Thomas Hofmann: Es geschah im alten Wien.#
Thomas Hofmann: Es geschah im alten Wien. Neuigkeiten und Bilder aus der Kaiserzeit. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 132 S., ill., € 26,90
Eine Buchreihe feiert Geburtstag. Seit einem Jahrzehnt erscheint die Erfolgsserie "Es geschah…" in der Edition Winkler-Hermaden. Etliche Bände stammen von Thomas Hofmann, dem Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der GeoSphere Austria. Diesmal führt er in das Wien des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, eine Zeit bisher ungekannten Fortschritts. Wegweiser sind - in bewährter Weise - historische Zeitungsartikel aus ANNO (AustriANNewspaper Online) im virtuellen Zeitungslesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek und zeitgenössische Ansichten aus den Sammlungen des Wien Museums.
Der Jubiläumsband beginnt mit Highlights, dem Stephansdom und Ereignissen, die mit dem Kaiserhaus zu tun hatten. 1859 bis 1864 wurde der Südturm erneuert. Kaiser Franz Joseph ordnete die Instandsetzung des "Steffel" an, um dieses Denkmal der Frömmigkeit Allerhöchst seiner Voreltern, dieses Wunder deutscher Baukunst, als ein Zeichen der Macht und Größe des Vaterlandes und zur Zierde der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien für die fernsten Nachkommen zu erhalten, wie die Wiener Zeitung formulierte.
Während seiner Regierungszeit wurde der Kaiser mit einer persönlichen PR-Maschinerie inszeniert. Jeder Auftritt, jede Reise, jeder Schritt des Monarchen fand in Berichten seinen Niederschlag. Negative Schlagzeilen oder gar Kritik gab es nie, weiß Thomas Hofmann. Für das Kapitel Stets mit dem Kaiser hat er markante Ereignisse aus dessen Leben - mit fast 68 Jahren Amtszeit war Franz Joseph der am längsten regierende Kaiser überhaupt - ausgewählt. Im Spiegel der Tagespresse erscheinen das Attentat (1853), die Vermählung mit Prinzessin Elisabeth (1854), das Handschreiben zur Schleifung der Stadtmauern (1857), die Eröffnung der Weltausstellung (1873), die Illumination Wiens zum 70. Geburtstag des Monarchen (1900) und der Kaiser-Huldigungs-Festzug zum 60-jährigen Thronjubiläum (1908).
Imperiale und städtische Großveranstaltungen lockten die WienerInnen in Massen an. Gemma schauen! war das Motto, dem Zehntausende folgten. Ein langer Bericht der "Presse" schilderte 1865 die Eröffnung der Ringstraße: "Schon seit dem Morgen prangte sie im Festschmucke. Zu beiden Seiten der Straße, ihrem ganzen Umfange nach, standen Flaggen und Wimpel. … Die Mehrzahl der Häuser … die Gerüste der Neubauten waren mit Reisig, mit Blumen, mit Fahnen und Teppichen geschmückt. … Der Kaiser trug die Uniform eines Uhlanen-Obersten. In der Toilette der Kaiserin waren Weiß und Violett vorherrschend." Ein Jahrzehnt später (1875) war die Donauregulierung, das nächste Großprojekt der Wiener Infrastruktur, abgeschlossen. An der Schifffahrt-Eröffnung nahmen Franz Joseph und die Erzherzöge an Bord des Kaiserschiffs "Ariadne" teil. Der Festzug der Stadt Wien, nach seinem künstlerischen Leiter "Makart-Festzug" genannt, zählte 10.000 aktive Teilnehmer. Anlass war die Silberhochzeit des Kaiserpaares (1879). Im Oktober 1909 strömten 160.000 Neugierige auf das Flugfeld nach Simmering, wo der französische Luftfahrtpionier Louis Blériot seinen Aeroplan vorführte. 1910 starb Bürgermeister Karl Lueger, die Zahl der Zuschauer am Kondukt schätzte man auf eine Million. 1890 erfolgte die Eingemeindung der Vororte, aus denen die Reporter allerlei zu berichten wussten. 1874 (bis 1919) fuhr die Zahnradbahn von Nussdorf auf den Kahlenberg. 1898 wurde die Stadtbahn eröffnet. Der Sonder-Hofzug der Staatsbahnen startete im Bahnhof Michelbeuern und kehrte abends zur Station Alser Straße zurück. Die nächsten Kapitel spielen bereits im 20. Jahrhundert: In Schönbrunn erblickte 1906 der erste Babyelefant in einem Zoo das Licht der Welt. 1907 öffnete das Gänsehäufel seine Pforten. Anfangs wirkte sich der weit von der Stadt entfernte Standort ungünstig aus. Doch schon am ersten Tag zählte man im "Seebad" 1700 - meist männliche - Gäste. 1909 wäre es in Transdanubien fast zu einer Katastrophe gekommen. Die Artisten-Brüder Anatol und Alexander Renner wollten ihr Luftschiff "Estaric" präsentieren. Der jüngere sprang auf das Dach des Hangars neben der Rotunde, während der Ballon mit dem älteren, über den Prater und die Donau, manövrierunfähig davonflog. In Strebersdorf gelang Anatol Renner die Landung. "Gott sei Dank ging alles gut!"
Getreu der Journalistenweisheit Only bad news are good news hatte nicht nur die Hofberichterstattung Platz in den historischen Zeitungen, sondern auch Extremwetter und Elementarereignisse." 1866 wütete die Cholera in Wien, vor allem ärmere und "heruntergekommene" Personen waren betroffen. Die Hälfte der Erkrankten überlebte nicht. Im Weltausstellungsjahr 1873 ging über Wien ein "furchtbares Unwetter" nieder: Der Eindruck des Gewitters auf die Besucher innerhalb der Ausstellungsräume entzieht sich jeder Beschreibung. Der auf die Bedachung niederprasselnde Regen und Hagel hallte tausendfach verstärkt in den Räumen und übertönte jeden menschlichen Laut. Keiner wagte es, sich von der Stelle zu rühren." 1881 war der Ringtheaterbrand eine der größten Brandkatastrophen des 19. Jahrhunderts in Österreich-Ungarn. Dabei kamen mehrere hundert Menschen ums Leben. In den ersten Tagen des Jahres 1895 drohte Wien in Schneemassen zu ersticken. Die Arbeiter, die mit dem Lohn (umgerechnet 17 Euro) nicht zufrieden waren, gingen lieber zum Branntweiner und erklärten, "die Commune solle den Schnee selbst beseitigen." Auch im Dezember 1899 war "von der Abfuhr … nicht viel zu bemerken, " was zu gefährlichen Situationen für die Fußgeher und Verzögerungen bei der Tramway führte. Drei Monate vorher erlebte die Stadt ein Jahrhunderthochwasser, das die Massen auf die Straßen lockte.
Das letzte Kapitel der "Geschichte Wiens in Momentaufnahmen" führt vom "alten Wien" in eine neue Zeit. Der Prater hatte sich als Eventlocation etabliert: Für den Maiaufmarsch 1892 ebenso wie für den Radfahrsport (1896) oder Fahrten mit der neuesten Attraktion, dem Riesenrad (1897). "Trotz allen Fortschritts wurde die Ausfahrt der letzten Pferdetramway am 28. Jänner 1902 zu einem sentimentalen Volksfest, mit dem eine 37-jährige Ära zu Ende ging", schreibt Thomas Hofmann. Als weitere Themen hat er zum Abschluss Otto Wagners Kirche am Steinhof und das Haus am Michaelerplatz von Adolf Loos ausgewählt. Während die Bauwerke Wien bis heute prägen, sind andere Ereignisse nur noch wenigen ein Begriff. Es ist dem Autor zu danken, dass er sie dem völligen Vergessenwerden entrissen hat.