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Evliya Celebi: Das Reisebuch#

Bild 'Celebi'

Evliya Celebi: Das Reisebuch. Die Welt zwischen Wien und Mekka. Ausgewählt, aus dem Osmanischen Türkisch übersetzt und erläutert von Klaus Kreiser. Verlag C. H. Beck München. Wien. 512 S., ill., € 36 --

Das Reisebuch von Evliya Celebi gilt als wichtigster Bericht über die osmanische Welt des späten 17. Jahrhunderts. Es zählt zum Weltdokumentenerbe der UNESCO. Das zehnbändige Werk verdankt seine Wiederentdeckung, dem "Stammvater der wissenschaftlichen Osmanistik", dem Österreicher Joseph Hammer von Purgstall (1774-1856). Als Gesandtschaftssekretär und Dolmetscher kaufte er 1804 in Istanbul die Abschrift eines Bandes aus dem Jahr 1765. Ein Jahrzehnt später ermöglichte ein Mäzen den Erwerb drei weiterer Bände. Für Hammer-Purgstall war es der merkwürdigste und glücklichste Fund aller orientalischen Manuskripte. Er glaubte allerdings, das Gesamtwerk in Händen zu haben. Der Gelehrte publizierte darüber und übesetzte es ins Englische. Bis 1850 erschienen vier Teile in Manchester.

Der Autor, der sich Evliya Celebi nannte, wurde 1611 in Istanbul als Sohn eines Hofgoldschmiedes geboren. In fünf Jahrzehnten reiste er durch das Osmanische Reich, das sich über drei Kontinente erstreckte, und darüber hinaus. Er ritt durch 40 heutige Staaten und notierte allein in Anatolien 1141 Ortsnamen, von denen bisher 70 Prozent identifiziert werden konnten. 1664 nahm er an der osmanischen Gesandtschaft nach Wien teil. und lieferte ein hinreißendes, stellenweise satirisches Panorama der Stadt und ihres Kaisers. Evliya starb nach 1683 in Kairo. Er schrieb ebenso unterhaltsam wie belehrend, nach dem arabischen Motto Redet zu den Leuten so, dass sie es verstehen.

Klaus Kreiser, em. Prof. für türkische Sprache, Geschichte und Kultur, ist international einer der besten Kenner des "Reisebuchs" . Für diese Ausgabe hat er, Textauszüge kommentiert zusammengefasst. In der Einleitung schreibt er über den Autor als "merkwürdigen Mann": Seit seiner Jugend war er am Sultanshof eingeführt, beriet mächtige Wesire und diente als langjähriger Vertrauter wohlbekannter Provinzgouverneure. Evliya (Gottes Freund) war wohl ein Pseudonym. Jedenfalls war der Name zugleich ein Lebensentwurf, mit ihm unterstellte er sich gleichsam dem Patronat sämtlicher Heiliger. Evliya war um des Reisens willen unterwegs. Seine Erzählungen und Berichte ergeben eine osmanische Enzyklopädie als Reisebericht und Autobiographie strukturiert. Rund 20 Prozent des Textes sind persönliche Aussagen. Der Autor erzählt von Freunden, Schutzherren und Gegnern, Geschichten und Geschichtchen, Mythisches und islamische Legenden. Er selbst vergleicht sein Reisebuch mit einer aus vielen bunten Stoffstücken zusammengenähten Kutte eines Derwisches, die auch Lücken aufweist.

Die zehn Bücher beschreiben (1) Istanbul, (2) Anatolien, Kaukasus, Kreta, Aserbaidschan, (3) Syrien, Palästina, Kurdistan, Armenien, Rumelien, (4) Irak, am Van-See, Iran, (5) Russland und die Balkan-Halbinsel, (6) Ungarn , (7) Wien, Krim, Kaukasus, (8) Griechenland, Krim, Rumelien, (9) die Wallfahrt nach Mekka, (10) Ägypten, Sudan und Rotes Meer. Leider kommt bei der Auswahl Wien, der "goldene Apfel" der Osmanen zu kurz. Evliya war als Begleiter im Tross des Osmanischen Großbotschafters Kara Mehmed Pascha, Beğlerbeği von Rumelien, 1665 in Wien. Sein besonderes Interesse galt den Festungsanlagen und er berichtete über lange Protokollstreitigkeiten zwischen dem Großbotschafter und dem Kaiserhof. In Wien will der Autor 360 Kirchen und Klöster und 470 Türme gesehen haben und behauptete, dass im Stephansturm 1000 Mönche lebten. Er sprach mit Priestern und lernte, dass die zahlreichen verehrten Heiligen keine Götter sind. Stark beeindruckte ihn die Dombibliothek mit hunderttausenden gebundenen Büchern, wie sie sonst kein Land mehr besitzt. 70 "Wärter" seien mit der Pflege der Bücher beschäftigt. Die Muslime bringen den Büchern Gottes nicht so viel Liebe entgegen wie die Ungläubigen. Mögen sie doch endlich einmal jene Moschee so schön ausgestalten wie diese Christenkirche. Die Größe der Pummerin verglich er mit der Kuppel eines Badehauses, den Klöppel mit einem Pferderumpf. Zum Läuten bräuchte man "nicht weniger als 40 Ungläubige". Die Glocke werde auf 40 bis 50 Arten, je nach Anlass geläutet, etwa beim Herannahen von Feinden und an "ominösen Feiertagen" wie dem Tag des heiligen Nikolaus oder Ostern, dem "Fest der roten Eier".

Man ist versucht, Evliya als Osmanen par excellence zu bezeichnen … man übertreibt gewiss nicht, wenn man Evliya einen Polyhistor nennt … auch konnte er wie die Gelehrten und Dichter in allen drei Sprachen Verse vortragen. … Unbestreitbar gehörte er der Elite seines Staatswesens an. … Man feiert Evliya nicht unbegründet als ersten türkischen Ethnologen, als osmanischen "Orientalisten", vielleicht mit ebenso großem Recht als ersten Folkloristen. Als er nach 51 Jahren seine Tätigkeit beendete, entschuldigte er sich für Fehler in der Beschreibung und formulierte abschließend: Gott sei gelobt, dies ist jetzt alles vollgeschrieben. Von dem Aktenbündel ist nichts geblieben. Endlich bleibt nichts zu schreiben übrig. Bin an den Schluss gelangt.

hmw