Hedy Bachinger, Josef Metzger: Maulbeerbaum & Küchenfeen#
Hedy Bachinger, Josef Metzger: Maulbeerbaum & Küchenfeen.
Eine Zeitreise voller Anekdoten beim Heurigen Prillinger-Metzger. Verlag Berger Horn - Wien. 144 S., ill., € 19,-
Wien im Biedermeier: In der Stadt tagt und tanzt der Kongress. Im Vorort Döbling geht es beim Heurigen lustig zu. Auch beim legendären Prillinger-Metzger, damals Fenz, genoss man die "goldene Backhendelzeit". Der Ausschank befand sich bis 2011 fast zwei Jahrhunderte hindurch in der Rudolfinergasse 7, nächst dem 1882 gegründeten Rudolfinerhaus. Jetzt nützt die Privatklinik das Areal des ehemaligen Prominenten-Heurigen, der für den ältesten Maulbeerbaum Wiens berühmt war.
Die letzte Chefin des Hauses, Hedy Bachinger, geb. Metzger und ihr Bruder, der Sportjournalist Josef Metzger, haben eine nostalgische Publikation über die Nachkriegsgeschichte der Buschenschank herausgegeben. Dagmar Koller, die das Vorwort zu dieser ganz speziellen Heurigen-Lektüre verfasste, blieb Haus und Familie seit ihrer Jugend verbunden. Die Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin und Ehefrau des Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk, schrieb: "G'schmackige Schmankerln, launig erzählt, witzig formuliert … lesen, schmunzeln oder lachen - wie es Euch gefällt!"
Hedy Bachinger ist vielseitig begabt: Historikerin, Autorin, Aquarellistin, Dreifachmutter … Heurigenwirtin im Familienbetrieb wollte sie nicht werden. Aber "sie verstand es, die p. t. Gäste 'einzukochen' - darunter auch eine lange Liste an prominenten Stammkunden." In ihren "Pionierzeiten" der 50-er Jahre gab es nur kalte Platten, ab den 70er Jahren dazu die warme Küche, für die das Lokal und seine Küchenfeen berühmt waren. "Eines der g'schmackigsten Gerichte, das zu dieser Zeit in einer Pfanne der engen, kleinen Küche brutzelte, waren unsere hausgemachten Fleischlaberln, Leibspeise vieler, vor allem aber des legendären Filmregisseurs Franz Antel, der quasi ums Eck daheim war. 'Die besten in ganz Wien, na na auf der Welt', pflegte der eingefleischte Vienna-Fußball und Heurigenfan zu sagen und auch ins Gästebuch zu schreiben. Er konnte davon kaum genug kriegen und blieb dennoch gertenschlank." Der Bildhauer Alfred "Stalino" Hrdlicka und seine Frau bevorzugten hingegen Frau Bachingers Krautfleckerl: "Als er einmal in der Küche stand und später seine bessere Hälfte kam, um die auch von ihr geliebten Krautfleckerln zu bestellen, war Stalinos Stimme unüberhörbar: 'Die san guat, aber jetzt sans aus.' "
Nicht nur unter den Gästen waren "Originale", auch unter dem Personal. So hatte die Heurigenkellnerin Frau Machart spezielle Titel für die Kunden. "Grüß' Sie gnä Frau, oder schönen guten Abend Herr Kommerzialrat, Hofrat, Diplomingenieur, Doktor, Konsul oder gar Kanzler." Frau Machart wusste, wie man zu gutem Trinkgeld kommt, auch bei hohen Gästen. Frau Renate und Herr Franz waren ein Kellner-Ehepaar. Frau Renate hatte den Auftrag, jedes Viertel Wein gleich zu kassieren, was ihr den Verruf der Gier eintrug. Da gaben die Gäste lieber Herrn Franz mehr "Maut", nicht ahnend, dass die beiden verheiratet waren und gemeinsame Kasse machten.
"Prillinger-Metzger war auch dank privater Kontakte eine gefragte Lokalität für diverse Pressekonferenzen, bei denen sich Gaumenfreuen mit Infomappen … optimal verbinden ließen. … Zu unseren Heurigen-Gästen, die mehr essen konnten als sie trinken durften, gehörten auch die Rennfahrer wie Dieter "Quastl" Quester, Handschuh Peter Peter, genannt "Fäustling" und ein damals noch ziemlich unbekannter … Niki Lauda. Er präsentierte vor seinem Sportwagen-Debüt auf dem Österreich-Ring bei uns einerseits sich selbst, andererseits auch den PS-gewaltigen Porsche 908, der im Innenhof zwischen den Heurigentischen als Objekt der Begierde ausgestellt wurde. … (Lauda) delektierte sich wie alle Heurigengäste an Hausmannskost, wozu er wahlweise Soda oder Kracherln aus den damals so populären Privoznik-Flascherln mit dem speziellen Stoppelverschluss inhalierte. G'schadet hat's ihm jedenfalls nicht." Bei einer "Sporthilfe"-Veranstaltung mit OlympiasiegerInnen war der Songcontest-Gewinner Udo Jürgens Stargast. Die Stimmung war so toll, dass die Gäste bis in die Morgenstunden in der Rudolfinergasse tanzten. Am nächsten Tag bemerkte die Wirtin mit Schrecken das Fehlen von Udos Bösendorfer-Flügel. Er war in dem Trubel unbemerkt abtransportiert worden.
Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen? Ein Abend zu dem die Botschaft des Libanon samt Exzellenzen geladen hatte, fiel doch etwas aus dem Rahmen. Als Attraktion hatten die Gastgeber eine Bauchtänzerin engagiert - die dann in bestem Wienerisch fragte, wo denn beim Heurigen "a Gard'rob" sei. Society-Promis, SchauspielerInnen (u. a. Senta Berger, Erni Mangold, Peter Weck), Kunstschaffende (u. a. Maitre Leherb samt weißer Ratte, Lotte Profohs) und Hochadelige fanden sich ebenso unter dem Maulbeerbaum ein, wie Politiker (u. a. Karel Schwarzenberg, Freda Meissner-Blau, Heinz Fischer). Unter den VertreterInnen der schreibenden Zunff waren u. a. Hilde Spiel, Axel Corti und Brigitte Hamann. "(Otto) Schulmeister, (Thomas) Chorherr, (Ernst) Molden und 'Presse'-Karikaturist Gustav Peichl waren eine verschworene Einheit, die in Wort und Schrift aus ihrer Zeit vieles diktierte." Die Autorin gab diesem Kapitel den vielsagenden Titel "Wenn Otto ausholte, machten alle große Ohren." Schulmeisters Muse, die "Kultur-Koryphäe Ilse Leitenberger", pflegte junge Priester aus der nahen Karmeliterkirche zum Essen beim Heurigen einzuladen. Einen anderen Abschnitt nennt Hedy Bachinger "Serien-Star und Saar-Sessel, Eybners List, Schneyders Lust. Warum unsere Urgroßmutter mütterlich ein Kleinod vom Schriftsteller-Stammgast Ferdinand von Saar erbte, ein legendärer Burgtheaterstar stets bei der Toilette saß und ein Kabarettist im Duett mit seinem Freund den Wissens- und Witzedurst beim Prillinger-Metzker stillte."
Die Histörchen gingen Hedy Bachinger nicht aus, und wenn sie, die unabkömmliche Küchenfee, etwas verpasste, war ihr Bruder Josef Metzger als Co-Autor ein verlässlicher Reporter. Bachingers Reminiszenzen könnten noch viele Bände füllen. "Diese wunderschöne, nicht wiederkehrende, unwiederbringliche Jahrhundert-Epoche ist … ein wehmütiger Blick zurück in die Zukunft. Ganz ohne Zorn."