Robert Wagner: Brasilianische Reisen#
Robert Wagner: Brasilianische Reisen. Die Hochzeitsreise der Erzherzogin Leopoldine nach Rio de Janeiro. Forscher, Künstler, Diplomaten und der erste Kaiser von Brasilien. Verlag Bibliothek der Provinz Weitra. 462 S., ill., € 34,-
Der fast 500-seitige Band liest sich spannend wie ein Abenteuerroman. Und doch ist jedes Wort wahr. Dafür bürgt der Autor, Robert Wagner, langjähriger Leiter der Bibliothek und des Kupferstichkabinetts der Akademie der bildenden Künste in Wien. Sie besitzt 763 Aquarelle und Zeichnungen des Landschaftsmalers Thomas Ender (1793-1875) aus Brasilien. Robert Wagner hat Ausstellungen dieser Werke in Wien, Sao Paulo und Rio de Janeiro kuratiert und eine dreibändige Monographie mit allen Aquarellen und Zeichnungen Enders herausgegeben. Der spätere Akademieprofessor und Kammermaler Erzherzog Johanns unternahm von Jugend an bis ins hohe Alter zahlreiche Studienreisen. Nach 200 Jahren sind seine Kunstwerke zugleich wertvolle historische Dokumente. Enders großer Mäzen, Wenzel Lothar Fürst Metternich, engagierte ihn 1817 für die österreichische Brasilienexpedition.
Die Forschungsreise war ein Prestigeprojekt des Kanzlers. Er hatte Kaiser Franz II./I. überzeugt, sein fünftes Kind, Leopoldine (1797-1826), mit dem portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro (1798-1834) zu verheiraten. Der Monarch hatte schon seine Tochter Maria Louise (1796-1821) dem Erzfeind Napoleon aus Staatsräson zur Frau gegeben. Nun wollte er nicht auch Leopoldine ins Unglück stürzen, weil ihm die charakterlichen und gesundheitlichen Defekte des Bräutigams bekannt waren. Doch Metternich erwies sich als stärker.
Die erste Kaiserin von Brasilien, die die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Landes wesentlich mitgestaltete, war hoch gebildet und vielseitig interessiert, besonders an den Naturwissenschaften. Sie freute sich, im fremden Kontinent ein reiches Betätigungsfeld zu finden. Das portugiesische Königshaus tat alles, um sie zu beeindrucken. Feste wurden inszeniert, die den Veranstaltern fast den finanziellen Ruin brachten. "Brasilianische Hochzeit" wurde in Wien zum Synonym für Luxus. Die Erzherzogin erhielt ein in Diamanten gefasstes Portrait des zukünftigen Gemahls. Die Gabe verfehlte ihre Wirkung nicht. Er sei "schön wie Adonis", schrieb Leopoldine ihrer Schwester. Die anfangs glückliche Ehe endete tragisch. Leopoldine, die maßgeblich zur Entstehung des Kaiserreichs Brasilien beigetragen hatte, wurde von ihrem Gemahl immer schlechter behandelt. Seine Brutalität dürfte auslösend für den Tod der noch nicht 30-jährigen gewesen sein..
Für Metternich standen politische und kolonisatorische Überlegungen im Vordergrund. Diesem Ziel sollte auch die Expedition dienen, deren Oberbefehl er. sich vorbehielt. Der Leiter des k. k. Hofnaturalienkabinetts, Carl von Schreibers (1775-1852), nominierte die Teilnehmer. Er wählte den Zoologen Johann Natterer und den Hofgärtner Heinrich Wilhelm Schott sowie den k. k. Hofbüchsenspanner Ferdinand Dominik Sochor aus. Natterer, dessen Familie sich im Hofnaturalienkabinett schon jahrelang Verdienste erworben hatte, sollte die Expedition leiten. Sein Vater Joseph Natterer sen. (1755-1823) war der letzte Oberstfalkenmeister des Kaisers in Laxenburg. Nach der Auflassung dieses Amtes engagierte ihn Kaiser Franz bei der Einrichtung seines Naturalienkabinetts, dessen Grundstock die ornithologische Privatsammlung von Joseph Natterer sen. bildete. Dessen Sohn Joseph Natterer jun. (1786-1852) betreute die kaiserliche Vogelsammlung, während Johann Natterer (1787-1843) mehrere Transporte, u. a. aus Ägypten und Tunis, mit natur- und kunsthistorischen Gegenständen für das Naturalienkabinett organisierte. Trotz seiner Kompetenz wurde Johann Natterer jedoch übergangen, weil ihm der Kaiser den Prager Mediziner und Botaniker Johann Christian Mikan als Expeditionsleiter vorzog. Dies führte in der Folge zu großen Spannungen und der Abberufung des Professors.
Die Unternehmung stand unter keinem guten Stern. Schon zwei Tage nach dem Start in Triest im April 1817 gerieten die beiden Fregatten "Austria" und "Augusta" in Seenot und mussten wochenlang repariert werden. Die "Austria" traf am 14. Juni in Rio de Janeiro ein. Die "Augusta" wartete auf die portugiesischen Hochzeits-Schiffe und erreichten ihr Ziel erst im November. Unter welchen problematische Umständen die Forschungsarbeiten durchgeführt wurden, klingt unglaublich: Politische Unruhen, Angriffe der indigenen Bevölkerung, keine Infrastruktur, schlechte Verpflegung, Krankheiten, Verlust der Exponate … lassen sich kaum beschreiben. Robert Wagner ist trotzdem eine detailgetreue Darstellung gelungen. Zusammen mit Enders Bildern entsteht ein faszinierendes, oft erschreckendes Mosaik der Forschungsreise vor 200 Jahren.
Die ersten Teilnehmer traten schon im Juni 1818 die Heimreise an, darunter Prof. Mikan, Thomas Ender und der schwer verletzte Pflanzenmaler Johann Buchberger. Wegen der Unruhen in Brasilien sollten Anfang 1821 alle österreichschen Forscher die Reise abbrechen, doch Natterer blieb - im Ganzen 18 Jahre lang. Auf seinen zehn Reisen besuchte er Gebiete um São Paulo und Rio de Janeiro sowie die Provinz Minas Gerais. Seine Expeditionen führten ihn u. a. zum Amazonas und an die bolivianische Grenze. Er sammelte mehr als tausend Säugetiere, 12.000 Vögel, 33.000 Insekten sowie andere Tiere. 1832 heiratete er die 24-jährige Maria Josepha do Rego. Ihr Vater war Portugiese, ihre Mutter Indianerin. Sie sprach portugiesisch und lebte wie eine Weiße. Ihre Tochter Gertrude Natterer (1832- 1895) erhielt ihren Vornamen im Gedenken an Donna Gertrude, die Besitzerin einer Zuckerrohrplantage, die Natterer das Leben gerettet hatte. Gertrude Natterer ehelichte.1851 in Wien den Conchyliologen und Ministerialsekretär Julius Freiherr Schröckinger von Neudenberg (1814 - 1882), mit dem sie vier Kinder hatte.
1835 verließ Johann Natterer mit seiner Familie Brasilien. Seine mehr als 2000 Exponate aus 70 Ethnien gehören zu den wichtigsten Sammlungen des Weltmuseums und zählen weltweit zu den Bedeutendsten ihrer Art. Da die Anzahl der Objekte alle Erwartungen übertraf, war es schwierig, sie adäquat unterzubringen. Als Provisorium bot sich (1833-1836) das "Brasilianische Museum" in sieben Räumen des Palais Harrach an. 1835 war Kaiser Franz nach 44 Regierungsjahren verstorben. Sein Sohn Ferdinand I. hatte kein Interesse am Brasilianum. Nach der Revolution von 1848 dankte er ab. Als die kaiserlichen Truppen Wien belagerten, schossen sie das Dach der Hofburg in Brand. Dadurch wurden große Teile des Naturalienkabinetts und die Wohnung Direktor Schreibers' zerstört. Johann Natterer, dessen Verdienste nie wirklich anerkannt wurden, musste das traurige Ende nicht mehr erleben. Er starb 1843 mit nur 56 Jahren an den Folgen der Tropenkrankheiten.