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Matthias Marschik, Edgar Schütz Wolfgang Wehap: Österreich fährt Rad#

Bild 'Marschik'

Matthias Marschik, Edgar Schütz, Wolfgang Wehap: Österreich fährt Rad. 150 Jahre Fahrradgeschichte in Bildern. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 192 S., ill., € 39,90

Radfahren ist in. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich bewährte Autoren der Edition Winkler-Hermaden des Themas annahmen. Der Historiker Matthias Marschik, der Journalist Edgar Schütz und der Kulturwissenschafter Wolfgang Wehap haben eine Fülle von Bildern aus allen Bundesländern zusammengetragen. Sie stellen verwegene Vélocipèdisten und -innen, in der Stadt, auf dem Land und im Fotoatelier dar. In acht Kapiteln zeigen sie, dass "Drahtesel" weit mehr waren, als ein simples Transportmittel, nämlich ein wesentlicher Teil der Alltagskultur, Requisit für politische Kundgebungen und Symbol von Protesten.

1817 war Karl Freiherr von Drais (1785-1851) der Erste, der sich mit einer zweirädrigen, mit dem Vorderrad lenkbaren "Laufmaschine" vorwärts bewegte. Die Draisine besaß keine Pedale, diese kamen erst in den 1860-er Jahren dazu. Um die Geschwindigkeit zu steigern, erfand man in den 1870er- Jahren Hochräder, deren Vorderrad 1,50 Meter maß. Pioniere des Vélocipèds ("Schnellfuß", lat. velox - schnell, pes - Fuß) waren die französischen Wagenbauer Pierre und Ernest Michaux, die Fahrräder in Serien produzierten. In Österreich gab es bereits 1818 eine "Laufradschule". Betreiber war der Wiener Tischler Anton Burg, der Draisinen-ähnliche Fortbewegungsmittel baute. Seine Fabrik landwirtschaftlicher Geräte war lange Zeit der einzige Fahrradhersteller Österreichs. 1878 erhielt der Kärntner Schlosser Josef Erlach das Privileg, zwei- und dreirädrige Liegeräder zu produzieren bei denen - anders als damals üblich - das Hinterrad das größere war. Der Fahrer saß knapp über dem Boden und trieb das Hinterrad über Trethebel und Gestänge an. Seit 1880 waren diese Gefährte in Wien erhältlich und mit 140 bis 200 Gulden etwa gleich kostspielig wie ein englisches Hochrad. Um die Jahrhundertwende waren die "Styria-Fahrradwerke Johann Puch & Comp." international bekannt. Die Grazer Fabrik bestand bis 1932. Ihr größter Konkurrent befand sich im Oberösterreichischen Steyr, wo man ab 1894 das "Waffenrad" baute. 1934 fusioniert, entstand aus den bisherigen Mitbewerbern die "Steyr-Daimler-Puch AG" als eine der größten Fahrradfabriken Europas mit der Produktionsstätte in Graz. 1987 wurde die Zweiradproduktion an eine italienische Firma verkauft.

Anfangs war das Vélocipède noch ein Privileg von Aristokratie und Oberschicht. Auch Kaiserin Elisabeth trat fleißig in die Bicycle-Pedale. Da Sisi aber zunehmend die Fotolinse scheute, sind keine Bilder überliefert. Wobei gerade die sich parallel entwickelnde Fotografie ein Abbild der gesellschaftlichen Rolle des Fahrrads gibt. Wer um 1900 im Sonntagsstaat vor dem Fotografen posierte, rückte gerne auch das Fahrrad ins rechte Licht, als Beweis für den Besitz und die Beherrschung desselben, schreiben die Autoren von "Österreich fährt Rad." Fotografen in Mariazell waren um 1900 spezialisiert auf Portraits stolzer Radfahrer mit einem Panorama des Wallfahrtsortes im Hintergrund. Aufnahmen im Kapitel Fahrrad überall zeigen Mitglieder des Grazer Damen-Bicycle-Clubs - angeblich des ersten in Kontinentaleuropa - mit bodenlangen Kleidern vor phantasievollen Atelier-Kulissen.

Hoch zu Rad und die Emanzipation per "Safety" lässt erkennen, dass das damals neue Fahrzeug, wie die Schriftstellerin Rosa Mayreder meinte, mehr zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten beigetragen hat, als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammengenommen. Dabei spielte die Geselligkeit eine wichtige Rolle. Man gründete Vereine - für Damen und Herren - und unternahm gemeinsame Ausflüge. Doch auch aus dem Alltag von Hausfrauen und Bäuerinnen waren die Räder bald nicht mehr wegzudenken.

Im Kapitel Das Fahrrad im Konkurrenzkampf merkt man gleich, wofür das Buch Partei ergreift. Angesichts der sonst informativen Texte wären einige Bemerkungen verzichtbar gewesen. Das wirtschaftliche Fahrrad führt in die Berufswelt der Hersteller und Mechaniker, aber auch der Handwerker, die sich des Fortbewegungsmittels bedienten, wie Bäcker, Briefträger, Rauchfangkehrer oder Dachdecker. Für manche Scherenschleifer war es zugleich die Werkstätte. Fahrradpolitik im Zeitenwandel lässt die Entwicklung Revue passieren. 1884 forderten die Wiener Bicycle-Clubs die Öffnung der Straßen und ein Verkehrsregelwerk. Verpflichtend war eine Prüfung beim "Wiener Rennverein für Fahrradsport" für einen Fahrerlaubnisschein, dessen Nummer auf einer Tafel angebracht sein musste. 1897 wurden die Nummerntafeln abgeschafft und die Straßen für Pedalritter freigegeben, auch Radwege gab es bereits.

Das Fahrrad und die Prominenz zeigt eine Reihe von Politikern und Künstlern, die sich als Radler fotografieren ließen, wie Theodor Herzl, Rudolf Kirchschläger, Helmut Zilk, Erwin Pröll, Claus Peymann oder Thomas Bernhard. Filme ("Kottan ermittelt") und Schlager ("Ja, mir san mit'n Radl da ") kamen nicht ohne den zweirädrigen fahrbaren Untersatz aus. Für Artisten war er ein wichtiges Requisit. Das leitet über zum Abschnitt Fahrradsport. Er beginnt mit den jüngsten Olympischen Sommerspielen in Tokyo, bei denen die Mathematikern Anna Kiesenhofer aus Oberösterreich als Amateurin Gold im Straßenrennen der Frauen gewann. Weitere Highlights waren in den 1930er Jahren die Siege des Radsportlers Max Bulla bei der Tour de France oder die Duelle bei der Österreich-Rundfahrt, die im Fernsehen übertragen wurden. Als Vehikel der Freiheit pries schon der Arzt und Dramatiker Arthur Schnitzer sein Rad: Nach diesen zwei Dingen sehn ich mich unbeschreiblich: nach dem Schreiben und nach dem Bicycle.

hmw