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Alexa Färber, Bernhard Fuchs, Brigitta Schmidt-Lauber, Susanne Wicha (Hg.): Arbeiten, Erzählen, Gehen.

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Bild 'Löffler'

Alexa Färber, Bernhard Fuchs, Brigitta Schmidt-Lauber, Susanne Wicha (Hg.): Arbeiten, Erzählen, Gehen. Kulturanalytische Studien von Klara Löffler wieder (ge)lesen. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie Wien, Band 52. 192 S., € 21,-

Beim Wort "Volkskunde" denken viele an bunte Trachten, romantisches Bauernleben oder "uraltes Brauchtum". Das mag im 19. Jahrhundert seine Berechtigung gehabt haben, als sich Laien und Wissenschaftler in bewahrender Absicht dafür interessierten. Vieles hat sich seither geändert - welche ernst zu nehmende Wissenschaft wollte auf ihrem Stand vor 200 Jahren bleiben? - diese Vorurteile sind aber noch immer weit verbreitet. Auch die Vereinnahmung durch die NS-Ideologie hat ihre Spuren hinterlassen, obwohl sich das "Vielnamenfach" (Europäischer Ethnologie, Kulturanthropologie, Empirische Kulturwissenschaft, Populäre Kulturen) seit Jahrzehnten davon distanziert. Generationen akademischer ForscherInnen haben sich inzwischen einen Namen gemacht.

Ao. Univ.-Prof. Dr. Klara Löffler zählt zu ihnen. Die gelernte Tischlerin promovierte in Tübingen in Volkskunde und arbeitete u. a. als Universitätsassistentin am Wiener Institut, wo sie seit ihrer Habilitation als außerordentliche Universitätsprofessorin tätig war. Nach 28 Jahren verabschiedet sich Klara Löffler nun in den Ruhestand. Ihre KollegInnen am Institut haben der Emerita mit dem vorliegenden Buch ein besonderes Abschiedsgeschenk gemacht. Sie haben analytische Studien der innovativen Kulturwissenschaftlerin wieder gelesen und von WeggefährtInnen kommentieren lassen. Die neun ausgewählten exemplarischen Beiträge sind zwischen 1994 und 2013 erschienen. Es liegt in der Natur des langen Forscherlebens, dass mit "Arbeiten, Erzählen, Gehen." nur ein kleiner Teil ihrer Schwerpunkte in Lehre und Forschung repräsentiert werden kann. Diese liegen auf den Themenfeldern Biographie und alltägliches Erzählen, Methodik/Methodenkritik, deren Theorie und Wissensordnungen, Tourismus- und Freizeitforschung, Diskurse und Methoden, materieller und visueller Kulturforschung, Dimensionen des Mediengebrauchs on- und offline.

"Arbeiten" ist ein klassisches Thema der Volkskunde/Europäischen Ethnologie. Nicht zufällig wird "Kultur" auch als "wie Menschen leben und arbeiten" definiert. Das Wiener Institut versteht Kultur nicht als etwas Statisches oder Abgeschlossenes, sondern als eine dynamische, im steten Wandel begriffene Ausdrucksform gelebter Wirklichkeit. Klara Löffler hat sich im Jahr 2000 mit "Arbeit als Management", beschäftigt. Sie schreibt: "Die Beziehungen und Beeinflussungen zwischen den Handlungsfeldern Ökonomie, Gesellschaft und Kultur sind wechselseitig. Zumal im Handlungsfeld Arbeit sind kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorstellungen integriert. Die Interdependenzen … sind für uns als Kulturwissenschaftler von besonderem Interesse." Lag dieses im Sinne der Neuorientierung des Faches auf der "Arbeiterkulturforschung", so ist seit 1998 von "Arbeitskulturen" die Rede. Der Begriff umfasst weit mehr als die seinerzeit fokussierte Welt der Industriearbeiter. Berufe verschwinden, neue entstehen, und das führt zu Unsicherheit. Dieser zu begegnen, hat sich die Ratgeberliteratur zum Ziel gesetzt. Ratgeber, nicht nur im Hinblick auf Management, sind seit Jahren "das Trendsegment der Buchbranche."

Klara Löffler unterzieht dieses Segment in einem weiteren Artikel ihrer Analyse. Ihre "ethnographischen Recherchen zur Ratgeberlektüre" konzentrieren sich auf drei Sparten: Kochbücher ("In Griffnähe"), Medizin- und Gesundheitsratgeber ("Mit Randbemerkungen") und Lebenshilfebücher ("Im Müll"). Kochbücher zeigen die meisten Gebrauchsspuren, werden lange verwendet, finden aber selten den Weg ins Buchregal. Gesundheitsratgeber sind meist für eine bestimmte Zeit wertvoll. Ihre Konsumenten sind die "Schreibleser" (L. Hevesi), die sie mit Randbemerkungen anreichern. Braucht man die Hilfe nicht mehr, kommen sie ins Buchregal. Am schlimmsten ergeht es der Lebenshilfeliteratur. Hilft sie nicht, wird sie leichten Herzens entsorgt.

Der zweite Themenschwerpunkt, "Erzählen", begleitet die Autorin seit ihrer Dissertation. In einem Beitrag zur Biographie- und Erzählforschung beschäftigte sie sich 1994 mit "Performanzen von Humanität in Geschichten vom Krieg". 2010 folgte "Das Erzählen über das Erzählen." Zwei wiederkehrende Sätze steckten das Forschungsfeld ab: "Ich hab nie was vom Krieg erzählt" und "Nur Ihnen erzähle ich das". Den Kommentar zu diesem Beitrag verfasste die Historikerin Li Gerhalter, die schreibt: "Sowohl das soldatische Erleben als auch das nachträgliche Reden darüber scheinen laut den Erzählungen eine ausschließliche Sache von Männern gewesen zu sein. Obwohl Frauen … aktiv beteiligt waren, wurden sie weder als Beteiligte erinnert, noch als Zuhörerinnen später zu Hause." Um Frauen und ihre Geschichte geht es in einem weiteren Beitrag. "Das (auto)biografische Interesse. Auf eine lange Zukunft." Er erschien 2008 zum zehnjährigen Bestehen des Projekts "biografieA". Es wird seit 1998 am Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst durchgeführt und hat die umfassende historisch-biografische Aufarbeitung österreichischer Frauenpersönlichkeiten zum Ziel. 2016 erschien das vierbändige Lexikon österreichischer Frauen mit rund 6.500 Biografien. Die lokale Datenbank umfasst fast 20.000 Eintragungen.

Das dritte Stichwort im Titel, "Gehen", vereint unterschiedliche Themenfelder. 1999 erschien "Die Volkskunde der anderen. (Urbaner) Habitus und (teilnehmende) Beobachtung." Seit den 1970er Jahren rückte die "teilnehmende Beobachtung" auf der Werteskala qualitativer Verfahren immer höher und gehört als Feldforschung zu den Initiationsritualen der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Andererseits liegt es im Interesse fast aller Touristen unbekannte, fremde Lebenswelten kennen zu lernen. Im Gehen fallen solche Erkundungen am leichtesten. Eine spezielle Form ist es, wenn Mensch und Hund miteinander unterwegs sind. Falsch verstandene Tierliebe - wenn etwa Damen ihre Schoßhündchen durch die Stadt tragen - hat schon der Aufklärer Johann Pezzl in seinen Wiener Skizzen kritisiert. Andererseits öffnet ein Spaziergang mit Hund die Augen für bisher Unbeachtetes. " Seit ich mit meinem Hund unterwegs bin, gehe ich meiner Neugier mehr nach als vorher. Der Hund ist die Lizenz zum Träumen und Fragen", zitiert Löffler die deutsche Publizistin Katharina Rutschky.

"Neben der bestehenden Fülle an Titeln und Beiträgen wären noch weitere Kategorien denkbar gewesen", schreiben die HerausgeberInnen. Sie verweisen auf den Bildungsweg der engagierten Hochschullehrerin. Ihre Ausbildung als Tischlerin könnte ihren Zugang zum Handwerklichen und den Blick auf menschliches Tun erklären. "Darin gründet möglicherweise auch ihr anhaltendes Interesse an materieller Kultur, Architektur oder Do-it-yourself. Thematisch manifestiert sich ihre Berufserfahrung und Sensibilisierung vielfältig." Die ethnographische Annäherung an "Reparieren und Instandhalten, Basteln und Entdecken" (2012) widmet die Autorin einem Nachbarn. Der 40-jährige Akademiker repariert mit Begeisterung und Erfolg kaputte Dinge, sogar Oldtimer und Computer. Der jüngste Beitrag des Buches, "Plurale tantum", enthält Vorschläge zu einer ethnographischen Baukulturenforschung (2013). Angestrebt wird ein disziplinenübergreifender Dialog zwischen Kulturanthropologie und Architektur.

FachkollegInnen werden sich freuen, Klara Löfflers vielseitigem Oeuvre wieder zu begegnen. Laien lernen die Europäische Ethnologie als empirische Kulturwissenschaft mit vielfältigen Themenfeldern kennen, die den gesellschaftlichen Alltag in Geschichte und Gegenwart erforscht. Beim Wort "Volkskunde" werden sie nach der Lektüre dieses empfehlenswerten Lesebuches nicht mehr nur an bunte Trachten, romantisches Bauernleben oder "uraltes Brauchtum" denken.