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Ilona Sármány-Parsons: Die Macht der Kunstkritik#

Bild 'Sarmany'

Ilona Sármány-Parsons: Die Macht der Kunstkritik. Ludwig Hevesi und die Wiener Moderne. Mit einem Vorwort von Ernst Bruckmüller. Böhlau Verlag Wien Köln. 486 S., ill. € 65,-

Wien um 1900 ist als Zentrum des europäischen Kunstlebens bekannt. Weit weniger bewusst ist, welche Rolle die zeitgenössische Kunstkritik spielte. Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit, den Wahlspruch der Secession prägte Ludwig Hevesi (1843-1910), der bedeutendste Kunstkritiker und Kenner der Malerei seiner Zeit. Sein Urteil bestimmte Karrieren, er verhalf Gustav Klimt und dem Wiener Jugendstil zum Erfolg.

Ludwig Hevesis umfangreiches Lebenswerk war bisher nur in Bruchstücken bekannt. Dr. Ilona Sármány-Parsons hat jahrzehntelang über ihn und seine Zeit geforscht. Nun liegt ihr 2019 in ungarischer Sprache erschienenes Standardwerk auf Deutsch vor. Es behandelt eine Vielzahl kultureller Aspekte, in deren Mittelpunkt Ludwig Hevesi steht. Als Spezialistin für die Kunst der Österreich-Ungarischen Monarchie lehrte Ilona Sármány-Parsons in Wien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Großbritannien und den USA. Ihr Buch über Gustav Klimt (1987) erschien in englischer, deutscher, ungarischer, französischer, russischer, tschechischer und japanischer Sprache.

Neben zahlreichen Publikationen kuratierte sie internationale Ausstellungen. Ilona Sármány-Parsons charakterisiert Ludwig Hevesi als mitteleuropäischen Intellektuellen, der in wunderbarem Stil Aufsätze über die bildenden Künste, das Theater und die Literatur verfasste. … Er schrieb so, dass durchschnittlich gebildete Zeitungsleser es verstanden. Dabei kam ihm die literarische Gattung des Feuilletons entgegen. Hier konnte man, locker formuliert, unterschiedliche Standpunkte einnehmen. Die Neuerung aus Frankreich fand in Wien ein aufmerksames Publikum und in Hevesi einen ebenso produktiven wie qualitätsbewussten Verfasser. Das Feuilleton wurde zum Medium der Kunstkritik und Hevesi wurde der führende Kunstkritiker Wiens, … als die neue Malerei, die man später Jugendstil nannte, in der 1897 gegründeten Secession ihre Heimat fand, wurde Hevesi ihr begeisterter und begeisternder Prophet , schreibt Ernst Bruckmüller im Vorwort, und: Hevesi ist aber auch der Autor der ersten österreichischen Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. Damit legte er den Grundstein für spätere Einschätzungen des Kunstschaffens dieser Zeit.

Der Arztsohn Ludwig Hevesi wurde 1843 als Lajos Löwy in der ungarischen Stadt Heves geboren. 1910 setzte er in Wien seinem Leben ein Ende. Umfassend gebildet, sprach er sieben Sprachen und publizierte auf Ungarisch und Deutsch. In Pest besuchte er das Gymnasium und begann dort das Studium der Medizin und klassischen Philologie. 1862 wechselte er an die Universität Wien. An die Stelle des Studiums trat die Mitarbeit beim "Pester Lloyd", einem der angesehensten Medien der Monarchie. 1875 schloss er als Kulturredakteur einen Vertrag mit der meinungsbildenden, halboffiziellen Tageszeitung "Fremden-Blatt". Im letzten Drittel der 1890er Jahre galt Ludwig Hevesi als "Nestor der Kunstkritik in Wien" und Maßstab für junge Journalisten. Er schrieb Fachartikel für viele angesehene Blätter, übersetzte Literatur sowie das "Kronprinzenwerk" und verfasste eigene Bucher.

Dank seiner angesehenen Persönlichkeit und seiner Demut im Fachlichen hatte er schon bald ausgedehnte professionelle Verbindungen und einen großen Freundeskreis, weiß Ilona Sármány-Parsons. Bevor sich die Autorin Hevesis weiterer Karriere - in Pest und Wien - widmet, referiert sie die Kunstkritik in England, Frankreich und Deutschland vor der Mitte des 19. Jahrhunderts. Bisher gab es noch keine Zusammenfassung der europäischen Kunstkritik.

Gegen Ende der 1880er Jahre verzeichneten alle Gebiete der Kultur rasante Änderungen, etwa das symbolische Ende der Epoche mit Hans Makarts Tod. Es war unüblich gewesen, dass Künstler, die nicht zu einer Ausstellung zugelassen wurden, ihre eigene organisierten. Hevesi vertrat die Meinung, der "Wiener Salon der Zurückgewiesenen" sei genau so ernst zu nehmen, wie die Ausstellungen des Künstlerhauses. Dessen erste interessante Präsentation war 1890 eine Makart-Ausstellung. Subtil beschreibt die Autorin die Texte Hevesis zu den Ausstellungen und einzelnen Bildern. Bei der Charakterisierung der Wiener Kunstszene geht sie chronologisch vor. 1894 war das Jahr der Internationalen Ausstellung im Künstlerhaus, die 2000 Werke umfasste. Hevesi widmete ihnen einem neunteiligen Bericht. Am Jahresende stellten sich die Vertreter der deutschen Avantgarde in Wien vor. Seine Bewertung erfolgte analytisch, kritisch, erklärend, aber durchaus positiv und fördernd.

Um die vorletzte Jahrhundertwende war die Moderne nicht mehr aufzuhalten. Der "Strudel der Secession" erfasste Wien. 1897 kam es zu deren Abspaltung vom Künstlerhaus. Hevesi war der erste, der das Publikum über die Gründung informierte. Er setzte all sein schriftstellerisches Talent ein, um dem Leser die Gruppe junger Künstler als sympathisch darzustellen. 1894 wurde Gustav Klimt mit Deckengemälden für den Großen Festsaal der Universität Wien beauftragt. Die Fakultätsbilder sollten als Allegorien Philosophie, Medizin und Jurisprudenz darstellen. Es kam zu heftigen Disputen. Das Professorenkollegium protestierte gegen die "hässliche Kunst". Klimt kaufte seine Bilder zurück. Hevesi, der den Künstler stets verteidigt hatte, muss eine tiefe Krise durchgemacht haben. Von da an setzte er sich nicht mehr so leidenschaftlich für seine Freunde ein.

1902 bildete die Beethoven-Ausstellung ein Highlight der Secession. Hevesi widmete der Schau schon vor der Eröffnung drei lange Artikel: Das ist eine Kirche der Kunst, in die man zur Erbauung eintritt und aus der man glaubend hinweggeht. Andere Kritiker bewerteten Klimts Beethoven-Fries negativ. Hevesi aber besprach den Fries an einer wichtigen Stelle in dem Buch, an dem er arbeitete, als Höhepunkt der Entwicklung der österreichschen Malerei.

Das kanonisierende Buch Österreichische Kunst im 19 Jahrhundert sollte Teil einer 14-bändigen Reihe von je 160 Seiten mit 100 Abbildungen werden. Bisher hatte niemand über die österreichsche Kunst früherer Epochen eine längere Zusammenfassung geschrieben. Von Hevesi erschienen zwei Bände. Der erste behandelt auf 112 Seiten mit 80 Abbildungen die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im zweiten Teil bespricht er die Zeit der Herrschaft Franz Josephs.

Die Kapitel Internationaler Erfolg und heimische Niederlage, Nachhutgefechte und Resignation, Nachklänge und Bilanz sowie ein Anhang runden das Buch über Ludwig Hevesi und die Wiener Moderne ab. Ilona Sármány-Parsons hat damit ein großartiges, wegweisendes Werk geschrieben. Jahrzehntelange Forschungen, detaillierte Fachkenntnis und zahlreiche Illustrationen fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk. Um die passenden Worte der Anerkennung zu finden, müsste man Ludwig Hevesi sein.

hmw