Manfred Wasner: Das soziale Leben rund um unbewegliche Sachen#
Manfred Wasner: Wie ein lebendiges Stadtviertel entsteht #
Manfred Wasner: Das soziale Leben rund um unbewegliche Sachen. Erinnerungen zum Werden des "Wohnen und Arbeiten" sowie der "Sockelsanierung" in Wien. Neobooks Berlin 2021. 264 S.
Manfred Wasner: Wie ein lebendiges Stadtviertel entsteht. Erkenntnisse aus der Wiener Development-Serie „Wohnen und Arbeiten“. Springer Verlag Wiesbaden. 308 S., ill., € 28,77
Der vielfach ausgezeichnete Architekt und Baumeister Manfred Wasner hatte nach seinem Studium an der TU Wien eine Reihe verantwortungsvoller Funktionen im Wiener Baugeschehen inne. Er war u.a. Projektleiter bei der Donauinsel, im AKH, Geschäftsführer der ARWAG, der "Migra" und der "kabelwerk"- Bauträger GmbH. Das Genre seines Taschenbuchs gibt der Autor als "Memoiren, Berichte, Erinnerungen" an. Der Titel "Unbewegliche Sachen" bezieht sich auf das österreichische ABGB und meint "Immobilien".
Rückblickend auf fast ein halbes Jahrhundert erinnert sich der Autor an kreative Umplanungen, bürokratiche Hürden und wichtige persönliche Kontakte. Manchmal gibt es bei den "Unbeweglichen Sachen" auch etwas zum Lachen. Am Beginn seiner Karriere war der Verfassser mit dem Assanierungsgebiet Otttakring beschäftigt. . Im Nachkriegs-Wien hatte man unter "Assanierung" oder "Stadterneuerung" das Schleifen der inzwischen abgewohnten historischer Bausubstanz, Absiedlung der Mieter und moderne Neuverbauung verstanden. In Ottakring wollte man einen anderen Weg gehen als in Erdberg oder Lichtental. Das "Stadterneuerunggesetz" sollte erprobt werden und die Aktion bei den Medien gut ankommen. Die Häuser sollten ohne Absiedlung saniert und eine begleitende Gebietsbetreuung eingerichtet werden. Eine Mieterin war mit der angebotenen Ersatzwohnung nicht glücklich und versuchte, den Autor mit einem 1000-Schilling-Schein zu bestechen. Sie verfolgt den Verfasser durch das Lokal, durch de Verbindungstür ins benachbarte Wirtshaus und außen herum zurück ins Lokal. Dann wird es ihm zu bunt. Er raunt der Frau zu, was sie ihm zukommen lassen könne - so als ob es die Kollegen nicht hören dürften. Ein Blech Vanillekipferln, flüstert der Verfasser, "aber selbst gebacken!" … Im Laufe der Zeit ist der Verfasser zu einer Menge Vanillekipferl gekommen.
Naturgemäß machen die lustigen Begebenheiten in der harten Baubranche den kleineren Teil der Reminiszenzen aus. Die meisten, bei voller Namensnennung, beschäftigen sich mit Chefs und Kollegen. Aber auch dabei fehlt nie der Humor. Die beiden Bücher ergänzen einander. Geht es im einen um Persönliches, so wendet sich das andere als Sachbuch an alle an urbaner Wohnzufriedenheit Interessierten.
Bis ins 19. Jahrhundert war Wohnen und Arbeiten unter einem Dach selbstverständlich. Bauern-, Handwerker- oder Händlerfamilien lebten mit dem Personal in ihren Betriebsstätten. Großstädtische Miethäuser - wie das 1769 eröffnete "Freihaus" im 4. Wiener Bezirk Wieden boten 1000 BewohnerInnen Platz. Mit Märkten, Werkstätten, Kirche und Theater war es eine Stadt in der Stadt, mit vielfältigen Nutzungen. Das große Bauproramm des "Roten Wien" verlegte den Schwerpunkt auf das Wohnen. Von den 99.561 Wohnungen der Jahre 1918 bis 1945 befanden sich zwei Drittel in Gemeindebauten. Gemeinschaftseinrichtungen und Grünräume wurden mitgeplant, doch Arbeitsplätze in unmittelbarer Umgebung waren kein Thema. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden monofunktionale "Schlafstädte" wie die Großfeldsiedlung mit 5519 oder die Per-Albin-Hansson-Siedlung mit 6000 Wohnungen. Kritik daran blieb nicht aus, die Kommune suchte neue Wege.
Die vorhandenen Probleme mit der Entmischung - sozial genau so wie verkehrlich - gelangten 1973 mit dem Amtsantritt von Hans Mayr als Finanzstadtrat in den Fokus der Politik. … (Die Lösung) sollte in der Nutzungs-Mischung des Prinzips "Wohnen und Arbeiten" erfolgen, sowie als Mischung von erhaltender Erneuerung und Neubau, weiters im Aufgreifen des "Wohnpark"-Begriffs des "Wohnpark Alt-Erlaa", eingebettet in Grün. ... Als Hans Mayr nach 21 Jahren im November 1994 als Stadtrat in den Ruhestand ging, waren 14 gemischt genutzte Anlagen mit 5158 Wohneinheiten disponiert … Konsequente Nutzungs-Mischung war für alle diese Anlagen kennzeichnend. … An den letzten Siedlungen des Modells "Wohnen und Arbeiten" wurde noch bis 2001 gebaut., schreibt Manfred Wasner. Er war seit 1978 verantwortlich für die Umsetzung von Investments in eineinhalb Millionen Quadratmeter Wiener Immobilien-Nutzfläche, darunter rund 20.000 Wohneinheiten. Manfred Wasner analysiert große Wiener Wohnsiedlungen in mittleren Lagen der Stadt: 16, Wohnpark Sandleiten; 3, Wohnpark Rennweg; 20, Wohnpark Dresdner Straße; 20, Wohnpark Handelskai; 3, Wohnpark Erdberg; 15, Meiselmarkt; 19, Zentrum Muthgasse; 22, Wohnpark und Hochhaus Neue Donau; 17, Wohnpark Kreuzgasse; 21, Trillerpark; 20, Millennium City; 2, Wohnpark Molkereistraße; 12, Kabelwerk, 23, Liesinger Brauerei. Sie repräsentieren das städtebauliche Pioniermodell "Wohnen und Arbeiten" der 1980er und 1990er Jahre. In exakten (und auch für Laien nachvollziehbaren) Fallstudien referiert der Autor u. a. Lage, Größe, Leit-Nutzungen, Wohnbauförderung, Wohnungen, Betriebe , frühere Nutzung, Investoren, Projektentwicklung, Finanzierung und Betrieb. Fotos, Pläne Diagraamme und Tabellen ergänzen die Analyse. Zu den "Leuchtturm-Projekten der Stadterneuerung" kommt eine Reihe von Vergleichsbeispielen - vom damals spektakulären Projekt "Alt-Erlaa" bis zur noch im Entstehen begriffenen "Seestadt Aspern".
Die Leuchtturm-Projekte erwiesen sich als wirtschaftlich erfolgreich, ohne öffentliches Investment. Sie haben ihr Ziel - Wohnzufriedenheit, Integration, Umwelt- und Klimaschutz - erreicht. Das Modell "Wohnen und Arbeiten" umfasst Siedlungen mit Nutzungs-Mischung in der Größe von durchschnittlich je 60.000 m² verwertbarer Nutzfläche. Auf 43 Hektar sind 5.158 Wohneinheiten (zu 95% gefördert) für rund 10.000 Personen, 4000 Arbeitsplätze und 10.700 Garagenplätze entstanden. In heutigem Geldwert ein Investment von circa zwei Milliarden Euro.
Nach mehreren Jahrzehnten bewahrheiten sich die Annahmen des "Mayr-Modells". Neue Herausforderungen sind dazu gekommen, wie Bevölkerungswachstum, der pandemiebedingte Trend zum Homeoffice oder Klima-Resilienz. Die Stadt Wien könnte noch mehr "Wohnen- und Arbeiten"- Siedlungen vertragen. Doch liegt der Schwerpunkt derzeit wieder auf monofunktionalen Projekten. Architekt Manfred Wasner hat in seiner Forschung herausgearbeitet, welche Instrumente für die Entstehung lebendiger Stadtviertel erforderlich sind. Er nennt "planrechtliche Festsetzung", "städtebauliche Verträge", "spezifische gesetzliche Vorschriften", "Förderungsbedingungen", "Vergabebedingungen bezüglich öffentlichen Eigentums" und "Partnerschafts-Verträge". Dazu bedarf es allerdings des politischen Willens und des Zusammenwirkens der Geschäftsgruppen für Wohnen, Wirtschaft und Stadtplanung.