Christoph Antweiler: Heimat Mensch#
Christoph Antweiler: Heimat Mensch. Eine populäre Ethnologie. Alibri Verlag Aschaffenburg.. 315 S., ill., € 20,-
Wissenschaft für Laien verständlich darzustellen, ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Ein leuchtendes Beispiel liefert der Ethnologe Christoph Antweiler, Professor für Südostasienwissenschaft am Institut für Orient- und Asienwissenschaft an der Universität Bonn. 2022 erschien sein faszinierendes Taschenbuch Heimat Mensch. Eine populäre Ethnologie.. Gleichzeitig arbeitete der Autor an einem 600-seitigen Fachbuch in akademischer Stilistik. Für mich war das Projekt ein Abenteuer. Ich musste lernen, ein Buch zu schreiben, das kurz ist und den Text so zu verfassen, dass er für Laien zugänglich ist. Eine echte Herausforderung für einen Wissenschaftler, der im akademischen Betrieb in Deutschland zu Hause ist.
Seine populäre Ethnologie hat mit "Populärwissenschaft" nichts zu tun. Popularisierung gilt schnell als unmoralisch. … Populäre Repräsentation von Kultur macht sich schnell ungewollt zum Komplizen in der Schaffung von "Anderen". Antweiler verfolgt den entgegengesetzten Ansatz: Jede Kultur ist einzigartig - und wie alle anderen. In 17 Kapiteln geht es anhand lebendiger Beispiele um Universalien. Eine Liste aus dem Jahr 1945 nannte 73 Universalien - von "Abstillen" bis "Zahlen". Heute ist sie doppelt so lang.
Der Autor verzichtet auf eine Einleitung und wählt einen dramatischen Einstieg. Er erzählt vom britischen Seefahrer James Cook (1728-1779), dessen Nachlass das Weltmuseum Wien verwahrt. Cook war kein Konquistador, sondern ein Forschungsreisender, dem das Wohl seiner Crew am Herzen lag. Er war an fremden Kulturen interessiert und von deren Kenntnissen fasziniert. Als Kind seiner Zeit glaubte er an den "edlen Wilden". James Cook wurde von Inselbewohnern ermordet. Über den Grund streiten Historiker und Ethnologen noch immer. Vielleicht spielte der mangelnde Respekt seiner Crew vor den Einheimischen eine Rolle, denn In der polynesischen Kultur Hawaiis waren Ehre, Rang und Respekt entscheidende Größen.
Um Respekt und Macht geht es auch im 2. Kapitel. Beispielze stammen u. a. aus Brunei in Südostasien und vom englischen Königshof. Da wie dort sind "oben" und "unten" genau definiert. Nackten Tatsachen, Sex und Moral, ist das ausführliche 3. Kapitel gewidmet, in anderen geht es um Gefühle und Romanzen. Kunst quer durch die Kulturen konnte der Autor in New York studieren. Im Mittelpunkt einer Vernissage standen die überdimensionale Figur eines Schweins und monströse Anordnungen von Luftballons von Jeff Koons. Würde der Megastar seine Schweine in einem Kindergarten präsentieren, käme kaum jemand darauf, sie für Kunst zu halten. Häufig ist der soziale Ort, das Wissen und der kulturelle Rahmen entscheidend, ob etwas als Kunst gesehen wird. Der Ethnologe kam in der Galerie mit Indianern von der Nordwestküste ins Gespräch. Er kannte die dortigen Kunstwerke, die bis vor kurzem anonym waren. Kreativität im Sinn von etwas ganz Neuem, nie Dagewesenem, ist in den meisten nichtwestlichen Kulturen kein erstrebenswertes Ziel. … In vielen nichtwestlichen Gesellschaften gibt es Kunst nicht als eigens unterschiedenen Lebensbereich. … Sie ist einfach ein Teil des Lebens- und sie hatte oft mit Religion zu tun. Religiosität verbindet Kulturen - Religionen trennen sie, stellt der Autor an anderer Stelle fest.
Er schreibt auch über die eigenen Welten von Spiel und Sport. In allen Kulturen begeben sich Menschen immer wieder aus reiner Freude in eine Sphäre, in der andere Regeln gelten als im normalen Leben. Sie simulieren eine Parallelwelt …. Überall spielen Kinder Fangen. In allen Kulturen gibt es das Versteckspiel. … In allen Kulturen gibt es Kinder und Erwachsene, die mit Bällen spielen. … In allen Kulturen wird mit Puppen gespielt … Die meist verkaufte Puppe der Welt ist "Barbie". Bisher wurden in 43 Ländern 800 Millionen Exemplare abgesetzt. Sie erblickte 1959 in den USA das Licht der Welt. 1966 kam sie auf den deutschen Markt und hier begann ihr globaler Siegeszug. Seit 1980 produziert die Herstellerfirma Mattel "Ethnic Barbies". Leyla-Barbie und Marokko-Barbie waren für den islamischen Markt gedacht, wurden aber als "unislamisch" verboten. Die iranische Alternative "Sara" erschien 2002, sie trägt iranische Volkstracht, Tschador und lässt sich nicht umziehen. "Razanne" (von der amerikanischen Firma Noor Art) verkörpert das islamische Frauenideal. Es gibt sie in mehreren Varianten, das Umkleiden entfällt. Das Konkurrenzprodukt "Fulla" stammt von einem syrischen Produzenten. Im Vorderen Orient gibt es dazu Fulla-Lebensmittel, Fulla-Kaugummi und pinke Fulla-Fahrräder.
In seiner vergleichenden Ethnologie bringt Christoph Antweiler nicht nur markante Beispiele, er gibt seinen Themen auch zügige Überschriften, wie: Scheuklappen und Identitätskämpfe, Gewaltverherrlichung und Konfliktvermeidung, Sonne und Mond, Kreis und Pfeil, Initiationsriten bei uns und anderswo, Verschieden sprechen und doch gleich denken, Entdeckungslust und Ethno-Pop, Der Anthropos im Anthropozän. Im abschließenden Werkstattbericht verrät der Autor, warum und wie das Buch entstand. Die erste Auflage erschien 2008, einige Kapitel kamen jetzt neu dazu. Heimat Mensch soll auch in dieser erweiterten Auflage die Vielfalt menschlicher Kulturen zeigen und die Muster im Meer dieser Vielfalt menschlicher Kulturen bewusst machen. Mit dem Text, den folgenden Medientipps und dem Glossar versuche ich zu zeigen, was Ethnologen machen und wie faszinierend das Fach ist. Das sollte hier wissenschaftlich fundiert erfolgen, aber in bewusst vereinfachender Weise und locker im Stil. Das Buch wendet sich an eine breite Leserschaft und soll gleichzeitig populistischen Haltungen entgegentreten. Um das zu signalisieren, lautet der neue Untertitel: "Eine populäre Ethnologie".