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Mary Wortley Montagu: Briefe aus dem Orient#

Bild 'Montagu'

Mary Wortley Montagu: Briefe aus dem Orient. Frauenleben im 18. Jahrhundert. Herausgegeben und eingeleitet von Imela Körner. Promedia Verlag Wien. 248 S., ill., € 27,-

Die englische Schriftstellerin Lady Mary Wortley Montagu (1689–1762) beschrieb als erste Frau das Leben in einem islamischen Land. Sie war die Tochter eines englischen Herzogs, auch ihre jung verstorbene Mutter entstammte dem Adel. Mary wuchs beim Vater auf und vertiefte sich in dessen bedeutende Bibliothek. Sie brachte sich selbst Latein bei und verfasste schon als Mädchen literarische Werke. 23-jährig heiratete sie den elf Jahre älteren Diplomaten Edward Wortley Montagu, später Mitglied des englischen Parlamentes und Schatzkanzler. Ihr Vater war mit dem Ehevertrag nicht einverstanden, die Hochzeit erfolgte heimlich. Das Ehepaar lebte in London und bewegte sich in den höchsten Gesellschaftskreisen. Nicht zuletzt dank ihrer Intervention bei König Georg I. (1660-1727) erhielt Edward Wortley Montagu 1716 den Ruf als Botschafter in Konstantinopel. Er sollte im Sinne der britischen Politik zwischen dem osmanischen Hof und der Habsburger Monarchie vermitteln, doch war die diplomatische Mission nicht von langer Dauer. Untypisch für ihre Zeit, begleitete ihn seine Frau (mit dem dreijährigen Sohn) nach Konstantinopel (Istanbul). Ihr Gefolge bestand aus 20 Bediensteten in eigenen Kutschen, Von ihrer Reise schrieb sie die geistreichen "Briefe aus dem Orient" an ihre Schwester, Gräfin Frances Mar, den Schriftsteller der Aufklärung Alexander Pope, den Priester Abbé Conti und einige prominente Freundinnen. Rund 60 Briefe sind in diesem Buch wiedergegeben.

Unterbrochen von einer mehrwöchigen Reise an den Hof des englischen Königs in Hannover, hielt sich die Autorin zwischen Oktober 1716 und Jänner 1717 in Wien auf, wo sie Kontakte mit dem Kaiserhof pflegte. Sie schilderte die Stadt und die Vorstädte mit deren Bewohnern, Ereignisse und Erlebnisse. Bei der Ankunft war sie enttäuscht. Vor allem ist es viel kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Straßen sind eng beisammen und derartig schmal, dass es unmöglich ist, einen richtigen Eindruck von den schönen und großartigen Fassaden der Paläste zu gewinnen. Im Lauf der Zeit entdeckte sie aber die Vorzüge Wiens und das Gesellschaftsleben. Ich gestehe, dass ich noch niemals etwas Reizenderes gesehen habe als die Wiener Vorstädte. … Hielte es der Kaiser für angebracht, die Stadttore entfernen zu lassen und die Vorstädte mit Wien zu vereinigen, so hätte er eine der größten und schönsten Städte Europas. Bei einer Einladung zu Vizekanzler Graf Schönborn war die englische Adelige begeistert vom Gastgeber und seinem Palais, dem heutigen Volkskundemuseum.

Die Besucherin lobte die Opern und fand die Komödien "lächerlich", weil sich die Dichter erlaubten, sie mit geradezu unflätigen Worten zu spicken, die unser gemeinstes Volk aus dem Munde eines Marktschreiers sicherlich nicht dulden würde. Von den Frisuren und der "schauderhaften" Mode war sie entsetzt, da sie die natürliche Hässlichkeit, mit der Gott, der Allmächtige die hiesigen Damen zu schaffen befunden hat, unterstreicht und steigert. Nur die Kaiserin machte eine Ausnahme: Bevor ich sie sah, hätte ich nie geglaubt, dass die Natur derartiges schaffen könne. Die Lady kritisierte den Aberglauben und das Interesse an der Alchemie, der auch der Kaiser nicht abgeneigt schien. Positiv beeindruckten sie Bibliothek und Gemäldesammlung des Prinzen Eugen, der auch den Philosophen Jean-Jacques Rousseau eingeladen hatte.

Im Jänner 1717 begann die strapaziöse Reise von Wien über Ungarn, Serbien und Bulgarien in die Türkei. Die Literatin stimmte den Inhalt ihrer Briefe auf die Empfängerinnen ab. Einer Dame aus dem königlich englischen Hofstaat schilderte sie ausführlich einen Besuch im Frauenbad. Dem befreundeten Abbé Conti teilte sie ihre Beobachtungen über den Islam mit: Unsere Kenntnis von den Sitten und der Religion sind mehr als unvollkommen. Man habe bisher wenig Wissenswertes erfahren, denn die fremden Kaufleute wären nur an ihren Geschäften interessiert und die Einheimischen mieden den Kontakt mit ihnen. Ihrer Schwester, Gräfin Mar, beschrieb sie detailliert die Tracht, die sie auch selbst verwendete. Dem Schriftsteller Alexander Pope schickte sie Kostproben eines Liebesgedichts. Einer Hofdame erklärte sie die Bauart der Häuser und Paläste, die ihr sehr zusagte. Dabei ist ihr der Neuigkeitswert bewusst, weil andere Verfasser gerne das schildern, was sie nie gesehen haben. … Nur wenn er von einem gewissem Rang ist oder zu einem außerordentlichen Anlass kann ein Christ das Haus eines Vornehmen betreten, ihre Harems aber sind stets verbotener Boden. Einmal war sie von der Gattin des Großwesirs zum Speisen eingeladen, was bisher noch keiner Christin zuteil ward. Dabei unterhielten sie Sklavinnen mit Lautenspiel, Gesang und Tanz. Ein weiterer Besuch, bei der Frau eines hohen Beamten folgte. Die Lady, die in der Wiener Hofgarderobe erschien, war von der Schönheit der Damen, der Kleidung und Gemächer geblendet.

Der erste Brief aus Konstantinopel ist mit 29. Mai 1717 datiert, der letzte fast genau ein Jahr später. Inzwischen war die Lady Mutter einer Tochter geworden (Mary Wortley-Montagu, 1. Baroness Mount Stuart, 1718-1762). Am 6. Juni 1718 startete die Heimreise. Sie führte über Tunis, Genua, Turin, Lyon, Paris und Calais, ehe die Familie des Diplomaten im Oktober Dover und damit England erreichte. Nach ihrer Rückkehr war die Lady wieder der strahlende Mittelpunkt der Londoner High Society. Das Ehepaar entfremdete sich, 1739 übersiedelte sie allein auf den Kontinent, nach Frankreich und Italien, und kehrte erst 1761, nach dem Tod ihres Mannes nach Großbritannien zurück. Ich habe Teile von Asien und Afrika gesehen, fast ganz Europa durchreist und mir erscheint der biedere englische Landedelmann glücklicher … (der meint), dass es keinen wahren Lebensgenuss außerhalb Alt-Englands gibt. Lady Montagus unterhaltsame "Briefe aus dem Orient“ wurden von den Adressaten in England zunächst von Hand zu Hand weitergegeben, 1763 posthum publiziert und bis heute immer wieder neu aufgelegt. Vor mehr als 300 Jahren engagierte sie sich für Frauenrechte und propagierte die Impfung gegen die Pocken, an denen ihr Bruder verstorben war. Durch ihren Einfluss impfte Jan Ingenhousz (1730-1799) die Familie Georgs III. von Großbritannien und die Familie von Maria Theresia. Die österreichische Kaiserin verpflichtete Ingenhousz 1768 als Hofarzt.

hmw