Lukas Arnold - Marcello La Speranza: Mosaikwelt Wien#
Lukas Arnold - Marcello La Speranza: Mosaikwelt Wien. Edition Mokka Wien 156 S., ill. € 24,50
Manchmal hat auch das Schlechte sein Gutes. In der Covid-Pandemie z.B. die Möglichkeit, die eigene Stadt auf Spaziergängen in aller Ruhe zu entdecken. Während Museen und andere Kultureinrichtungen geschlossen waren, haben Lukas Arnold und Marcello La Speranza die Wiener Bezirke durchstreift und eine reiche "Bild-Ernte" eingefahren. In ihrem Buch "Mosaikwelt Wien" stellen sie rund 100 Fassadendekorationen vor.
Schon im dritten vorchristlichen Jahrausend fertigten Künstler im Alten Orient Mosaike an. Durch Zusammenfügen von Teilen verschiedener Farbe und Form entstanden Bilder an Wänden oder Fußböden. Auch das vorliegende moderne Bilder-Buch kann man als Mosaik verstehen. Es ist bunt und abwechslungsreich, enhält aber auch einige Fehler (Graffiti statt Sgraffiti, Freihof statt Freihaus, Ersatzheer statt Entsatzheer). Die Beispiele entsprechen den Vorlieben der Autoren. Sie haben eine subjektive Auswahl von Bildwerken getroffen, die freilich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. und ihre Deutungen sehr persönlich formuliert. Verschiedene Fassadendekorationen kommen ins Spiel, neben Mosaiken Sgraffiti, eine Dekorationstechnik aus verschiedenfarbigen Putzschichten, bei der Teile der oberen Schicht abgekratzt werden und durch den Farbkontrast das Bild entsteht. Ebenso werden bemalte Fassaden und Reliefs behandelt.
In diesen beiden Techniken fand der Marcello La Speranza seine Lieblingsbilder, wie eine bemalte Fassade in Floridsdorf oder das Relief eines Drachen in Erdberg: Diese plastische Szene ist eines der Highlights meiner Touren gewesen, schreibt der Historiker und Erforscher der "Wiener Unterwelten". Lukas Arnold vom Forscherteam, der sich als "begeisterter Hobbyfotograf" bezeichnet, fand im Vogelweidhof bei der Stadthalle besondere Motive. Der Kommunalbau aus den 1920er Jahren ist mit detailreichen Märchendarstellungen geschmückt. Der Bildautor hat sie unter schwierigen Bedingungen abgelichtet. Auch ein Mosaik mit drei Ruderern in Simmering imponierte ihm: Es strahlt Ruhe und Frieden aus und zählt deshalb zu meinen Lieblingskunstwerrken.
In den 1950er Jahren wendete die Stadt Wien zwei Prozent der Bausumme ihrer Wohn- und Nutzbauten - rund 3 Mio. Schilling - für "Kunst am Bau" auf. Auf diese Art unterstützte sie 350 KünsterInnen mit 1000 Aufträgen. Themen waren die Geschichte der unmittelbaren Umgebung, Leistungen der Vergangenheit, arbeitende Erwachsene, spielende Kinder und Tierdarstellungen. In den 1960er Jahren bevorzugten die Auftraggeber Ornamente und Abstraktes. Neue Gemeindebauten werden kaum mehr mit Bildwerken versehen. "Kunst im öffentlichen Raum" ist an die Stelle der "Kunst am Bau" getreten.
Die Autoren beginnen ihren Spaziergang durch die Bilderwelten Wiens mit Wiener Sagen und Märchen. Die lokalgeschichtlichen Streifzüge führen in fantastische Welten, neben dem erwähnten "Märchenhof" zur "Spinnerin am Kreuz" und zum "Schab den Rüssel". Wie bei jedem Kapitel ergänzt eine Auswahl weiterer Adressen von Bildwerken zum Thema die Recherchen. Markant - und perfekt als Titelbild geeignet - ist das Kachelrelief Wien in den 1950ern, dessen Kopie den Hauptbahnhof ziert. Riesenrad, Stephansdom, Karlskirche, Tegetthoff-Denkmal und Stadthalle akzentuieren den Stadtplan, den Rudolf Hausner 1959 schuf. Obwohl das Werk den damaligen Fortschrittswillen dokumentiert, findet es sich im Kapitel "Altes Wien - Historische Ansichten". Älter sind die Motive der Sgraffiti Historisches Atzgersorf und Rund um die Laimgruben- und Windmühlgründe. Thematisch schließt Verschwundenes Wien an. Als eines der größten Kapitel umfasst es das Freihaus, den Roten Turm, Leopoldstadt, Favoriten, Erdberg und die Simmeringer Haide. Es folgen Weinstadt Wien, Vergnügungsstätten, Freizeitaktivitäten und Alltag. Bei den Fassadendekorationen wurde an das Gesellschatsbild im Wandel der Zeiten, Damalige Arbeitswelten, Errungenschaten der Vergangenheit, Persönlichkeiten und historische Fortbewegungsmittel ebenso gedacht wie an Krege und andere Nöte. Weitere Kapitel, wie Wiederaufbau, kritisch kommentierte Bildnisse aus der NS-Zeit, Bilder ohne historischen Aspekt verschwundene Mosaiken und besondere Motive runden den bunten Bilderbogen ab. Kurz wird einiger Künstler gedacht und eine Auswahl an Literatur genannt. Leider fehlt ein ausführliches Inhaltsverzeichnis.
Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht - und dabei hilft das Buch - wird Bildwerken wie den beschriebenen auf Schritt und Tritt begegnen. Dass die Auswahl nur einige Mosaiksteine aus dem Outoor-Museum vorstellen kann, liegt bei der Fülle des Vorhandenen auf der Hand. Vielmehr möchten die Autoren die geneigte Leserschaft aufmuntern, selbst auf Erkundigung zu gehen. Noch etwas ist ihnen wichtig: Wir wollen mit unseren - durchaus subjektiven - Betrachtungsweisen den Bildern das zurückgeben, was sie einst ausstrahlen wollten: Die Bejahug des Daseins, das Überwinden von Notlagen und die Freude an der Zukunft.