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Thomas Kaufmann: Die Druckmacher#

Bild 'Kaufmann'

Thomas Kaufmann: Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte. Verlag C. H. Beck München. Stuttgart. 350 S., ill., € 28,-

Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern um 1450 und der Beginn der Reformation 1517 gelten als Leuchttürme des Renaissancezeitalters. Die Epoche, deren Ideal eigentlich die Wiederbelebung der kulturellen Leistungen der Antike war, brachte jedoch Erfindungen, Entdeckungen und damit verbundene gesellschaftliche und politische Umbrüche. Der deutsche Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann vergleicht in seinem Buch die von Johannes Gensfleisch (Gutenberg) ausgelöste erste Medienrevolution mit der Erfindung des Internets um 1990, der zweiten Medienrevolution durch Digitalisierung. Er zeichnet ein Bild der Printing Natives, die in den 1470er bis 1490er Jahren aufwuchsen. Mit Schulbüchern zu lernen oder sich mit gedruckten Büchern weiterzubilden, war jenen "Männern des Buches" so selbstverständlich, wie den Digital Natives der Umgang mit Computern und Smartphones.

Dem Mainzer Patriziersohn Gutenberg kam eine besondere Konstellation zugute. Die Goldschmiedekunst, in der er Erfahrung hatte, florierte. In den Weinbauregionen, in denen er überwiegend lebte, gab es viele Pressen, nicht nur für Wein, sondern auch zur Papiererzeugung. Holzschnitte verbreiteten sich als Druckformen für Spielkarten, Bilder und illustrierte Bücher, waren aber nur begrenzt verwendbar. Diese Voraussetzungen verband Gutenberg in genialer Weise und entwickelte sie weiter. Um die serielle Reproduktion zu ermöglichen, erfand er ein Gießverfahren für einzelne Buchstaben. Typen aus Bleilegierung wurden zeilenweise in einem Winkelhaken zusammengefügt und der gesamte Satz in die Presse gelegt. Dort färbte man ihn mit Druckerschwärze ein - auch dafür hatte Gutenberg ein Rezept entwickelt - und übertrug den Text auf einen Papierbogen. So blieb es rund vier Jahrhunderte. Als berühmtestes Werk entstand 1455 die Gutenberg-Bibel mit 42 Zeilen pro Seite. Illuminatoren statteten sie nach individuellen Kundenwünschen mit farbigen Illustrationen und künstlerischen Initialen aus. Experten schätzen die Auflage auf 180 Exemplare, davon 40 auf Pergament. Gewinn brachten aber nicht derart aufwändige Produkte, sondern "Brotdrucke" in hohen Auflagen, Kalender und Einblattdrucke, wie die berüchtigten Ablassbriefe. 1480 wurden 20.000 Stück eines Beichtbriefes hergestellt. Um 1500 kalkulierte man von den Gesamtkosten rund die Hälfte für Papier und je ein Viertel für Satz bzw. Druck. Mit den Auflagen stiegen die Gewinne, weil die Satzkosten gleich blieben. Bei Neufauflagen wurde neu gesetzt, vermutlih weil nicht genug Typen für Stehsätze verfügbar waren.

Das neue Medium, das rasch in weiten Teilen des Kontinents heimisch wurde, trug zur Entwicklung eines gemeinsamen kulturellen Kommunikations- und Erfahrungsraumes bei, etwa durch Zeitungen. Das Selbstverständnis der Europäer veränderte sich, als sie binnen kurzer Zeit (in lateinischer Sprache) von Kolumbus` Entdeckungen erfuhren. Von Mainz ausgehend, entstanden innerhalb weniger Jahre Buchdruckereien in Deutschland, Italien und der Schweiz. Eine Generation später arbeiteten mehr als 100 Offizinen in mehr als 100 europäischen Städten, in Wien seit 1492. 1511 lobte der Wiener Humanist Joachim Vadian, dass die Erfindung, Buchstaben in Metall zu gießen, "sämtliche Erfindungen der Alten überbiete". Luther sprach von der "Gottesgabe" der Buchdruckerkunst.

Am Übergang vom Manuskript- zum Druckzeitalter standen die Männer des Buches. Als Autoren und Übersetzer stellten sie lateinische, griechische und hebräische Wörterbücher zusammen (was von den Druckern Kenntnisse im orientalischen Satz erforderte). Das Beherrschen dieser drei Sprachen war eine Schlüsselkompetenz humanistischer Gelehrter, die sie mithilfe des gedruckten Buches nun autodidaktisch erwerben konnten. Der Theologe Erasmus von Rotterdam (um 1466-1536) verfasste mit seiner griechisch-lateinischen Ausgabe des Neuen Testaments 1516 einen Bestseller von zunächst 1200 Exemplaren. Er arbeitete gegen Honorar des Baseler Buchdruckers und Verlegers Johannes Froben. In enger Kooperation entstanden täglich rund vier Seiten und jedes Buch führte zu vielen anderen.

Bücher stifteten Gemeinschaft. Die Bibliophilen standen in Kontakt untereinander. "Bibliophile Gier" galt als gesellschaftsfähig, auch, sich um der Bücher willen zu verschulden. Die Bücherfreunde pflegten ein ausgeprägtes Netzwerk. "Buchführer" wußten als Informanten und Boten um aktuelle Projekte und Akteure bestens Bescheid. Beim Vertrieb spielten Messen, allen voran Frankfurt am Main, eine Schlüsselrolle.Leistungsstarke typographische Infrastrukturen standen in vielen Städten im Reich und in mehreren Ländern Europas zur Verfügung. Zensurmaßnahmen - ausgehend zunächst von geistlichen Instanzen - waren nahezu wirkungslos.

Das Hauptkapitel des lesenswerten Buches Die Druckmacher ist den publizistischen Explosionen rund um Martin Luther und die Reformation gewidmet. Es beginnt mit den "95 Thesen", die er zweimal drucken ließ - einmal als Plakat, das brauchgemäß an der Wittenberger Kirchentüre angeschlagen wurde, und in der Druckmetropole Leipzig. Mit dieser ersten Erfolgsschrift hat Luther gewiss weitaus mehr Menschen erreicht als jeder seiner Zeitgenossen, weiß Thomas Kaufmann. Allein im Jahr 1520 verfasste der Reformator 28 Druckschriften, zusammen 1000 Seiten. Die Thesen bildeten bekanntlich nur den Anfang einer Bewegung, die ohne Buchdruck nicht möglich gewesen wäre. Der Kirchenhistoriker widmet der Reformation, ihren Exponenten und Widersachern breiten Raum und macht viele Zusammenhänge bewusst. Zahlreiche Reproduktionen tragen zur Anschaulichkeit bei.

Nach dem reformatorischen Zeitalter fanden die Europäer eine veränderte Welt vor. Einige Stichworte in diesem Kapitel sind Selbststudium und Lehrbetrieb, Bibliotheken, Koranübersetzung, volkssprachliche Enzyklopädien, Bibellesen für Laien, Gesangbücher, Katechismen und Utopien.

Wer sich gefragt hat, warum Thomas Kaufmann sein Buch "Die Druckmacher" nennt, findet des Rätsels Lösung im Epilog. Dort zeigt der Autor, wie der Buchdruck in Kirche und Gesellschaft Druck erzeugte: Er verstärkte und beschleunigte Konflikte. Typographisch reproduzierte Texte und Bilder führten zu Argumentations- und Erwiderungsdruck. Gegenschriften mussten schnell erscheinen und waren mit finanziellem Druck verbunden. Auch die Herrschenden sahen sich unter Druck gesetzt, denn das neue Medium verschaffte Verleumdungen und Fake News eine bisher unbekannte Resonanz, barg Droh- und Gefahrenpotential. Gedrucktes brachte neues Gedrucktes hervor, lockte neue Lesergruppen an … steigerte die Partizipation vieler. … veränderte auch das Leseverhalten. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Parallelen zwischen der typographischen und der digitalen Medienrevolution sind unübersehbar … Grundlegende Veränderungen in vielen Lebensbereichen brachten beide - und sind insofern tatsächlich Revolutionen.

hmw