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Mara Reißberger - Tom Koch: Forte finden / finding Forte#

Bild 'Forte'

Mara Reißberger - Tom Koch: Forte finden / finding Forte. Mit Beiträgen von Sarah Hyndman, Julia König, Toshi Omagari, Martin Tiefenthaler und Interpretationen von zeitgenössischen KünstlerInnen. Deutsch / Englisch. Slanted Publishers Karlsruhe. 224 S., ill., € 29,-

"Forte" - "laut, stark, kräftig". Der Name ist Programm für "die lebendige und freundliche Schrift, die jeder kennt", wie sie der Herausgeber Tom Koch nennt. Als einziger veröffentlichter Schriftentwurf (Karl) Reißbergers erschien die Forte 1962 bei The Monotype Corporation, wurde 30 Jahre später digitalisiert und ab Mitte der 1990er Jahre weltweit mit Microsoft Office Programmen ausgeliefert. Vom Blei- über Fotosatz bis hin zur Digitalisierung und Distribution über digitale Kanäle lassen sich also alle technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte anhand dieser Schrift nachzeichnen. … Die Forte wird häufig von Menschen genutzt, die wenig oder keine Ahnung von typographischen Regeln haben und sich darum auch nicht sonderlich kümmern. Sie wird gestaucht, verzerrt und nicht immer pfleglich behandelt. Dennoch behält sie stets Haltung.

Es gibt praktisch keine Branche, die sich ihrer nicht bedient. Besonders beliebt ist sie für Lebensmittel und gastronomische Einrichtungen. Warum, hat die englische Grafikdesignerin Sarah Hyndman erforscht: Geschwungene Schriften, die einen gewissen Kontrast aufweisen und Bewegung suggerieren, vermitteln Zufriedenheit beim Essen. Die Buchstaben scheinen zu fließen und ineinander überzugehen. Die Forte passt in diese Kategorie … ihre Formen machen Appetit und wecken das Interesse an dem, was folgt. Hyndman nennt sie eine visuelle Kurzschrift für Nahrungsmittel.

Karl Reißberger (1915-1983)ließ sich bei seinen Schriftentwürfen von der Natur inspirieren: In den Gewächsen, den Blättern, Ranken und Rispen fand ich alle jene Details, die schließlich im übertragenen Sinne die Buchstaben der Schreibschriften ergaben. Einen Lieblingsplatz unter seinen Pflanzenmodellen nahm das Schilf ein. Der Künstler zeichnete seine Schriften auch mit gespitzten Schilfrohren. Aus diesem Schreibmaterial quellen mir immer neue Schriftformen. Eine davon ist Forte, schrieb er 1961. Der Werbegrafiker zeichnete die Typen auf kariertem Papier, jeden Buchstaben streng in einem rechteckigen Rahmen. Trotzdem entstand eine überaus lebendige Schrift. Betrachter nennen sie fröhlich, freundlich, fantasievoll, warm, entspannt und heiter.

Karl Reißberger war gelernter Schriftsetzer und wirkte als Gebrauchsgrafiker und Atelierleiter, entwarf Plakate, Inserate und Schutzmarken. Er verfasste Fachpublikationen (u. a. "ABC des Semperitz-Gummitonplatten-Schnittes", "Schrift - Bild - Druck"), gestaltete die "Graphische Revue Österreichs" und entwickelte die Farbmonotypie als spezifisches Ausdrucksmittel. Als frei schaffender Künstler schuf Reißberger Linol- und Holzschnitte, Radierungen, Aquarelle und Ölbilder, die er in Ausstellungen präsentierte. Für sein Wirken erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, wie den Professorentitel, Ehrenpreis der Stadt Wien, Ehrenmitgliedschaft des Künstlerhauses, Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, letztlich ein Ehrengrab.

Als langjähriger Lehrer bzw. Direktor (seit 1966) der Berufsschule für graphische Gewerbe in Wien suchte er den Kontakt mit der Jugend, "um von ihr zu lernen", wie sich seine Tochter Mara Reißberger erinnert: Man bescheinigt ihm hohe Fachkompetenz, ausgezeichnete pädagogische und methodische Fähigkeiten im Klassenzimmer und in der Lehrwerkstätte. … Auch über die Ausbildungszeit hinaus hielt er mit vielen seiner Schüler Kontakt … Der Beitrag der Kunsthistorikerin und Universitätslektorin zeichnet das Bild eines Menschen mit Tiefgang. Als kleines Mädchen bekam sie von ihm das "Frühlings-Malbuch" geschenkt - liebevoll kind-gerecht, ermunternd, fördernd … Mein Interesse am Dahinter-Schauen, mein Wollen, Dingen möglichst tief auf den Grund zu gehen, verdanke ich letztlich meinem Vater. … An die Entstehung der Forte selbst erinnere ich mich nicht mehr. Umso mehr an die Freude, als sie in England von Monotype angekauft wurde, schreibt die Herausgeberin.

Das war 1962. 2022 überarbeitete der Schriftdesigner Toshi Omagari im Auftrag von Microsoft den Font, der nun als "Forte Forward" den veränderten Anforderungen entspricht. Damit wird sicher gestellt, dass Karl Reißbergers Schrift auch 60 Jahre nach ihrer Veröffentlichung weiterhin weltweit Verwendung finden wird. Als Toshi Omagari im Monotype-Archiv auf der Suche nach zu überarbeitenden Bleisatz-Schriften war, fiel ihm die Forte aus mehreren Gründen auf: Sie ist eine schöne Schreibschrift mit lebendigem Charakter, ihre positive Ausstrahlung überwindet alle technischen Kompromisse, bewundert der Experte die Schrift. Wie er schreibt, besteht der Zweck von Schrift-Revivals darin, das ursprüngliche Konzept in vollem Umfang zu verwirklichen. … Eine Schrift hat ihr eigenes Leben und wird zu etwas anderem, wenn sie erst einmal in der freien Wildbahn ist. Ich denke, es ist wichtig, dies anzuerkennen und zu beweisen, dass diese Schrift auch heute noch von Relevanz sein kann. Ich hoffe, dass die "Forte Forward" ihr Publikum findet, wie es die Forte getan hat - und das Erbe der Forte am Leben hält.

Selten wird einer einzigen Schrift eine so verdiente Würdigung zuteil. Das zweisprachige Buch "Forte finden / finding Forte" ist Teil eines Projekts des Grafikdesigners Tom Koch. Dazu zählen auch eine Ausstellung im Designforum im Wiener Museumsquartier, Workshops und die internationale Einladung, sich auf die Suche der Schrift "in freier Wildbahn" zu begeben. Die Ergebnisse sind überraschend: vom Glaubenskurs bis zum Sexshop, von der Fahrschule bis zum Alpengarten. Eine Auswahl ist im Internet zu sehen. Das Buch ist gleichermaßen professionell wie einfühlsam gestaltet. Leitfarben sind, als Reminiszenz der 60er Jahre, Gelb, Weiß und Schwarz. Fachleute schrieben kompetente Artikel. 31 zeitgenössische KünstlerInnen waren eingeladen, sich mit den organischen Formen der Forte auseinanderzusetzen. Ihre Designs, Grafiken, Textilien, Videoinstallationen … sind in einem eigenen Kunstdruckteil zu sehen. Zahlreiche Anwendungsbeispiele illustrieren den Band, der nicht nur für an der Typographie interessierte gedacht ist. Tom Koch, der mit seinen Publikationen "Ghostletters Vienna" und "Midcentury Vienna" Aufmerksamkeit für die visuelle Kultur der 1950er und 1960er Jahre geweckt hat, motiviert: Gehen Sie nach der Lektüre dieses Buches doch ein paar Schritte vor die Haustür und sehen Sie sich um. Ich bin sicher, Sie werden recht bald der Forte - mit neuem Blick - begegnen: finding Forte!

hmw