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Marchfeld Geheimnisse#

Bild 'Marchfeld Katalog'

Marchfeld Geheimnisse. Mensch. Kultur. Natur. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung 2022. Hg. Armin Laussegger. Redaktion Abeline Bischof, Dirk Schuster. 426 S., ill.

Seit mehr als sechs Jahrzehnten veranstaltet Niederösterreich Landesausstellungen. Zehn Millionen Gäste haben sie besucht, und die Wertschöpfung kann sich sehen lassen. Die Großpräsentationen geben der Regionalentwicklung Impulse und - besonders wichtig - historischen Objekten ihre alte Schönheit zurück. Nach dem Ende der Ausstellung ist für eine nachhaltige Nutzung gesorgt.

2022 ist das Barockschloss Marchegg Veranstaltungsort. Daran grenzt auf 1100 Hektar ein Naturschutzgebiet mit der größten, auf Bäumen brütenden Weißstorchkolonie Mitteleuropas. Das Thema Mensch. Kultur. Natur drängt sich da geradezu auf. Die Stadt Marchegg wurde Mitte des 13. Jahrhunderts gegründet, ihre Stadtmauer ist fast vollständig erhalten. Auch die Burganlage entstand in dieser Zeit. Sie wurde um 1500 umgebaut, 1624 als unbewohnbar erklärt und zur Barockzeit repräsentativ modernisiert. Bis 1947 war sie Jagdschloss, Sommerresidenz und schließlich Hauptsitz der fürstlichen Familie Pálffy. 1953 erwarb die Stadtgemeinde das Baudenkmal, nachdem eine örtliche Initiative den Abbruch verhindern konnte. Sozialwohnungen und ein Jagdmuseum (1959-2001) wurden eingerichtet. Nach dem Ende der Landesausstellung soll sich das revitalisierte Gebäude als "Haus der österreichisch-slowakischen Marchregion" der Regionalentwicklung, Umweltbildung und Kultur widmen.

Die aktuelle Ausstellung gliedert sich in neun Themenbereiche. Der Katalog umfasst elf Kapitel. Eigentlich ist er mehr ein grafisch innovativ gestaltetes Buch zum Nachlesen. Zu jedem Kapitel werden Exponate in Wort und Bild vorgestellt, doch ohne Katalognummern. Oft überrascht die Aufeinanderfolge. Beispielweise findet man nacheinander eine Münze aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert, die zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählende mittelalterliche Handschrift Concordantiae caritatis, eine Pestordnung von 1727 und ein Zweihandschwert aus dem 14. Jahrhundert. Dies sollte aber nicht weiter stören, weil die Beschreibungen informativ und die Illustrationen qualitätvoll sind und ein buntes Mosaik von Eindrücken geschaffen werden sollte. Als roter Faden zieht sich die Natur durch alle Abschnitte.

Mehr als 60 AutorInnen stellen Kultur und Naturräume des Marchfelds vor. Die Region Marchfeld, nordöstlich von Wien, hat eine Flächenausdehnung von zirka 1000 Quadratkilometern. Gegen Süden wird sie durch die Donau, gegen Osten durch die March und im Nordwesten durch die Hügelausläufer des Weinviertels begrenzt. Wegen seiner intensiven landwirtschaftlichen Nutzung trägt das Marchfeld auch den Namen "Kornkammer Österreichs". Für die landwirtschaftliche Produktion haben das Wasser und dessen Verfügbarkeit große Wichtigkeit, erklärt der Hydrologe Hubert Holzmann. Sein Beitrag findet sich im ersten Block, Kräfte der Natur. Hier erfährt man Unbekanntes aus den Gebieten Geologie, Biologie oder Paläogeographie. Von Fossilien und Meeren vor Millionen Jahren ist die Rede, und anschauliche Grafiken unterstützen die Vorstellungskraft.

Von Menschen hinterlassene Erste Spuren in der Landschaft reichen viele Jahrtausende zurück. Vor 30.000 Jahren begegneten steinzeitlichen Jägern und Sammlern Mammuts, Wollhaarnashörner, Wildpferde und Rentiere. Auch ein Werkplatz für Steingeräte wurde entdeckt. Vor 7500 Jahren fanden aus dem Südosten zugewanderte Ackerbauern und Viehzüchter im Marchfeld fruchtbare Lössböden und bestes Weideland vor. Von besonderer Bedeutung ist der Fundort Stillfried an der March, wo in der späteren Urnenfelderzeit (1000-800 v. Chr.) eine überregional wichtige, befestigte Siedlung bestand und sich wichtige Handelswege kreuzten. Am Schnittpunkt von March und Donau siedelten Kelten, Römer und Germanen. In römischer Zeit erfolgte der Handel mit dem "Gold des Nordens" über die Bernsteinstraße von der Ostsee an die Adria. Von Norden aus folgte die Route der March, wobei Carnuntum ein wichtiger Umschlagplatz war.

Aufschwung und Niedergang einer Kulturlandschaft manifestierte sich seit der herrschaftlichen Erschießung zur Zeit der Babenberger. Im späten Mittelalter litt die Bevölkerung unter Heuschreckenplagen, Hungersnöten, Kriegen und Seuchen. Mehr als ein Drittel starb an der Pest. Klimakrisen führten zu Ernteausfällen. 45 Orte wurden aufgegeben. Moderne archäologische Methoden liefern Erkenntnisse über diese mittelalterlichen Wüstungen. Seine Lage im Zentrum Mitteleuropas, am Schnittpunkt der großen Gebirgsketten, an der Nahtstelle der großen Beckenlandschaften und an der Kreuzung der wichtigsten Verkehrslinien machten das Marchfeld zu einer strategischen Drehscheibe für ganz Europa, stellt der frühere Verteidigungsminister Werner Fasslabend fest. Das Marchfeld war nicht nur europäisches Schlachtfeld, sondern zur Zeit des Barock auch eine Schlösserlandschaft. Allerdings wird diese, mit Ausnahme von Schloss Hof, im Katalog wenig gewürdigt, auch die herrschaftliche Gutshofwirtschaft fehlt. Die Exponate konzentrieren sich auf die Jagd, Prinz Eugen und die kaiserliche Familie.

Das Kapitel Im Zeitalter des Menschen beschäftigt sich mit der Industrialisierung und der Eisenbahn. Gegen Ende der Schau und des gewichtigen Buches gewinnt die Natur Oberhand. In Fruchtbarer Boden steht die Agrarlandschaft mit ihren Chancen und Problemen im Mittelpunkt. Von großer Bedeutung ist die fließende Grenze. Die Artikel geben einen Vorgeschmack auf die geplanten Aktivitäten der österreichisch-slowakischen Marchregion. Der letzte Teil der Ausstellung steht unter dem Motto Von der Natur zur Umwelt. Die ornithologischen Forschungen von Kronprinz Rudolf sind dabei ebenso Thema wie die Hainburger Aubesetzung. Das Buch geht noch darüber hinaus mit Eine Vergangenheit mit Zukunft, wo sich die Experten dem Auenreservat Marchegg, dem Nationalpark Donau-Auen und Perspektiven für einen Regionalpark widmen. Das Dorf der Zukunft stellt eine Utopie der Energiewende, Klimaschutz und Nachhaltigkeit vor. Die Grafik zeigt Sonnenkollektoren, Windräder und keine Autos. Optimistisch ist die Rede von "lebendigen Ortszentren", die zum Verweilen einladen sollen, mit Schanigärten statt Parkplätzen, Springbrunnen und WLAN. Doch erhebt sich die Frage, ob neue Dörfer wirklich lebenswert sein können, ohne Rücksicht auf historische Gegebenheiten zu nehmen. Gerade sie machen den Charme der alten Dörfer aus. Schade, dass darauf vergessen wurde.

Der Schriftsteller Gerhard Fritsch (1924 - 1969) widmete dem Marchfeld "Moos auf den Steinen", einen der, so Wikipedia, "sehr relevanten Romane der österreichischen Nachkriegsliteratur". Er schrieb 1956: … das Marchfeld, eine gespenstisch leere Landschaft, in der es Sanddünen gibt wie in den asiatischen Steppen, ein paar herrliche Schlösser, deren Verfall weit fortgeschritten ist, eine Handvoll trauriger Dörfer … Eine Gegend ohne Fremdenverkehr, …. eine Gegend der Melancholie - und doch wunderschön, wenn man sie genauer betrachtet. Fast sieben Jahrzehnte später stehen die Sanddünen unter Naturschutz, sind die herrlichen Schlösser renoviert und erobert der Kulturtourismus das Land. Was bleibt, ist das "wunderschön".

hmw