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Martin Czapka: Wiener Cafés#

Bild 'Czapka'

Martin Czapka: Wiener Cafés. Ein lexikales Sammelsurium rund ums Kaffeehaus. Amalthea Verlag Wien. 320 S. ill., € 38,-

"Das Wiener Kaffeehaus ist eine Weltanschauung, ein Gesamtkunstwerk, eine Institution, eine Lebenseinstellung, ein theatralischer, mythischer, verführerischer Ort und immaterielles Kulturerbe." So eröffnet Martin Czapka sein "lexikales Sammelsurium rund ums Kaffeehaus". Der Autor, Grafiker, Designer und international in der Werbung tätig, geht gerne ins Kaffeehaus. Als das lockdown-bedingt nicht möglich war, begann er, diese "Institution besonderer Art" aufzuzeichnen: wortwörtlich in 600 Cartoons, aber auch im Sinn von historischen Aufzeichnungen und aktuellen Beobachtungen. Das Thema ist weit gefasst. Der repräsentative Band mit dem speziellen Layout vereint Wiener Mundartausdrücke samt Beispielen und Übersetzung, mit literarischen Zitaten, stellt Kaffeespezialitäten vor, verrät Mehlspeisen-Rezepte, portraitiert die Lokale, ihre prominenten Gäste und enthält noch viel anderes Wissenswerte rund um die Wiener Kaffeehauskultur. "Sie haben 's gut, Sie können ins Kaffeehaus gehen", soll Kaiser Franz Joseph zu einem Journalisten gesagt haben.

Jedes Alphabet beginnt mit "A", dieses im Sinn von "auch": "I mecht a a Melange = ich möchte auch eine Melange". Über Ludwig van "Beethoven" erfährt man, dass er seinen Frühstückskaffee aus exakt 60 Bohnen zubereitete, während man für einen guten Espresso 50 davon benötigt. Dem 1876 eröffneten "Café Central" sind mehrere illustrierte Seiten gewidmet. "Centralisten" nannte man seine Stammgäste, vor allem Literaten, wie Alfred Polgar. Er verfasste 1926 eine "Theorie des Café Central", das sich ihm als "eine Art Organisation der Desorganisation" darstellte. Ein halbes Jahrhundert später war der Liedermacher Georg "Danzer" Stammgast im Café Hawelka. Sein Austropop-Song "Jö schau …" über das Lokal, machte ihn schlagartig berühmt. Der Wiener Ausdruck "eh" (= ohnedies) wird gleich mit dem Ober in Verbindung gebracht: "I bin ja eh scho da!" Ähnliches dürfte der Autor öfter gehört haben, weil er den Angehörigem dieses Berufs viel Satirisches angedeihen lässt. "Fiaker" bezeichnet nicht nur eine zweispännige Kutsche und ihren Lenker, sondern auch einen doppelten Espresso mit Schlagobershaube und einem Stamperl Schnaps.

Eine "Golatsche" (gefülltes Gebäck) wird in Österreich auch als Tatschkerl bezeichnet, in Deutschland hingegen als "Quarktasche". Übersetzt wäre Peter Alexanders Lobeshymne auf die "Powidltatschkerln aus der schönen Tschechoslowakei " undenkbar. Aber vielleicht sollte man bei den Bezeichnungen nicht so "haglich" (= heikel, wählerisch) sein. Eine - inzwischen EU-geschützte - österreichische Spezialität ist der "Inländer-Rum". Das Ersatzprodukt wurde wegen der Kontinentalsperre Napoleons erfunden. Statt Rohrzucker verwendete man Aroma- und Farbstoffe mit rumähnlichem Geschmack. Die "Jause" ist eine Zwischenmahlzeit am Vormittag (Gabelbissen) oder Nachmittag (eher mit Mehlspeise). Der Buchstabe K ist naturgemäß besonders gut vertreten. Das erste Wiener Kaffeehaus eröffnete der Armenier Johannes Diodato anno 1685 in der Rotenturmstraße. Eines der modernsten - "Library Cafe & Roastery"- entwarf die Stararchitektin Zaha Hadid am Campus WU. Derzeit gibt es 1674 Kaffeehäuser, vor zehn Jahren waren es 2080. Schon der Schriftsteller Friedrich Torberg nannte sie "geistiger Raum eines untergegangenen Lebensstils."

An "Maria Theresia" erinnert die Spezialiät "Doppelter süßer Espresso mit französischem Orangenlikör und Schlagobers." "Nussschale" ist das Maß für das kleinste Kaffeegetränk (Mokkatasse). Der "Pikkolo" entspricht eineinhalb Nussschalen. Einst gab es 27 "Ringstraßencafés", Prückl, Schwarzenberg und Landtmann haben überlebt. "Schmäh" bezeichnet eine witzige Redeweise, zum Beispiel: Jemandem einen Schmäh erzählen (= eine Unwahrheit auftischen), "Schmäh ohne" (= wirklich? Ehrlich ?) Seit 2001 gibt es am 1. Oktober einen "Tag des Kaffees (International Coffee Day). 2011 hat die österreichische UNESCO-Kommission die Wiener Kaffeehauskultur in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. In der Beschreibung heißt es: "Die Kaffeehäuser sind ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht." Die Verleihung erfolgte im Café "Weimar" bei der Volksoper. "Vogerlsalat" ist ein Acker- oder Feldsalat. "Zach" (= zäh, schleppend) war die Lektüre dieses gleichermaßen originellen wie unterhaltsamen Buches - von "a" bis "Zwutschkerl" - sicher nicht. Als Schlagobershauberl auf die köstliche Melange gibt es noch einen doppelseitigen Wienplan. Er verzeichnet die beschriebenen Lokale und andere Adressen mit Kaffeebezug. Eine Exkursion lohnt sich - besser noch: deren mehrere!