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Janos Kalmár, Ernst Bruckmüller, Reinhard Linke, Christoph Mayer: Verschwundenes Mostviertel #

Bild 'Kalmar'

János Kalmár, Ernst Bruckmüller, Reinhard Linke, Christoph Mayer: Verschwundenes Mostviertel. Über Greißler und Wirtshäuser, Bauernhöfe und Eisenbahnen, Schmieden und Hammerwerke, die es nicht mehr gibt. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 140 S. ill., € 24,90

Das Mostviertel umfasst zwischen St. Pölten und Amstetten, Waidhofen an der Ybbs und Herzogenburg rund 5500 Quadratkilometer in neun Bezirken, wo 410.000 Menschen leben. Es war ein Agrarland, das nicht nur seine Bewohner, sondern auch jene rund um den steirischen Erzberg verpflegte. Das an der Eisenstraße verarbeitete Metall stellte einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor der Region dar. Sie besaß nur wenige Städte, St. Pölten war die größte, Traismauer, das bauliche Reste aus der Römerzeit aufweist, die älteste. Pöchlarn, Ybbs und Waidhofen bildeten weitere urbane Zentren. Dazu kamen Herzogenburg, Melk, Seitenstetten, Wieselburg, Amstetten und Haag als Märkte, sowie Klöster und Pfarrsiedlungen. Bei den Bauernhöfen denkt man an stattliche Vierkanter, obwohl auch andere Hausformen bestanden.

Eine besondere Rolle spielte die "Eisenstraße". Wie der renommierte, aus dem Mostviertel stammende Historiker Ernst Bruckmüller ausführt, waren es eigentlich drei. Er schreibt Das hier verarbeitete Eisen war das "Provianteisen". Die Händler von Waidhofen ebenso wie die der drei Märkte (Gresten, Scheibbs, Purgstall) hatten den Erzberg und sein Vorland mit Proviant zu versorgen, dafür bekamen sie ein gewisses Quantum Roheisen. Schon 1574 gab es Bestimmungen, wonach Butterschmalz nur zugunsten des Bergbaugebietes gehandelt werden durfte. Später kamen Getreide und weitere Nahrungsmittel dazu. Neben Proviant und Eisen wurde auf der Straße die zur Eisenverarbeitung nötige Holzkohle transportiert, das Holz selbst auf dem Wasserweg befördert. Wasser trieb die Eisenhämmer und Blasebälge in den Schmieden entlang der Ybbs, Erlauf und Traisen an. Der Lärm der Schmieden und der Rauch der Essen sowie der zahlreichen Kohlstätten verwandelten die Täler der Eisenwurzen in geschäftige, geräuschvolle und keineswegs fremdenverkehrststaugliche Landschaften. Die wohlhabenden Hammerherren, die "schwarzen Grafen", besaßen eine Reihe schöner Häuser. Einige blieben erhalten, ebenso wie manche Hämmer und Schmieden. Aber eben nur manche, trotz des engagierten Eisenstraßen-Tourismus.

Ernst Bruckmüller, Reinhard Linke, Christoph Mayer und János Kalmár fanden viel Material für ihr Buch über Greißler und Wirtshäuser, Bauernhöfe und Eisenbahnen, Schmieden und Hammerwerke, die es nicht mehr gibt. Das Leben in der Region hat sich im letzten halben Jahrhundert stark verändert, Anforderungen, Wünsche und Bedürfnisse haben sich verschoben, die Arbeitsbedingungen geändert, ebenso wie Freizeitverhalten und Mobilität. Während sich der Sozial- und Wirtschaftshistoriker Ernst Bruckmüller der Geschichte des verschwundenen Mostviertels widmet, schreibt der ORF-Redakteur Reinhard Linke über Aktuelles. Der Kulturjournalist zeichnet, statistisch belegt, ein realistisches Bild der Situation in Niederösterreich. Der Befund dessen, was das Mostviertel lebenswert macht fällt eher ernüchternd aus: Vom Schrumpfen des ländlichen Raums, Veröden der Ortskerne, Greißlersterben, von Zersiedelung und Betrieben an den Rändern der Regionalzentren ist die Rede. Dabei zählen der Bezirk St. Pölten-Land mit einem Anstieg der Einwohnerzahl um mehr als fünf Prozent und die Bezirke Amstetten, Melk und Scheibbs mit einem Plus von fünf Prozent zu den Gewinnern. Im Kapitel Was man zum täglichen Leben braucht zählt der Autor auf, was man in kleineren Gemeinden wohl vergeblich sucht: Greißler, Trafik, Tankstelle, Kaffeehaus, Gasthof, Schule, Postamt, Kirche, Jugendzentrum, Arzt, Buchhandlung, Friseur, Kindergarten, Sporthalle, Bank, Bahnhof oder Bushaltestelle. Kirchen, Bezirksgerichte und Postfilialen sehen sich mit der Schließung konfrontiert. Immerhin konnten manche Pläne revidiert werden. Seit 1986 befindet sich im Mostviertel Österreichs jüngste Landeshauptstadt. 1998 wurde im Regierungsviertel von St. Pölten das ORF-Studio eröffnet, Reinhard Linkes Arbeitsplatz. Er meint Das 20. Jahrhundert brachte den Aufschwung und weiß von neuen Ideen und einem positiven Blick in die Zukunft im einstigen "Viertel ober dem Wienerwald".

Der Kultur- und Eventmanager Christoph Mayer berichtet über Schwierigkeiten und Chancen der Gastronomie, die Freiwilligen Feuerwehren und den Eisenbahnverkehr im Mostviertel. Einige Nebenbahnen werden touristisch genutzt, wie die Mariazellerbahn, die mit 85 km längste Schmalspurbahn Österreichs, oder eine Museumsbahn von Ober-Grafendorf nach St. Margarethen. Die Bahnhöfe entlang der still gelegten Bahnstrecken im Mostviertel haben meist keine Funktion mehr. Manche sind an Betriebe vermietet, andere stehen leer. Relikte wie Wasserkräne oder mit Gras überwachsene Gleise bieten nostalgische Fotomotive. János Kalmár hat sie stimmungsvoll mit der Kamera eingefangen, wie auch verlassene Häuser, verfallende Bauernhöfe, deren Reste vom einstigen Besitzerstolz zeugen, alte Nebengebäude, funktionslos gewordene Stadel, Schmiedehämmer, die ihre Glanzzeit lange hinter sich haben, k. k. Fabriken, leer stehende Wirtshäuser, verwaiste Geschäfte, Industrieruinen, vergessene Lagerhallen, Postämter oder Feuerwehrdepots. Solche Bilder machen traurig, und sie gleichen jenen, das das Autorenteam ein Jahr zuvor im Bild-Text-Band "Verschwundenes Waldviertel präsentiert hat. Doch gibt es auch Fotos, die optimistisch stimmen, wie gleich am Beginn die Birnbaumblüte bei Ardagger.

hmw