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Jürgen Bärsch: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes#

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Jürgen Bärsch: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes. Verlag Friedrich Pustet Regensburg. 208 S., € 20,60

Die Zahl der Mitglieder der römisch-katholischen Kirche in Österreich sinkt massiv. 2022 erreichte sie einen neuen Tiefststand. 90.800 Personen (ein Viertel mehr als im Vorjahr) verließen ihre Glaubensgemeinschaft. Derzeit zählt man 4,73 Millionen Katholiken. Das ist etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Bevölkerung. Vor 60 Jahren waren es noch 90 Prozent. Die im Jänner 2023 veröffentlichte Kirchenstatistik gibt Anlass zum Nachdenken. Dabei hilft ein Blick in die - oft problembeladene Geschichte.

Erstmals 2015 veröffentlichte der Theologe Jürgen Bärsch, Professor an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, eine "Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes". Jetzt ist die zweite, völlig überarbeitete, Auflage erschienen. Er gibt einen ebenso kompetenten wie kompakten und angenehm lesbaren Überblick über 1800 Jahre Liturgie in ihrem kulturellen Umfeld. Kurze, überschaubare Kapitel zeigen die Entwicklungen des Gottesdienstes und der Sakramentenspendung in der katholischen und evangelischen Kirche. Das Taschenbuch ist die ideale Lektüre für alle, die sich objektiv informieren wollen.

Die Anfänge der christlichen Liturgie erwuchsen aus jüdischen Wurzeln. Aussagen zum frühchristlichen Gottesdienst können nur äußerst vorsichtig getroffen werden. Bis ins 3./4. Jahrhundert bestanden unterschiedliche Formen und theologische Akzente. Die ersten christlichen Gemeinden versammeln sich in geeigneten Häusern von Gemeindemitgliedern. Einen aus dem Alltag ausgegrenzten heiligen Ort, einem Tempel ähnlich, benötigen sie nicht.

Zu Beginn des 4. Jahrhunderts bildeten die Christen im römischen Reich eine Minderheit, vermutlich 10 Prozent. Die Privilegierung der Kirche durch die staatlichen Herrscher, allen voran Kaiser Konstantin, machte das Christentum populär. Anno 321 erklärte er den Sonntag zum Tag der Arbeitsruhe. 325 bestimmte das Konzil von Nicäa den Termin von Ostern - damals das einzige Jahresfest. Um die gleiche Zeit, wohl zwischen 325 und 335, entstand in Rom das Fest der Geburt Christi am 25. Dezember.

Während sich das Christentum in den ersten Jahrhunderten weltweit ausbreitete, herrschte Vielfalt in der Struktur der Gemeinden und der Feier ihrer Gottesdienste. Im Vorderen Orient gab es drei Patriarchatssitze - Jerusalem , Antiochien (Syrien) und Alexandrien (Ägypten), im lateinischen Westen nur einen (Rom). 1054 trennten sich West- und Ostkirche. Eingehend beschreibt der Autor die "Liturgiefamilien".

Ein besonders interessantes Kapitel übertitelt er Ritus, Rom und Religiosität. Jürgen Bärsch schreibt: Der Epochenbegriff "Mittelalter", mit dem üblicherweise die tausend Jahre von der Mitte des ersten bis zur Mitte des zweiten Jahrtausends bezeichnet werden, suggeriert die Vorstellung, es handle sich dabei um ein weitgehend gleichbleibendes, kompaktes Zeitalter. … Das ist natürlich nicht der Fall. Der Übergang von der Spätantike zum Mittelalter gilt als "tiefster Umbruch der Kirchengeschichte" und "Dekomposition der alten Welt". An die Stelle einer urbanen Gesellschaft mit ihren sozialen und ökonomischen Voraussetzungen für Bildung, Wissenschaft und Kunst tritt zunehmend eine ländlich orientierte. Dem Priester kam eine Mittlerposition zu. Die Klerikalisierung der Liturgie hielt bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) an. Rom trachtete, seine Art des Gottesdienstes in der ganzen westlichen Kirche zu verbreiten. Trotz der Förderung durch Kaiser Karl den Großen (747-814) war es nicht möglich, eine einheitliche römische Liturgie im Karolingerreich zu etablieren. Es kam zu Mischformen, die auch Elemente anderer Traditionen übernahmen. Zum Beispiel die Palmprozession mit dem Palmesel, Fußwaschung, Kreuzverehrung oder Heiliges Grab. Solche Inszenierungen gaben den Anstoß zu religiösen Dramen, Passions- und Mysterienspielen des späten Mittelalters. Die visuelle Frömmigkeit stand im Vordergrund.

Für die Gläubigen bedeutete die "Augenkommunion" den Höhepunkt der Messe. Die äußerliche Religiosität provozierte Reformen. Das Bedürfnis nach Verinnerlichung und Spiritualisierung war das Anliegen der mystischen Bewegungen im Umfeld der Zisterzienser und Dominikaner. Unüberhörbar klingen hier bereits Ideen an, die an Aussagen der Reformation erinnern. Die Reformation und Etablierung der evangelischen Konfession bildeten eine massive Zäsur in der Geschichte der katholischen Kirche. Sie reagierte mit dem Konzil von Trient (1545-1563).

Für eine ernsthafte Diskussion mit den Reformatoren kam das Konzil eine ganze Generation zu spät. … Einerseits will es die katholische Glaubenslehre und Identität klären und verteidigen, andererseits die von den Reformatoren angeprangerten Missstände bekämpfen und das kirchliche Leben erneuern. In der Folge erschienen vom Papst approbierte römische Liturgiebücher, wie das Breviarium Romanum (1568) und das Missale Romanum (1570). Auch in den protestantischen Kirchen des 16. bis 20. Jahrhunderts kam es zu entscheidenden Entwicklungen. Der Liturgieprofessor fasst sie unter dem Titel Zwischen Auflösung und Erneuerung zusammen.

Im "katholischen Barock" erfuhr die so genannte Volksfrömmigkeit neuen Aufschwung. Muße und Verschwendung charakterisierten Gesellschaft und Kultur. Der barockzeitliche Überschwang der Pfarrgottesdienste forderte die Kritik geradezu heraus. Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) und mehr noch ihr Sohn Joseph II. (1741-1790) sahen sich zu Verboten veranlasst. Ein Propagandist der aufklärerischen Kritik war der Wiener Schriftsteller Joseph Richter. Unter dem Pseudonym Obermayr veröffentlichte er eine "Bildergalerie katholischer Misbräuche". Von den Armenseelen-Andachten über die Begräbnisse, Wallfahrten, das Glockengeläut bis zu den Bruderschaften, der Palmenweihe und der Fronleichnamsprozession werden genau die Themen aufgespießt, die in aufgeklärten Kreisen als nicht mehr hinnehmbar gelten, Die Liturgie sollte einfach und vernünftig sein. Diesbezügliche Bestrebungen gab es in Frankreich und Italien, doch die Reformprojekte führten nicht zum Erfolg. Es sind wohl einfach die falschen Protagonisten, und es ist die falsche Zeit, die für eine so umfassende Reform des Gottesdienstes noch nicht reif war.

Im Gegenteil, romantische Frömmigkeit und katholische Restauration, mit Volksmissionen und Maiandachten, das römische Papsttum (Dogma der Unfehlbarkeit, 1870) und die 400 Jahre alte tridentinische Liturgie gewannen vorerst die Oberhand. Zwischen den beiden Weltkriegen sorgte die "Liturgische Bewegung" in mehreren Ländern für ein Gegengewicht. Der österreichische Chorherr von Klosterneuburg bei Wien Pius Parsch (1884-1954) bringt in seinem Volksliturgischen Apostolat eine Fülle von Heften, Jahrbüchern und Zeitschriften zum Verständnis von Bibel und Liturgie heraus, die speziell für die Hand der Gläubigen gedacht sind. Ein "Klassiker" wird seine Erklärung des Kirchenjahres "Das Jahr des Heils", und mit den "Klosterneuburger Messtexten", die in vielen Pfarren ausliegen, erreicht er gar ein Millionenpublikum. Das Engagement für Gottesdienste in der Volkssprache und die Celebratio versus populum (den Gläubigen zugewendet) von Pius Parsch sind wichtige Meilensteine auf dem Weg der Erneuerung des katholischen Gottesdienstes durch das Zweite Vatikanische Konzil.

hmw