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Wolfgang Neubauer, Ingrid Kowatschek: Älter als Stonehenge#

Bild 'Neubauer'

Wolfgang Neubauer, Ingrid Kowatschek: Älter als Stonehenge. Rätselhafte Monumente in Österreich. Kral-Verlag, Berndorf, 216 S., ill., € 39,90

Stonehenge ist das wohl berühmteste Steinmonument der Welt und übt seit jeher eine ungebrochene Faszination auf die Menschen aus. Nur wenigen ist bekannt, dass in Österreich fast zweitausend Jahre vor dem steinernen Monument bereits die ersten kreisförmigen Monumentalbauten Mitteleuropas errichtet wurden, beginnen die Archäologen Wolfgang Neubauer und Ingrid Kowatschek ihr informatives Buch über rätselhafte Monumente in Österreich. Wolfgang Neubauer ist Direktor des Ludwig Boltzmann-Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie und lehrt am Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien. Der international führende Forscher auf dem Gebiet der archäologischen Prospektion und Stratigraphie hat mit seinem Team, zu dem Ingrid Kowatschek zählt, zahlreiche Projekte durchgeführt. Unter anderem erforschte er die Römerstadt Carnuntum, wikingerzeitliche Fundstellen in Skandinavien und die Landschaft um Stonehenge. Sein besonderes Interesse gilt den österreichischen Kreisgrabenanlagen.

Kreisgrabenanlagen haben einen Durchmesser von 45 m bis 180 m und bestehen aus bis zu vier, bis 6 m tiefen Gräben. Das mit Palisaden abgegrenzte Innere war nur über schmale Erdbrücken erreichbar. Da sie - im Gegensatz zu Stonehenge - aus Holz und Erde bestanden, sind keine oberirdischen Reste erhalten. Bisher wurden 180 Kreisgrabenanlagen in Mitteleuropa - von der Ukraine bis Belgien - lokalisiert. Die höchste Dichte weisen Niederösterreich, Südmähren und die Westslowakei auf. Die meisten, ein Drittel, befinden sich in Niederösterreich.

Diese Bestandteile mittelneolithischer Siedlungen entstanden ab etwa 4850 v. Chr. und wurden nur rund zwei Jahrhunderte genützt. Ihre Entstehung und Ausbreitung sind nach aktuellem Wissensstand durch das gegenseitige Beeinflussen von Bauern aus Europa und einheimischen Jägern und Sammlern erklärbar. Erstmals betrieben die Europäer Landwirtschaft und errichteten dauerhafte Häuser. Aus Holz und Lehm gebaut, waren diese 300 m² groß. Die Siedlungen lagen in hügeligen Lösslandschaften in der Nähe von fließenden Gewässern oder Quellen.

Seit der ersten Ausgrabung an einer Kreisgrabenanlage vor rund 100 Jahren hat sich die archäologische Forschung grundlegend verändert. Während am Beginn noch die Bergung möglichst vieler spektakulärer Fundgegenstände im Vordergrund stand, wird heute vor allem Wert auf den Kontext, die Fundzusammenhänge gelegt, schreibt die Herausgeberin Ingrid Kowatschek. Durch eine großflächige Prospektion können in kürzester Zeit mehr Informationen über eine Fundstelle gefunden werden. … Mit Hilfe von Laserscannern, Drohnen und speziellen fotografischen Methoden werden die im Boden festgestellten Strukturen auch dreidimensional aufgenommen. Sie bilden die Grundlage spektakulärer 3D-Modelle. Methoden wie Luftbildarchäologie und geophysikalische Prospektion (Bodenradar- und Magnetik-Messungen) geben zerstörungsfrei Auskunft über die im Untergrund vorhandenen Strukturen. Heute sehen ArchäologInnen eine Grabung als letzte Möglichkeit, eine Fundstelle für die Nachwelt zu bewahren.

Dies ist der Fall, wenn spezielle Forschungsinteressen vorliegen, wie in Kamegg im Kamptal. In zwei Jahrzehnten konnten dort wertvolle Schlüsse gezogen und Keramikfunde geborgen werden. Unter mehr als 13.250 mittelneolithischen Scherben (ca. 350 kg) waren wenige ganze Gefäße, doch lässt sich auf 5.000 bis 6.000 Objekte schließen. 40 % der Fragmente waren Töpfe, ein Drittel Schüsseln, 17 % Becher und 6 % Fußschüsseln. Der Rest verteilt sich auf Idole, Tierfiguren und kleinere Gegenstände. Ein Fünftel aller Gefäße war rot, gelb und weiß bemalt. Anfang des 5. vorchristlichen Jahrtausends löste in Niederösterreich die Bemaltkeramik, nach einem ungarischen Ort auch Lengyel- Kultur genannt, die linearbandkeramische Kultur ab.

Aufgehängte Behälter schützten die wertvollen Vorräte. Im Mittelneolithkum bestand ein wesentlicher Teil der Ernährung aus Kulturpflanzen, vor allem Getreide, wie Einkorn, Emmer, Gerste und Dinkel. Brot buk man in Öfen aus Lehm. Erbsen und Linsen waren wichtige Eiweißlieferanten, dazu wurden wild wachsende Pflanzen gesammelt. Vor allem Rinder deckten den Fleischbedarf. Auch Schafe, Ziegen, Schweine und Hunde wurden gehalten. Auerochse, Hirsch, Reh, Wildschwein, Hase und Hühnervögel waren Jagdwild. Ebenso fanden sich Reste von Fischen, Weinbergschnecken, Schildkröten und Flussmuscheln.

Tiere lieferten nicht nur Nahrung, sondern auch Rohstoffe. Wolfgang Lobisser hat aufschlussreiche Beiträge über die Bearbeitung von Holz, Knochen, Geweih, Elfenbein und Horn, Lederverarbeitung, Gewebe und Schnüre geschrieben. 2005 war er bei der Niederösterreichischen Landesausstellung "Zeitreise Heldenberg" tätig. Die noch bestehende Attraktion umfasst das Freilichtmuseum "Steinzeitdorf" mit rekonstruierter Kreisgrabenanlage und vier Häusern sowie Originalfunde.

Zu den interessanten Artefakten zählen die Idole, meist bemalte Tonstatuetten, deren Form an Frauen erinnert. Ihre Größe reicht von 15 cm bis 1 m. Frühere Interpretationen als Muttergottheit oder "große Göttin" sind heute überholt. Nicht zuletzt ist es eine offene Frage, ab wann wir überhaupt mit einem Glauben an eine Gottheit rechnen dürfen. Aufgrund ethnographischer Parallelen ist dies für die Jäger- und Sammlervölker der Altsteinzeit sehr unwahrscheinlich", sieht sich Christine Neugebauer-Maresch von manchen ReligionswissenschaftlerInnen bestätigt. Mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln können wir eine Religion im Neolithikum aber weder nachweisen, noch rekonstruieren, schreibt Wolfgang Neugebauer.

Bleibt schließlich die Frage nach der Funktion der 7000 Jahre alten Kreisgrabenanlagen. Die Autoren des reich illustrierten Bandes sind erfreulich vorsichtig. Es tut gut, statt esoterischer Spekulationen seriöse wissenschaftliche Befunde und neueste Erkenntnisse zu lesen. Seit Beginn der Erforschung der Kreisgräben wurden sie immer wieder mit so genannten Henge-Monumenten in Verbindung gebracht. Diese sind jedoch rund 2.000 Jahre jünger und es besteht keine direkte kulturelle Verbindung, gibt Neubauer zu bedenken. Die Vermutung, dass es sich um Umhegungen für Vieh gehandelt habe, kann er ebenfalls mit Sicherheit ausschließen. Es handelt sich auch nicht um ein hervorgehobenes Siedlungsareal, da alle Hinweise auf eine Bebauung des Innenraumes fehlen. Die bisherigen Erklärungsmodelle reichen von politischen und kulturellen Versammlungs- und Veranstaltungszentren bis hin zu Kalenderbauten, astronomischen Beobachtungszentren und Sonnentempeln. Wurden diese Theorien ursprünglich konträr diskutiert, ist derzeit ein Trend zu eher multifunktionalen Erklärungsmodellen zu beobachten.

hmw