Matthias Schickhofer: Wildes Waldviertel#
Matthias Schickhofer: Wildes Waldviertel. Geheime Paradiesplätze, versteckte Urwälder, magische Natur. Brandstätter Verlag Wien. 208 S., ill., € 35,-
Das Waldviertel bietet keine Superlative - aber viele Überraschungen. Mit dem richtigen Blick kann man im Norden Niederösterreichs Phänomene aus der ganzen Welt entdecken: Fjordartige Seen wie in Lappland, an Schweden erinnernde Nadelforste, skandinavisch anmutende Birkenwälder, sibirische Niedermoore, nordamerikanische Prärie, toskanische Terrassenfluren oder die Urwälder der Karpaten. Der Naturfotograf und Umweltschützer Matthias Schickhofer hat den richtigen Blick und kennt sie alle. Doch nach weiten Reisen kommt er immer gerne in seine Heimat, das Kamptal, zurück: Die besondere Landschaft des Waldviertels - mit ihren malerischen Terrassen- und Streifenfluren , kleinen Waldgruppen, Büheln, bizarren Felsformationen, Waldbächen, unterirdischen Klein-Wasserfällen, Auwäldchen, Mooren, verwilderten Teichufern und wilden Hangwäldern - hat mich vieles über die Vielfalt des Lebens und die Welt an sich gelehrt.
In diesem großartigen Fotobuch - für dessen exzellente Ausstattung der Brandstätter-Verlag bürgt - gibt der Autor sein Wissen und seine Begeisterung für dieses Stück (fast) unberührter Natur weiter. Schickhofer, Sohn eines Künstlers und langjähriger Greenpeace-Aktivist, lädt zur Entdeckung der Wildnis nebenan ein. Als Einheimischer führt er durch die stillen Täler von Kamp, Zwettl, Lainsitz, Krems, Ysper und Thaya, in den grenzüberschreitenden Nationalpark und auf den Truppenübungsplatz, zu Wackelsteinen und Feenplätzen. Die mystische Anderswelt des Waldviertels regt die Phantasie an, doch für Esoterisches ist hier kein Platz. Vielmehr motiviert der Autor, der sich schon als Kind von unzugänglichen Naturplätzen angezogen fühlte, zu deren Erkundung und Beobachtung. Er tut dies mit 150 faszinierenden Farbaufnahmen, persönlich gestaltetem Text und praktischen Tipps, wie über Wanderrouten oder Wildpflanzen.
In Wilde Wälder, steile Hänge erfährt man Interessantes über die "echten" Wälder des Waldviertels und versteckte Urwaldreste, wie sie im Freiwald, dem Einzugsgebiet der oberen Lainsitz, zu finden sind: Eine wilde Enklave aus Buchen, Bergahorn, Linden sowie einigen Fichten und Tannen. Manche der Bäume sind von gewaltiger Gestalt. Im Waldviertel gibt es nicht nur Bäume in Fülle, sondern auch "Die Parallelwelt der Moore". Viel ist nicht mehr von den ausgedehnten Sümpfen übrig, aus denen in der Eisenzeit Raseneisen-Erze und im 18. Jahrhundert Torf gewonnen wurden. Aber Matthias Schickhofer gelingt es immer wieder, unkartierte "geheime Moore" aufzustöbern. Eines versteckt sich in einem Fichten -Kiefernforst im Waldviertler Hochland. Kein Weg führt in das Zentrum des kleinen Hoch- und Übergangsmoores. … Ein betörend aromatischer Geruchsmix. Die bläulichen Nebelschwaden ziehen über das Moor und geben sich ändernde Ansichten frei auf die ungewöhnliche Landschaft - und verhüllen sie dann wieder. Etwas später kommt die Sonne durch und schickt gebündelte Lichtstrahlen in die von Nebel weichgezeichnete Luft. Großformartige Fotos geben die speziellen Stimmungen wieder, als wäre man bei der Entdeckung dabei gewesen.
Das dritte Charakteristikum der Region sind nutzlose Orte aus Granit. Die mythenumwobenen Wackelsteine finden sich im Naturpark Blockheide bei Gmünd, bei Kautzen, St. Oswald im Yspertal und im Kremstal. Die typischen Formen der Granitblöcke gehen nicht auf die Schürfarbeit von Gletschern zurück, wie etwa in den Alpen, sondern sind das Resultat von sehr langsamen chemisch-physikalischen Zersetzungsprozessen. … Die meist bemoosten und mit Flechten bedeckten Felsburgen und wie von Riesenhänden hingestreuten Trümmerhaufen erfreuen nicht nur ein esoterisch beseeltes Publikum, das hier "Kraftplätze" und geomantische Kräfte ortet, sondern bilden oft auch kleine, unwegsame Inseln artenreicher Restnatur und Keimzellen der Verwilderung. Viel zu entdecken gibt es auch in der verborgenen Welt der Schluchten und Bäche, an freien Fließgewässern. Die Wildniserlebnisse sind, wie auch bei den anderen Kapiteln, informativ beschrieben und auf einer Landkarte eingezeichnet.
Eine einzigartige Gegend stellt die Waldviertler Prärie, das Verwilderungsgebiet des Truppenübungsplatzes Allentsteig (TÜPL), dar. 1938 angelegt und seit 1957 vom österreichschen Bundesheer benützt, war der Schießplatz der größte Europas. 42 Ortschaften wurden dafür zerstört und 6.800 Einwohner abgesiedelt. Acht Jahrzehnte später ist der TÜPL- 45 % des Areals sind Brachflächen - ein bedeutendes Rückzugsgebiet für bedrohte Tiere. Fast 11.000 Hektar gelten als Europaschutzgebiet nach dem EU-Programm "Natura 2000". Matthias Schickhofer hat es mit dem Sachbearbeiter für Ökologie besucht. Josef Kugler zeigte ihm Seeadler und Birkhühner, erzählte von Bibern und Wölfen. Die letzte Exkursion durch das artenreiche Waldviertel führt in das malerische Streifenland. Diese Seelenlandschaft seiner Kindheit erinnert den Autor an Reisterrassen in Asien und an die Toskana. Er würdigt die langgezogenen Streifenfluren als Meisterleistung bäuerlicher Landschaftsgestaltung und schreibt: Die Umgestaltung des Waldviertels vom Urwald zur geradezu kunstvoll gestalteten Kulturlandschaft ging unter gewaltigen Mühen und Plagen vonstatten. Dabei sind Gebiete mit einem außergewöhnlichen Charakter und Charme entstanden. … Das Waldviertel (könnte) als inspirierendes Vorbild für die Verbindung von Bewirtschaftung einer Landschaft und ihrer Anreicherung mit Biodiversität dienen.