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Wolfgang Freitag: Nur in Wien#

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Wolfgang Freitag: Nur in Wien. Von den kleinen Dingen, die die große Stadt bedeuten. Czernin Verlag Wien. 240 S., ill., € 25,-

Wien ist anders lautete in den 1980er Jahren ein Werbeslogan der Stadtverwaltung. Er hat seine Gültigkeit behalten. Das zeigt sich schon bei einem ersten Blick auf die Stadtmöblierung: Otto Wagners Stadtbahngitter, Würfeluhren, Pflastersteine … Jede Stadt hat ihre Mistkübel, Hydranten und Kanalgitter. Doch auch hier gilt: "Wien ist anders". Das Warum und Wie hat der "Presse"- Redakteur Wolfgang Freitag genau recherchiert. Schon von Berufs wegen auf Stadtbild-Themen spezialisiert, geht er mit wissendem Blick durch Wien und interviewt Fachleute.

Das erste Gespräch führte der Autor mit dem Schweizer Architekten und Stadttheoretiker Vittorio Magnano Lampugnani. Er schrieb zum Thema Stadtgestaltung ein Buch mit dem vielsagenden Titel "Bedeutsame Belanglosigkeiten". Straßenlampen, Haltestellenhäuschen etc. sind belanglos, weil es in der Regel Objekte sind, hinter denen kein Kunstwollen steht. … es sind fast technische Dinge, die dazu da sind, eine Stadt zum Funktionieren zu bringen … etwas Selbstverständliches. …Bedeutsam sind sie, weil sie dann eben doch sehr viel von der Schönheit oder Nichtschönheit einer Straße ausmachen … ich glaube schon, dass sie doch die Stimmung stark mitbestimmen.

Ober uns erblickt Wolfgang Freitag stahlblau und weiß emaillierte Straßentafeln. Sie sind seit genau 100 Jahren in Gebrauch und lösten die nach einem ausgeklügelten System angebrachten, wertvolleren Zinkguss-Schilder ab. Dass die Emailleschilder 27 mal maximal 98 cm messen, hat eine banale Ursache. Früher wurden sie von einem Sanitärhersteller produziert, der Blechabfälle von Badewannen in eben dieser Größe verwertete. Straßenlampen kennt Wien seit dem 17. Jahrhundert, und zwar aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, 1687 gab es die ersten 17 Laternen in der Dorotheergasse, wo ihr Initiator, Graf Johann Quintin Jörger, residierte. Zuvor hatten die Herrschaften eigene Läufer, die den Fuhrwerken voran eilten, um Platz zu schaffen und mit Fackeln für Licht zu sorgen. Gaslaternen kamen im 19. Jahrhundert auf. Nostalgische Kopien tragen Namen wie "Maiglöckchen" oder "Bischofsstab". Auch die Stadtbild-Ikone Wiener Würfeluhr befindet sich über uns. Die erste wurde 1907 an der Opernkreuzung montiert. Hundert Jahre später kam es zu einer modifizierten Neuauflage.

Vor uns begleiten Otto Wagners Stadtbahngeländer. Grün gestrichen, sind sie "das" typische Charakteristikum im Wiener Stadtbild. Aber so hat sie Wagner nie gesehen. Sein Konzept sah einen weißen Ölanstrich vor. Das zeigen umfassende Analysen des Bundesdenkmalamtes, nach denen 5 m Geländer am Franz-Josefs-Kai rekonstruiert wurden. Das Grün ("Reseda" in zahlreichen Schattierungen) hat praktische Gründe. Bei den Instandsetzungsarbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg war es für den Rostschutzanstrich von Maschinenteilen vorgeschrieben und daher gut verfügbar. Außerdem ist Grün pflegeleichter als Weiß und die emotionale Komponente zu berücksichtigen. Die Farbgebung hat sich inzwischen als Erkennungsmerkmal der Stadtbahn etabliert und sei damit Teil ihrer Geschichte geworden, erklären Denkmalpfleger. Vor uns stehen auch Mistkübel - die ersten wurden 1924 an Gaskandelabern montiert. Das Aussehen der Papierkörbe aus quadratisch gelochtem Blech erinnert an Entwürfe von Josef Hoffmann. Sie sind ebenso verschwunden wie Modelle aus Plastik für Gemeindebauten oder das ansprechende Designer-Modell von Luigi Blau aus den 1990er Jahren. Kaiser unten den mehr als 20.000 Abfallsammelbehältern ist "Otto" mit Aschenrohr und witzig sein sollenden Aufschriften. Angeblich motivieren sie zum richtigen Entsorgen.

Unter uns befinden sich Pflastersteine und Kanalgitter. "Wiener Würfel" aus Granit haben knapp 20 cm Seitenlänge und wiegen 16 kg. In großem Stil wurden sie Anfang des 19. Jahrhunderts verlegt. Wie die Pflasterung um 1200 beschaffen war, kann man auf der Freyung sehen und holprig erleben. Damals, und teilweise bis ins 18. Jahrhundert, waren die meisten Straßen unbefestigt. Abwässer und Fäkalien flossen oberirdisch durch gemauerte Gerinne, "Möhrung" genannt, in den nächsten Bach. In den 1830er Jahren begann man Sammelkanäle zu bauen und Wienerwaldbäche einzuwölben. Damit verbunden waren die mit Kanalgittern versehenen Abstiegschächte, die der Belüftung dienten. Der aufmerksame Flaneur entdeckt bei den 55.000 Wiener Kanaldeckeln unterschiedlicher Hersteller eine Vielfalt an Modellen. Da sie für die Ewigkeit gemacht sind, werden sie zum Speicher hiesiger Industriegeschichte. Das vermutlich älteste Exemplar stammt aus dem Jahr 1872, wobei schon damals der Name der Eisengießerei vermerkt wurde. Die 300 kg schweren Gitter fanden auch Eingang in Witze und Karikaturen. So verglichen Kritiker die schmucklose Fassade des Loos-Hauses mit seinen quadratischen Fenstern damit.

Zum Schluss bietet Wolfgang Freitag ein fiktives Interview, in das seine Erfahrungen und Expertenmeinungen eingeflossen sind. Tatsächlich gab es Anfang der 1990er Jahre einen "Arbeitskreis Stadtmöblierung", eine Art Best-of der hiesigen Architektenzunft jener Tage. Der damals amtsführende Planungsstadtrat Hannes Swoboda setzte das ambitionierte Ziel einer gezähmten Vielfalt. Von dem 50-seitigen Ideenkatalog wurde so gut wie nichts verwirklicht, sondern die Vorschläge der Experten nachgerade konterkariert. 30 Jahre später lassen publikumswirksame Umgestaltungen des öffentlichen Raums Schlimmes befürchten. Das schreibt Freitag zwar nicht, doch für die durch die Lektüre sensibilisierten LeserInnen liegt es auf der Hand. Hoffen wird man ja noch dürfen, endet dieses wichtige Buch, das hoffentlich vielen die Augen öffnen wird.

hmw