Oliver Woog: Wo ich seit langer Zeit …#
Oliver Woog: Wo ich seit langer Zeit die vergnüglichsten Tage verlebt habe. Franz Schubert in Graz, der Steiermark, Niederösterreich und dem Burgenland. Schubert Topographie Band 5.. Hg. Schubert-Projekt GbR, Öpfingen. 132 S., ill., € 25,-
Wo hat Franz Schubert (1797-1828) seine "vergnüglichsten Tage" verlebt? Der deutsche Konzertgitarrist und Schubertforscher Oliver Woog hat es herausgefunden. Und dazu eine Fülle weiterer Details über die Reisen des Komponisten in die Steiermark, nach Niederösterreich und in das Burgenland. Es war in Graz, Herrengasse 28, wo Schubert im September 1827 als Gast bei Familie Pachler wohnte. Die kunstsinnige Hausherrin Marie Leopoldine Pachler, geb. Koschak (1794-1855) entstammte einer musikalischen Familie und wirkte als Komponistin und Pianistin. Sie galt als schönste Frau der Stadt. Mit 22 Jahren ehelichte die - von ihren Zeitgenossen "Himmelstochter" genannte - Künstlerin den Advokaten und Brauereibesitzer Carl Pachler (1789-1850). In ihrem Haus soll der erste Christbaum von Graz gestanden sein. "Die gesellschaftlichen, kunstgeprägten Verbindungen der Familie (Koschak) waren außergewöhnlich. Viele ihrer Bekannten und Freunde verkehrten und wohnten gleichzeitig in Graz und Wien."
Die Universitätsstadt Graz war zu Schuberts Zeiten (nach Wien) die zweitgrößte Stadt Österreichs und das zweitwichtigste Kulturzentrum des Biedermeier. Öffentliche Konzerte und Theateraufführungen, private Initiativen, Vereinsgründungen und Salons wie in den Familien Pachler und Koschak trugen dazu bei. 1811 wurde das Joanneum gegründet, 1815 der Steiermärkische Musikverein. 1823 erhielt Franz Schubert dessen Ehrenmitgliedschaft - und revanchierte sich mit einer Sinfonie. Vermutlich war es die berühmte "Unvollendete". Ein wichtiges Vereinsmitglied war der Pianist Johann Baptist Jenger (1798-1856), der im Hauptberuf als Beamter im Hofkriegsrat, später als leitendes Ausschussmitglied der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde wirkte. Er machte Schubert mit der Familie Pachler bekannt und begleitete ihn 1827 auf der Reise nach Graz. Für die Hinreise, die 24 Stunden dauerte, benützten sie den eleganten und modernen Eilwagen der Post.
Bei der Rückreise hatten es die Musiker nicht so eilig. Sie nahmen sich Zeit für Besuche und Übernachtungen bei Bekannten. Die erste Station war Fürstenfeld in der südöstlichen Steiermark, damals berühmt wegen der im Schloss untergebrachten ersten Tabakfabrik Österreichs. Die Reisenden logierten im Alten Rathaus beim Bürgermeister und seiner Frau, einer leidenschaftlichen Sängerin. Sie haben wohl gemeinsam musiziert. Dies ist auch von Hartberg anzunehmen, wo ihr Gastgeber im "Brandhof" zugleich Bürgermeister, Wachszieher, Wirt, Weinhauer und einige Jahre Stadtrichter war. Über Friedberg, Aspang-Markt, Seebenstein, Pitten und Walpersbach erreichten Komponist und Pianist am 27. September 1817 Wien.
"Franz Schuberts dokumentierte Aufenthalte im Umkreis von Wien hatten meist Ausflugscharakter, natürlich immer verbunden mit fruchtbarer musikalischer Betätigung, und entstanden häufig durch Schuberts enge Freundschaft mit Franz von Schober." Adolf Friedrich Franz von Schober (1796-1882), "Dilettant in allen schönen Künsten", war neben Joseph von Spaun (1788-1865) Schuberts engster Freund und Vertrauter. Er initiierte Schubertiaden, veranstaltete literarische Lesungen, beeinflusste den Komponisten bei der Textauswahl seiner Vertonungen, veröffentlichte Schuberts Werke und entwarf dessen Grabdenkmal. Gemeinsam besuchten sie St. Pölten, wo u. a. bei Bischof Johann Nepomuk Dankesreither eine Schubertiade stattfand. Dessen Sommersitz, Schloss Ochsenburg, diente den Freunden als Quartier während der Arbeit an der Oper "Alfonso und Estrella".
Auch andere Schubertianer unternahmen mit dem Meister Landpartien. Zahlreiche Gedenktafeln in Niederösterreich erinnern an vermeintliche Aufenthalte. Oliver Woog verweist etliche in das Reich der Legende. So die Geschichte, dass Schubert und der Organist Franz Lachner (1803-1890) spontan Orgelfugen für die Stiftskirche in Heiligenkreuz komponiert und gleich aufgeführt haben sollen. Zwar fand am 4. Juni 1828 dort ein Konzert statt, doch musste die Komposition nur mehr fertig gestellt werden. Die bekannteste Anekdote ist jene, dass Schubert die "Müllerlieder" und den "Lindenbaum" in der Höldrichsmühle in der Hinterbrühl geschrieben hätte. Die Handlung einer Schubert-Operette von Franz von Suppé ist, wie Woog belegt, in freier Erfindung an diesen Ort mit "geheimnisvoller Aura" verlegt worden. Ein geschäftstüchtiger Besitzer machte die Mühle zum Kultobjekt. Davon abgesehen war Schubert ja auch nicht der Textdichter, der Mühle oder Lindenbaum zur Inspiration benötigt hätte." So wie er auch, was Otto Erich Deutsch, der Schuberts Werkverzeichnis erstellte, bemerkte, nicht an die See reisen musste, um Goethes "Meeresstille" vertonen zu können.
Der Band " Wo ich seit langer Zeit die vergnüglichsten Tage verlebt habe" ist der dritte der Schubert Topographie von Oliver Woog. Musikfachleute vergleichen diese bereits mit dem Standardwerk von Otto Erich Deutsch, der Schuberts Werkverzeichnis erstellte. So schrieb der britische Starpianist Graham Johnson, der alle Schubert-Lieder unter der Bezeichnung "The Hyperion Schubert Edition" eingespielt hat: "He is the new O. E Deutsch of Schubertian topographie". Der nun vorliegende Band (Schubert Topographie 5) endet mit Eisenstadt. Zwei über Wien und einer über die Slowakei werden das Werk komplettieren. Nicht nur Musikfreunde wird freuen, dass sie bereits in Druck sind. Alle, die mehr über die Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts erfahren wollen, finden darin viel Neues und Interessantes über Franz Schubert und seine Kompositionen, die Schubertianer und die Örtlichkeiten, mit denen sie verbunden waren. Der Autor hat die riesige Materie seriös recherchiert und, versehen mit zahlreichen Bildern, perfekt in eine übersichtliche Form gebracht.
hmw