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Norbert Christian Wolf: Glanz und Elend der Aufklärung in Wien#

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Norbert Christian Wolf: Glanz und Elend der Aufklärung in Wien. Voraussetzungen - Institutionen - Texte. Böhlau Verlag Wien - Köln. 456 S., ill., € 53,-

Bei "Aufklärung" und "Wien" denkt man an die Reformen Joseph II. (1765-1790). Die Aufklärung gilt als entscheidender Prozess der europäischen Kulturgeschichte, der die Herausbildung moderner, säkularer Gesellschaften ermöglichte. Die bis heute geltende Definition lieferte der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724-1804): Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. … Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Die um 1700 einsetzende westeuropäische Emanzipationsbewegung fand in der Habsburgermonarchie vergleichsweise späte Rezeption, wie der Historiker Karl Vocelka analysierte. Vor allem der gegereformatorische Katholizismus stand der kritischen Trennung von Vernunft und Offenbarung ablehnend gegenüber. Dies nicht zuletzt wegen der Dominanz der Jesuiten im Bildungssystem. Auch hatte das Leseverhalten in Österreich weniger Bedeutung als in den protestantischen Gebieten des Nordens. Sieben Jahre nach der 1774 erlassenen Schulpflicht besuchte in Wien und Niederösterreich nur etwas mehr als ein Drittel der Kinder die Schule. Auch die Rolle des Beamtentums (andernorts der Bürger) war wesentlich. Statt Hof- und Adelskritik wandten die Wiener Aufklärer ihre Aufmerksamkeit in erster Linie der katholischen Kirche zu, deren Aber- und Wunderglauben sie vehement bekämpften.

Mit diesen Argumenten wird Karl Vocelka vom Buchautor zitiert. Norbert Christian Wolf ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien. So konzentriert er sich in seinem Werk auf die literarischen Aspekte des Zeitalters und referiert unterschiedliche Lehrmeinungen. Er gliedert das umfassende Werk in drei Teile - mit 15 Kapiteln und 35 Unterkapiteln. Ausgehend von den wirtschaftlichen, politischen, sozialen, medialen und kulturellen Rahmenbedingungen werden wichtige Texte und Debatten dieser Zeit vorgestellt und historisch kontextualisiert. Den Abschluss der Darstellung bildet eine kritische Lektüre dreier exemplarischer Texte.

Zu den tragenden Institutionen der Aufklärung wie Akademien, Universitäten, Freimaurerlogen oder Salons zählten in Wien zwei spezielle Institutionen: Das Theater und die vorreformatorischen Ordensgemeinschaften der Benediktiner und Augustiner. Eine herausragende Rolle für das Entstehen einer aufgeklärten kritisch-rationalen Öffentlichkeit spielte die 1781 von Joseph II. dekretierte "erweiterte Pressfreyheit" Sie führte zu einer "Wochenschriftenflut" die den Kaiser zu Einschränkungen zwang, um der unsinnigen Schreibsucht nach und nach ein Ende zu machen. Unter Maria Theresia hatten strenge Zensurregeln bestanden. 1754 verzeichnete ein Katalog sämtliche verbotenen Bücher - und wurde 1777 selbst auf den Index gesetzt, weil er zu einem Führer durch die anrüchige Literatur geworden war. Der Kaiser stellte spöttisch fest, dass man in Wien jedes verbotene Buch erhalten könnte. Wenn auch zum doppelten Preis und nicht für alle Interessierten. 1781 erlaubte sein Zensurpatent den Verkauf protestantischer Schriften. Die Broschürenflut schien nicht einzudämmen. Täglich erschienen - in der deutschen Literaturgeschichte völlig einzigartig - zwei bis drei Druckschriften politischen, satirischen, belletristischen oder religionskritischen Inhalts. Aus sieben alteingesessenen Druckereien wurden bis 1785 viermal so viele (29) mit 120 Pressen.

Bücher wurden jedoch "wegen deren hiesig höheren Unkösten alles meisten außer Landes gedruckt". In Österreich produziertes Papier war höher besteuert, was sich innovationshemmend auswirkte, während ausländische Buchhändler profitierten. Es lag also nahe, einheimische Firmen zum Nachdruck zu motivieren, wie es Kaiserin Maria Theresia bei ihrer ersten Audienz für den Wiener Nachdruckerfürsten J. T. Trattner getan haben soll. Sein erstes großes literarisches Nachdruckprogramm startete im September 1765. Der Wiener Büchermanufakturist konnte sich bei seinen unautorisierten Nachdrucken auf die von der Regierung sanktionierte Notwendigkeit berufen, den Abfluss finanzieller Mittel ins Ausland zu verhindern. Trattner musste keine Autorenhonorare zahlen, sodass seine Bücher nun billiger waren als die der deutschen Originalverleger. Als sich diese bei Joseph II. beschwerten, meinte er nur, dass es keinen Unterschied mache, ob jemand Käse oder Bücher verkaufe. Er müsse nur den Erwartungen des Publikums entsprechen und dieses durch günstige Preise motivieren.

Im dritten Teil seines umfangreichen Werkes widmet sich Norbert Christian Wolf Paradigmatischen Texten der Wiener Aufklärung, zunächst dem komischen Versepos "Virgils Aenaeis, travestiert" (1782-1788) von Aloys Blumauer, einem der damals beliebtesten Autoren im deutschsprachigen Raum. Die erste Auflage von 12.000 Exemplaren war bald vergriffen. Doch weniger der Dichter, als die Nachdrucker profitierten von dieser Aufklärung durch Lachen. Das zweite besprochene Werk, der Thesenroman "Faustin oder das philosophische Jahrhundert" von Johann Pezzl entstand 1783/1788. Ein exemplarischer Roman des literarischen Josephinismus und des josephinischen Tauwetters. Schließlich analysiert Norbert Christan Wolf "Die Zauberflöte" (1791). Dabei geht es ihm weniger um das international anerkannte Meisterwerk der Wiener Klassik von W. A. Mozart, als um das Libretto von Emanuel Schikaneder. Das Singspiel zeige die Widersprüchlichkeit der Wiener Aufklärung, es sei Aufklärungsoper und Spaßtheater, ein Patchwork aus Versatzstücken populärer Machart. Der Literaturhistoriker referiert widersprüchliche Deutungen des Textes und kommt zu einer überzeugenden Interpretation. Mit dem deutschen Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer kritisiert er Misogynie und Paternalismus, Xenophobie und Rassismus. Er ortet u. a. pathetische Deklamationen, psychologische Unstimmigkeiten und bis an die Grenzen des Erträglichen gehende Deklamatorik. Die von der Aufklärung propagierte Freiheit des Denkens suche man in dem geradezu hetzerischen Machwerk vergeblich. Die wunderbare Musik Mozarts erscheine streckenweise als gegen den Text komponiert.

Die "Zauberflöte" war eine Gemeinschaftsproduktion von Mozart und Schikaneder für das Theater im Freihaus auf der Wieden, dessen Direktor er war. Über seine Arbeit sagte er einmal: Mein einziger Hauptzweck dabey ist, für die Kasse des Direkteurs zu arbeiten und zu sehen, was die größte Wirkung auf der Bühne macht, um ein volles Auditorium und gute Einnahmen zu erzielen. Norbert Christian Wolf schließt sein - mit zahlreichen zeitgenössischen Ansichten illustriertes - Werk mit den Worten: … muss die Zauberflöte als bleibender paradigmatischer Text der so ambivalenten wie unvollendeten Wiener Aufklärung schlechthin gelten.

hmw