jahreslauf, bei denen die Hofküche besonders gefordert war, wie die Hofbälle im Fasching und die Fußwaschung in der Karwoche. Der "Ball bei Hof" war eine exklusive Veranstaltung für die kaiserliche Familie, den hohen Adel und Diplomaten. Nur 800 ausgewählte Personen waren zu Souper und Tanz geladen. Bis zu 2.000 geladene Gäste durften den Hofball besuchen. Im Jahr 1900 beliefen sich die Kosten dafür auf 26.142 Kronen (mehr als 205.000 €). Hingegen diente die Fußwaschung nicht dem Vergnügen, sondern war ein sozialer Brauch der Fürsten des christlichen Abendlandes. Auch die Habsburger-Kaiser und Kaiserinnen vollzogen ihn an je zwölf würdigen Armen. Die Männern und Frauen erhielten Geschenke und wurden mit Fastenspeisen verpflegt, die man ihnen nach Hause brachte.
Teil III beschäftigt sich mit der Hofzuckerbäckerei, mit der die Küche eng zusammenarbeitete. Die Hofzuckerbäckerei lieferte außer den Frühstücken für das Kaiserpaar Mehlspeisen, Eis und Obstteller. Die Autorin hat mehr als 50 Biographien von Kollegen Desbalmes in der Küche und Zuckerbäckerei zusammengetragen.
Teil IV umfasst Rezepte von Vorspeisen bis Desserts, Grundrezepte und Wiener Hof-Spezialitäten. Zu diesen zählten Croquant, verschiedene Tortenmassen, Nusskipferl und Pasteten. Teil V, der Anhang, enthält Diensteide, Instruktionen und Merkblätter für die Mitarbeiter der Hofküche, Glossar, Literatur, Quellen und Anmerkungen. Sehr aufschlussreich sind die Organigramme des Obersthofmeisterstabes, der Hofdienste und Kontrollorgane. Dieses Amt umfasste die Hofküche, Hofzuckerbäckerei, Hofzehrgaden (Verwaltung), Hofkeller, Hofsilber- und Tafelkammer, Hofwäschekammer und Hoflichtkammer. So vermittelt das Buch ein lebendiges Bild einer verschwundenen Zeit, wozu auch Zeitungsartikel und Anekdoten beitragen. Zum Beispiel jene, die eine Urgroßenkelin der Autorin erzählte. Obwohl Otto Desbalmes ein strenger Vater war, unternahm er mit Frau und Kindern gerne Ausflüge mit dem Fiaker. Zum Schluss gab es in einem der vielen Praterlokale gutes Essen - schließlich wollte auch ein Hofkoch in seiner Freizeit einmal die Wiener Küche in Ruhe und Reinkultur genießen.