Julia Burkhardt, Christina Lutter: Ich, Helene Kottannerin#
Julia Burkhardt, Christina Lutter: Ich, Helene Kottannerin. Die Kammerfrau, die Ungarns Krone stahl. wbg Theiss Darmstadt. 192 S., ill., € 24,70
Helene Kottanner (um 1400 - 1470/77) wurde wahrscheinlich im westungarischen Ödenburg (Sopron) geboren. Sie sprach Deutsch und ein wenig Ungarisch. Sie war deutlich jünger als Ihr erster Ehemann, der Ödenburger Bürgermeister Peter Gelusch (ung. Székeles). Als Witwe ehelichte sie nach 1430 den Wiener Bürger Johann Kottanner. Diesesmal war der Bräutigam, Kammerherr des Dompropstes, deutlich jünger als die Braut. Das Paar bekam mehrere Kinder, nachdem Helene Kottanner bereits einen Sohn aus erster Ehe, Wilhelm, hatte. Die Familie wohnte in einem gut ausgestatteten Haus und besaß einen Weingarten.
Die Kottannerin lebte seit 1436 am Hof des Habsburgers Albrecht II. (1397-1439) und seiner Frau Elisabeth von Luxemburg (1409-1442). Das Königspaar hatte vier Kinder: Anna (1432-1462) wurde mit Wilhelm III, Herzog von Sachsen verheiratet. Georg starb als Kind. Elisabeth (1437-1505) ehelichte Kasimir IV. Andreas, König von Polen und Großfürst von Litauen, schließlich Ladislaus Postumus (1440-1457), König von Ungarn und Böhmen. Er starb, nur 17 Jahre alt, an Leukämie. Mit ihm erlosch die Albertinische Linie der Habsburger.
Helene Kottanner fungierte als Erzieherin der jüngeren Tochter, Elisabeth. Berühmt wurde sie jedoch durch den abenteuerlichen "Kronenraub". Nach dem plötzlichen Tod Albrecht II. beauftragte die schwangere Königin ihre Kammerfrau, die heilige ungarische Stephanskrone zu entwenden, um dem ungeborenen Kind des Königspaars die Thronfolge zu sichern. Die Osmanen bedrohten das Land, ungarische Magnaten drängten Elisabeth zur Ehe mit dem Polen Wladyslaw III. (1424-1444). Sie lehnte konsequent ab und schmiedete mit ihrer Vertrauten einen anderen Plan, den Raub der Stephanskrone.
Kronen und weitere Krönungsinsignien, also sinnstiftende Herrschaftszeichen, waren in den europäischen Monarchien zentraler symbolischer Ausdruck einer rechtmäßigen Herrschaft. Krönungen mussten an einem dafür vorgesehenen Ort, durch eine dazu bestimmte (geistliche) Person und mit den "richtigen" Insignien erfolgen. … Zur Königskrönung gehörten verschiedene zeremonielle Handlungen. Julia Burkhardt, Professorin für Geschichte des Mittelalters an der Universität München, und Christina Lutter, Dekanin der Universität Wien, beleuchten die historischen Hintergründe und den Zeitkontext der ältesten Memoiren einer Frau in deutscher Sprache. Außerdem haben die beiden Professorinnen die abenteuerliche Geschichte der Kottannerin erstmals vollständig in heutiges Deutsch übertragen.
In ihrem autobiografischen Bericht erzählt die Kammerfrau die packende Geschichte des "Raubs" der heiligen Krone im Jahr 1440, die Geburt des Königssohns Ladislaus, die Krönung des zwölf Wochen alten Säuglings und die Flucht mit der Krone im Gepäck. Im Frühling 1439 begann die Reise der Kottannerin mit der dreijährigen Königstochter Elisabeth von Wien durch das nordwestliche Ungarn. In Pressburg (Bratislava) trafen sie, unter schwierigen politischen Bedingungen, das Königspaar, das weiter nach Gran (Esztergom) reiste. Die Kammerfrau mit dem Kind schickte es auf die Plintenburg (Visegrád), die Residenz früherer ungarischer Könige. Hier befand sich die Krone, deren Raub die Kottannerin genau plante und durchführte. Die Krone wurde in einem Polster versteckt, und bei Nacht startete eine abenteuerliche Reise. Sie führte über die zugefrorene Donau, wobei ein Wagen im Eis einbrach. Trotzdem kamen sie mit ihrer wertvollen Fracht gut bei der Königin in Komorn an. Dort stand die Geburt des erhofften Thronfolgers unmittelbar bevor. Am nächsten Tag wurde Ladislaus Postumus - dessen Vater inzwischen verstorben war - getauft. Die Gegner der Königin ruhten nicht, Kind und Krone schienen in großer Gefahr. Während Königin Elisabeth politische Vorkehrungen traf, nähte die Kammerfrau die Krönungsgewänder für Ladislaus. Er war bei der Zeremonie in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) erst zwölf Wochen alt. Die Flucht der Königsfamilie - mit der in der Wiege versteckten Krone - führte nach Raab.. Ständig musste man mit Überfällen rechnen. Aus Sicherheitsgründen trennte sich die Reisegesellschaft. Die Königstochter Elisabeth blieb mit Johann Kottanner in Raab (Györ), wo die Krone zurückgelassen wurde. Helene und Ladislaus sollten im sicheren Ödenburg verweilen, während die Königin nach Pressburg fuhr.
Noch im selben Jahr (1440) musste Königin Elisabeth die Heilige Krone dem österreichischen Herzog und römisch-deutschen König Friedrich III. (1415-1493) überlassen, dem sie auch die Vormundschaft für ihren kleinen Sohn übertrug. Sie selbst starb zwei Jahre später während der anhaltenden Auseinandersetzungen um die Thronfolge in Ungarn. Wladyslaw III. von Polen verlor sein Leben zwei Jahre später in der berühmten Schlacht von Varna (1444) gegen die Osmanen. Helene sah ihre Herrin nicht wieder.