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Andrea Komlosy: Zeitenwende#

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Andrea Komlosy: Zeitenwende. Corona, Big Data und die kybernetische Zukunft. Promedia Verlag Wien. 288 S., € 23 --

Andrea Komlosy ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. In ihrem jüngsten Buch erläutert sie historische Entwicklungen von Zeitenwenden, widmet sich aber vor allem der rezenten, die durch Corona und Big Data charakterisiert ist. Die Autorin gliedert das Buch in zwei Abschnitte und merkt an: Abschnitt 1, "Lange Wellen " stellt ein wissenschaftliches Einordnungskonzept für den historischen Wandel vor und diskutiert es im Lichte von Forschungskontroversen. … Wer die Geschichte lieber überspringen will, kann direkt in Abschnitt 2 "Der Corona-Moment im historischen Prozess" einsteigen. … Die ersten beiden Corona-Jahre waren von einer extremen Tabuisierung gekennzeichnet. … In deren Schatten entstand jedoch eine kritische Gegenöffentlichkeit, die den Horizont des Wissens und der Debatten geöffnet hat. Diesem Ansatz … fühle ich mich verpflichtet.

Komlosy ordnet Zyklen der Konjunktur und der globalen Hegemonie sowie Epochen der Menschheitsgeschichte historischen Einschnitten zu – vom Jagen und Sammeln über die Agrarrevolution und die Industriegesellschaft bis zum aktuellen Umbruch. Die erste Epoche - Jagen und Sammeln - war die weitaus längste (40 000 bis 10 000 v. Chr.) Die Agrarrevolution, die das Neolithikum einleitete, setzte mit großen regionalen Unterschieden ab ca.12 000 bis 10 000 v. Chr. ein. Diese Periode von Landwirtschaft und Gewerbe dauerte bis ca. 1500 n. Chr. Das folgende dritte Zeitalter, "Handel und Industrie", begann um 1950. Jedes wurde durch eine Produktionsrevolution eingeführt, die in drei Phasen ablief. Wir befinden uns, so die Historikerin, im Übergang vom industriellen zum kybernetischen Zeitalter. Dabei geht es um die Ablöse der seriellen Massenproduktion in der Fabrik durch eine Form der interaktiven Selbststeuerung der Maschinen.

Das ängstigt Menschen, die das analoge Leben und seine Vorteile - unkontrollierbare Freiräume, Selbstverantwortung, Vertrauen, Verbindlichkeit - schätzen. Digital Natives nehmen die "schöne neue Welt" als gegeben hin ("Brave New World", der beklemmende utopische Roman von Aldous Huxley erschien 1932. Er schildert eine angeblich perfekte Welt in einem totalitären Staat, die mithilfe des technischen Fortschritts geschaffen wurde).

Der umfangreiche zweite Teil ist der Corona-Pandemie und ihren Begleiterscheinungen gewidmet. Corona wird als Katalysator, Schubkraft oder Beschleuniger bezeichnet, ein Gelegenheitsfenster, das sich im historischen Verlauf nur in Zeiten großer politischer Umbrüche und/oder systemischer Transformationsprozesse öffnet. Zu den Boom-Branchen im Corona-Lockdown zählten Medizinprodukte, Schutzkleidung, Masken, Impfstoffe und Tests. Auch andere Produkte und Dienstleistungen erfuhren im Lockdown einen Schub, wie Online-Kommunikation, Online-Handel oder Online-Dienstleistungen. Die Menschen machten den Sprung in eine Welt, die sie bisher nicht kannten.

Online-Handel, bargeldlose Zahlung und Zustelldienste blieben auch nach der Seuche beliebt. Eine neue Ära der Kommunikation hatte begonnen. Es entstanden Plattformen, die als Vermittler zwischen Anbieter und Kunden fungieren. Das elektronische Rezept war in Österreich seit 2007 in Vorbereitung, doch erst 2020 wurde die E-Medikation umgesetzt. Home-Office (ein Viertel der Beschäftigten in Österreich und Deutschland verlagerten ihre Arbeit nach Hause) veränderte die Arbeitswelt. Auch die Telemedizin (Videokonferenz mit dem Arzt) hat in Österreich Einzug gehalten.

Als Leitsektoren des kybernetischen Zeitalters nennt die Autorin Medizin, Robotik, Biotechnologien, Nanotechnologien, Additivtechnologien und Kognitive Systeme. Leser könnte es vom kybernetischen Kapitalismus, Zugriff auf den Körper, Ausbeutung der Arbeitskraft, biometrischen Ausweisen und Kontrolle der Bewegung schaudern. Es geht um viel Geld und um Daten. Die Begehrlichkeit nach Massendaten wächst. Es ist das erklärte Ziel der EU, Europa an die Spitze der datengesteuerten Wirtschaft zu bringen (Digital Service Act, 2022). Wie die neue, in Formierung befindliche Welt aussehen wird, steht noch nicht fest. Viele Menschen stehen dem digital durchgetakteten Lebensstil skeptisch gegenüber … Neue Aussteiger- und Parallelgesellschaften bilden sich heraus. Man könnte versuchen, der Allmacht des Digitalen entgegen zu wirken und sich dieser persönlich und kollektiv zu entziehen. Man könnte aber auch beginnen, die Möglichkeiten der kybernetischen Zukunft nicht den Konzernen, Welt- und Staatenlenkern zu überlassen, sondern sich das Internet als basisdemokratisches Instrument anzueignen, schreibt Andrea Komlosy.

hmw