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Aurelia Benedikt; Peter Emberger (Hg.): Maria Waldrast#

Bild 'Benedikt'

Aurelia Benedikt; Peter Emberger (Hg.): Maria Waldrast. Servitenkloster – Wallfahrt – Kraftort. Tyrolia Verlag Innsbruck - Wien. 160 S., ill., € 28,-

Ein Kloster feiert Geburtstag. Die Wallfahrtskirche Maria Waldrast in Tirol begeht das 400-Jahr-Jubiläum ihrer Übernahme durch den Servitenorden. Wie bei solchen Anlässen üblich, darf eine Festschrift nicht fehlen. Diese ist umfassend gestaltet, mit sechs Vorworten, sieben historischen Beiträgen von ExpertInnen, vier Erfahrungsberichten über den beliebten Wallfahrtsort in der Gegenwart und 78 Abbildungen. Mit einem Wort: Alles über Geschichte und Kunst eines der höchstgelegenen Klöster der Alpen.

"Waldrast nennt man das Gebiet am Sattel zwischen Serles (2717 m) und Kolljochberg (1880 m), wie man das heutige Gleinser oder Waldraster Jöchl früher nannte,. Schon lange bevor auf der Waldrast eine Wallfahrtsstätte entstand, verband über diesen 1600 m hoch gelegenen Sattel ein Verbindungsweg das Wipptal mit dem Stubaital, " schreibt Ingrid Rittler. Die Mitarbeiterin des Tiroler Volkskunstmuseums hat ihre Dissertation über die Wallfahrt auf die Waldrast verfasst und zeichnet für das Kapitel vor der Übernahme durch die Serviten verantwortlich.

Die Geschichte der Diener Mariens verfasste der Herausgeber und Wallfahrtsseelsorger Peter Emberger. Der Ordo Servorum Mariae (OSM) entstand im Umkreis der Armutsbewegung im Hochmittelalter. 1233 beschlossen sieben italienische Kaufleute, Beruf und Familie zu verlassen, um sich Gott zu weihen. Sie lebten nach dem Evangelium und der Regel des hl. Augustinus und zeichneten sich durch marianische Spiritualität aus. 1303 bestätigte Papst Benedikt XI. den Orden. 1888 sprach Leo XIII. "die Sieben" heilig. In Tirol berief Anna Caterina Gonzaga (1566-1621), die Witwe Erzherzog Ferdinands II. (1529-1595) die ersten Serviten (1611 Innsbruck), 1624 folgte Maria Waldrast, 1636 Volders.

Über die künstlerische Bedeutung der Wallfahrtskirche von der Spätgotik bis in das 20. Jahrhundert referiert der langjährige Landeskonservator für Tirol, Franz Caramelle. Noch gibt es darin vier gotische Tafelbilder. Das wertvollste Werk, ein lebensgroßes Monumentalkreuz (um 1485/90) befindet sich im Polnischen Nationalmuseum in Warschau, wo es "das dominierende Kunstwerk der mittelalterlichen Skulpturensammlung ist." Die Wallfahrtskirche wurde im Frühbarock umgestaltet. Die schwarz-goldene Altarausstattung dominiert das einschiffige Langhaus. Der von Kaiser Leopold I. (1640-1705) gestiftete mehr als 8 m hohe Hauptaltar zählt zu den bedeutendsten Altarschöpfungen des 17. Jahrhunderts in Tirol. Das mehrfach überarbeitete Gnadenbild ist vor allem von kulturhistorischer Bedeutung. Es handelt sich um eine 66 cm große Lindenholz-Statue der sitzenden Madonna mit dem Jesuskind, vermutlich aus dem frühen 15. Jahrhundert.

Die Anfänge des Pilgerortes bei Matrei am Brenner liegen in legendärem Dunkel. Es gibt zwei Ursprungslegenden. Jene im ältesten Mirakelbuch aus dem Jahr 1473 erzählt von der Vision eines armen Mannes namens Christian Lusch, der den Auftrag erhielt, auf der Waldrast eine Kapelle zu Ehren der Muttergottes zu errichten. Ein helles Glöcklein und eine weiß gekleidete Frau mit einem Kind im Arm hätten ihm die Stelle gewiesen. 1407 erhielt er endlich vom Brixener Bischof die Erlaubnis zum Bau. Allerdings wurde die Kapelle vorerst nicht geweiht. "Die Kirchen im Wipptal verzögerten die Entscheidung, denn jede neue Kirche bedeutete Konkurrenz für die eigenen Spendeneinnahmen", weiß die Historikerin. Von einem Gnadenbild ist erst 1572 die Rede. In einer Legende heißt es (wie auch andernorts), dass zwei Hirtenknaben die in einem alten Lärchenstock eingewachsene Statue fanden.

Mit der "Niederlassung der Serviten in Maria Waldrast im Zeitalter der Konfessionalisierung unter Leopold V. und Claudia de' Medici" beschäftigt sich die Archivarin am Tiroler Landesarchiv, Gertraud Zeindl. Sie verweist auf die Klosteroffensive der Habsburger und eine Gründungswelle durch loyale katholische Adelsfamilien um 1600. In diese Zeit der Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung fallen auch die Tiroler Klostergründungen der Serviten. In Maria Waldrast verzögerten finanzielle Probleme die Arbeiten an Kirche und Kloster. Dieses war zunächst für sechs Ordensleute vorgesehen, deren Zahl sich 1644 verdoppelte. Das spricht für die wachsende Beliebtheit der Wallfahrt, zu der ein Mirakel beitrug: Ein vierjähriges Mädchen, das in der Sill ertrunken schien, erlangte nach Gebeten zur Gottesmutter wieder das Leben.

Die Mirakelberichte sind Inhalt des Beitrags von Ingo Schneider, em. Univ. Prof. für Europäische Ethnologie in Innsbruck. In Maria Waldrast fand er "einen außerordentlich reichen Bestand an handschriftlichen wie gedruckten Mirakelbüchern. … Im Zentrum dieser Erzählungen steht nicht der Wunder wirkende Heilige, sondern der Mensch, an dem ein Wunder geschieht." Hervorgehoben wird die besondere Wirkmächtigkeit des lokalen Gnadenbildes, "sie wird als Topos vom Versagen aller weltlichen, sprich ärztlichen Heilkunst bezeichnet und gibt den unmittelbaren Anlass für das Verlöbnis einer Wallfahrt." Das erste Waldraster Mirakelbuch umfasst im Zeitraum von drei Jahrhunderten rund 200 Berichte. Deren Zahl steigt im Lauf des 18. Jahrhunderts. Allein von 1758 bis 1781 zählte man ca. 2000 Eintragungen. Die wunderbaren Begebenheiten wurden in Büchern abgedruckt und die eindrucksvollsten in Predigten verbreitet. Dieser Höhepunkt erfuhr durch die Josephinischen Reformen wie Klosteraufhebungen, Verbot von Wallfahrten und Bruderschaften ein abruptes Ende. Die PilgerInnen ließen sich aber ihre Traditionen nicht so schnell nehmen. Sie notierten sie ihre Geschichten auf Zettel, die sie in der Kirche hinterließen.

Das Kloster Maria Waldrast überstand zwei Aufhebungen - in den Josephinischen Reformen und in der NS-Zeit. Beide Male wurde die Gnadenstatue unter abenteuerlichen Umständen gerettet. Am Maria Himmelfahrtstag 1785 feierten die Serviten ihren vorerst letzten Gottesdienst. Bewegliche und unbewegliche Güter wurden versteigert, die Gebäude sollten abgerissen werden. "Der Servitenorden bemühte sich - bestärkt von zahlreichen Gläubigen - jahrzehntelang um den Rückkauf der Wallfahrtskirche und der aufgelassenen Klostergebäude. … Einen Höhepunkt in der Abfolge der erfreulichen Ereignisse bildete die Rückführung des Gnadenbildes am 1. Juli 1846, dem Fest Mariä Heimsuchung und Patrozinium der Kirche," erklärt die Kulturwissenschaftlerin Aurelia Benedikt. Sie beschreibt auch die Aufhebung des Klosters in der NS-Zeit. Wieder wurde das Haus beschlagnahmt, die zehn Patres mussten als "Staatsfeinde" Tirol verlassen. Die Kirche blieb bis 12. Juni 1945 versiegelt. 1941 gelang es zwei mutigen Burschen, durch ein Fenster einzusteigen und das Gnadenbild "in einer Nacht- und Nebel-Aktion nach Matrei zu bringen." Bischof Reinhold Stecher (1921-2013) erinnerte sich, dass sich hunderte Gläubige vor der verschlossenen Kirche zu einer Protestwallfahrt versammelten.

Die Rückkehr der Serviten, der Wiederaufbau von Kirche und Kloster sind Inhalt eines weiteren Kapitels der Herausgeberin Aurelia Benedikt. Sie verweist auf die Wiederkehr des Gnadenbildes, das "eine Odyssee in mehreren Etappen zu bestehen" hatte und mehrmals vergraben worden war. Es kehrte am 11.11.1945 zurück. Bis zu 7000 Gläubige nahmen an dem Fest teil. Volksfest gab es aber keines, die wenigen geladenen Gäste und Priester mussten sich mit Klostersuppe und Erdäpfelgulasch begnügen. Zu Pfingsten 1950 ließ die katholische Jugend ein Denkmal für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten aufstellen. Das Werk zeigt den Christusträger St. Christophorus und steht symbolhaft für die beiden Männer, die in ihrer halsbrecherischen Aktion das Gnadenbild mit dem Jesuskind in Sicherheit gebracht hatten. Neuere Aktivitäten fanden in der Errichtung eines neuen Brunnens für das als heilkräftig angesehene "rechtsdrehende" Wasser (1992) und einer modernen Peregrinikapelle (2000) sichtbaren Ausdruck. Gedanken und Erfahrungsberichte über den Wallfahrtsort in der Gegenwart schließen das lesenswerte Buch ab. Es beleuchtet nicht nur 400 Jahre Geschichte eines "Kraftortes" (so der Untertitel) sondern bringt auch viel Grundsätzliches zum Verständnis des Wallfahrtswesens.

hmw