Margot Schwienbacher: Bäuerliche Kapellen in Südtirol#
Margot Schwienbacher: Bäuerliche Kapellen in Südtirol. Mit Fotos von Armin Huber und Josef Gutmann. Hg. Südtiroler Bäuerinnenorganisation. Folio Verlag Bozen. 400 S., ill., € 46,-
Dieses Buch ist eine Sensation: Es dokumentiert erstmals rund 700 bäuerliche Privatkapellen in Südtirol. Der Katalogteil macht die Hälfte des Bandes aus, die andere bietet Basisinformation über die Kapellen bei den Bauernhöfen, ihre Architektur und Dekoration, Variationen, Bauanlässe, Heilige, alte und neue Bräuche.
Landesbäuerin Antonia Egger erzählt über die Entstehung des Buches: Es begann mit einem Film des italienischen Rundfunks (Rai). Die Recherche brachte interessante Details, doch eine wichtige Frage blieb offen. Wie viele bäuerliche Hofkapellen stehen in Südtirol? Dazu gab es keine umfassende und aktuelle Erhebung …. Als Südtiroler Bäuerinnenorganisation haben wir uns vorgenommen, alle Südtiroler Hofkapellen zu erfassen, zu fotografieren und ihre Geschichte zu dokumentieren. Ein ähnliches Projekt hatten die Bäuerinnen schon 2019, damals über "Lebendige Bräuche", durchgeführt und mit einem schönen Buch in Bild und Text festgehalten. Die größte Frauenorganisation hat mehr als 16.600 Mitglieder. Es ist ihr Ziel, Frauen auf dem Land in ihren gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Anliegen zu vertreten..Wieder waren die Ortsbäuerinnen landauf, landab für ihre Bestandaufnahme unterwegs. Denkmalamt, Diözesankonservator, BesitzerInnen und HeimatforscherInnen trugen dazu bei. Das Ergebnis ist dieser stattliche Bildband, mit ganz- und doppelseitigen Fotos von Armin Huber und Josef Gutmann, die sich im ersten Teil mit den informativen Texten von Margot Schwienbacher auf das beste ergänzen. Das Verzeichnis im zweiten Teil stellt jede Kapelle im Bild und mit einer Kurzcharakteristik vor. Alles in übersichtlichem Layout und feinster grafischer Ausführung.
Private Kapellen prägen Südtirols Landschaft: Sie stehen bei Bauernhöfen, an Wegen, im Wald und auf Almen. Das Aussehen reicht von bildstockartigen Objekten bis zu kleinen Kirchen. Manche wurden zum Schutz für Haus und Hof errichtet, andere zum Dank für himmlische Hilfe oder weil der Gang zur Dorfkirche zu beschwerlich war. Als Baumaterial diente Holz oder Stein, wobei sich große Formenvielfalt zeigt. Dachreiter, Fassadenglocken, Schindeldächer und unterschiedliche Grundrisse bestimmen das Aussehen. Vom Stil her findet man barocke und historistische Formen. Oft sind Fassaden und Innenräume aufwändig dekoriert. Dabei waren anonyme Maler ebenso am Werk wie bekannte Künstler. Votivbilder und Devotionalien bilden die Ausstattung.
Bei ihren Recherchen hörte die Autorin kuriose Geschichten: In Untrum wurde eine Pestkapelle aus dem 14. Jahrhundert später zum Teil eines Wirtschaftsgebäudes. In Glieshofen musste man durch den Sakralraum gehen, um ins Gasthaus zu gelangen. In Terenten entdeckte ein Hofbesitzer an der Rückwand eines verfallenen Backofens barocke Fresken. In Percha diente die Kapelle als sicherer Getreidespeicher.
Klöster, Schlösser und Burgen hatten seit dem Mittelalter ihre eigenen Andachtsräume. Auch Weingüter und Kornhöfe, Gutshöfe und Jagdsitze verzichteten nicht darauf. Sogar Bäder wurden mit Kapellen errichtet. Weil zu einem ganzheitlichen Gesundheits- und Heilkonzept nicht nur der Körper, sondern auch Seele und Geist gehören, entstanden bei vielen "Bauernbadeln" Kapellen, in denen regelmäßig Andachten zelebriert wurden. Mineral- und Schwefelbäder, aber auch Schwitzstuben, waren für die einheimische Bevölkerung gedacht, manche entwickelten sich zu Beherbergungsbetrieben. In Bad Mitterbad in Ulten war Kaiserin Elisabeth mehrmals zu Gast
Der "Einkehr unterwegs" dienten Wegkapellen, die auch als Grenz- und Wegmarken galten. Selbst auf Bergen und hoch gelegenen Almen befinden sich Kapellen. Manche gehören bis heute zu einer Gemeinschaft von Höfen oder einzelnen bäuerlichen Betrieben. Auf der Seiseralm ließ 1857 ein Landeshauptmann-Stellverttreter ein kleines Gotteshaus errichten, damit die Senner der Sonntagsmesse beiwohnen konnten.
In der vorindustriellen ländlichen Lebenswelt nahmen die Gläubigen Zuflucht zu heiligen Fürbittern, denen sie Kapellen weihten. An erster Stelle der Patronate steht die Gottesmutter Maria. Historische Gnadenbilder und Andenken an Marienerscheinungen sind häufig zu finden. Unter den Heiligen vertraute man Patronen für besondere Anliegen: Josef, dem "größten Fürsprecher der Christenheit", Landespatron Tirols und Helfer in Famiienangelegenheiten, Anna, deren Tag am 26. Juli oft festlich begangen wird, oder Antonius -Er wird bei Fieber, Pest, Kriegsnöten und Viehkrankheiten angerufen. Am wichtigsten aber ist seine Hilfe beim Auffinden verloren gegangener Gegenstände. Rochus und Sebastian gelten als Pestpatrone. Unter den 14 Nothelfern ist jeder auf bestimmte Anlässe spezialisiert. Außer den allgemein bekannten verehrte man lokale Heilige wie Notburga von Rattenberg.
Es wäre falsch, Formen der "Volksfrömmigkeit" als vergangen anzusehen. Immer wieder entstehen neue Kapellen und werden bestehende renoviert. Die Autorin spricht von der Neubelebung einer alten Tradition und Gelebtem Brauchtum wie Maiandachten, Bittgänge, Patroziniumsfeste, Wallfahrten und Kirtage. Bis heute ist die Waldkapelle in Lengstein am Ritten ein beliebter Rückzugsort. Sehr berührend sind die Notizhefte, in die die Gläubigen ihre Anliegen schreiben: Sie zeigen, wie Menschen auch in der Coronapandemie Halt und Hoffnung im Gebet gefunden haben.