Franz X. Bogner: Die Ybbs von oben#
Franz X. Bogner: Die Ybbs von oben. Im Luftbild: Vom Dürrenstein durch das Mostviertel zur Donau. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 142 S., ill., € 28,-
Die Ybbs, die anfangs Weiße Ois oder Ois heißt, ist der Hauptfluss des Mostviertels. Von der Quelle in den Ybbstaler Alpen bis zur Mündung in die Donau misst sie 138 km und weist mehr als 1100 Meter Gefälle auf. Franz X. Bogner, der Inhaber des Lehrstuhls Didaktik der Biologie an der Universität Bayreuth, ist nicht nur ein Experte der Biodiversität sondern auch der Luftbildfotografie. Dieser Band ist bereits sein 60. Der Autor folgt der Ybbs vom Dürrenstein bis zur Donau. Dort gibt sie der alten Mündungsstadt ihren Namen und grenzt den Strudengau vom Nibelungengau ab.
Schon im einleitenden Kapitel "Geologie, Geschichte und Geografie" erfährt man Interessantes, wie: Im Urprungsgebiet, den Ybbstaler Alpen, verläuft die Grenze der Bundesländer Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark. Am Dürrenstein im Quellgebiet befindet sich einer der größten Urwälder Mitteleuropas. Der 420 ha umfassende Rothwald war das erste UNESCO-Weltnaturerbe Österreichs. Die Ybbs diente Jahrhunderte lang als " Arbeitstier der Flößerei". Diese ermöglichte den Massentransport von Holz in den Wiener Raum. Die 71 km lange Ybbstalbahn, die relativ spät kam (1894), förderte die Industrialisierung durch die effektive Beförderung des Eisenerzes aus der Steiermark. Die Schmalspurbahn von Waidhofen /Ybbs nach Lunz am See wurde 2010 eingestellt, ein Radweg folgt nun ihrer Trasse.
Entlang des Flusslaufs hat der Autor nicht nur faszinierende Bilder aus der Vogelschau produziert, er beschreibt auch rund 30 Stationen an der Ybbs. Der Oberlauf hieß nach den Hammerherren Land der Schwarzen Grafen. "Angefangen von Werkzeugen, Schneidwaren, Beschlagteilen, Ketten, Schrauben bis hin zu allerlei landwirtschaftlichem Gerät wie Hacken oder Sensen, alles wurde hier geschmiedet. Grundlage war das steirische Erz, das einen riesigen Wirtschaftsraum um sich geschaffen hatte. … Immerhin wurde hier im 16. Jahrhundert ein gutes Fünftel der gesamten europäischen Eisenproduktion erwirtschaftet." In Lunz am See, der ersten großen Marktgemeinde am Fluss, bestimmten Hammerwerke das Wirtschaftsleben. Ein Zeugnis des Wohlstandes ist das Amonhaus aus dem Jahr 1551 mit seinem Arkadenhof. Auch die Töpperbrücke mit ihren Heiligenfiguren aus Eisenguss vermittelt einen Eindruck vom Reichtum der frühen Industriellen. Der Schmied Andreas Töpper (1786-1872) stieg zum größten Eisenwerksbesitzer Österreichs auf. Göstling liegt an der "Dreimärktestraße" im Mendlingtal. Durch dieses führt ein 3,5 km langer Themenweg mit einer rekonstruierten Holztriftanlage. Bemerkenswert ist auch das 25 ha große Hochmoor "Leckermoos". Früher gefürchtet, sind solche Biotope heutzutage sehr geschätzt. "Moore haben das Zeug, zu Superstars des Klimaschutzes zu werden", erklärt der Biologe.
Die Marktgemeinde Ybbsitz ist für ihre Schmiedekunst bekannt. "Schmieden in Ybbsitz" zählt zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Das Motto von Waidhofen an der Ybbs lautet seit Jahrhunderten "Eisen und Stahl ernähren die Stadt". Als wichtiges regionales Zentrum umfasste sie 200 Schmiedebetriebe, die weltweit exportierten. Die geschlossen erhaltene Altstadt mit der gotischen Hallenkirche stammt aus dem späten Mittelalter. Das Rothschild-Schloss wurde 1875 als Verwaltungssitz errichtet. Sein Bauherr Anselm Rothschild war der größte Landbesitzer Niederösterreichs (31.000 ha). Anlässlich der Landesausstellung 2006 versah Hans Hollein den Turm mit einem dominanten Glasquader.
Stattliche Vierkanthöfe und Streuobstwiesen charakterisieren den nächste Flussabschnitt, das Mostviertel. 400.000 Birnbäume bieten zur Blütezeit ein beeindruckendes Panorama, von Aussichtspunkten ebenso wie auf den Flugbildern. Einst sollte die heimische Mostproduktion der Konkurrenz der beliebten bayerischen Biere begegnen. Markant ist die barocke Basilika auf dem Sonntagberg. Sie liegt auf 712 m Höhe und ist der Heiligen Dreifaltigkeit geweiht. Ein anderes berühmtes Sakraldenkmal, das Benediktiner-Kloster Seitenstetten, geht auf eine Stiftung von 1112 zurück. Die gotische Basilika mit barocker Ausstattung wird gerne als "Vierkanter Gottes" bezeichnet. In Neuhofen an der Ybbs steht die "Wiege Österreichs". Anno 996 kam es in einer kaiserlichen Urkunde zur ersten bekannten Nennung des Namens "Ostarrichi". Das neu geschaffene Herzogtum war etwa so groß wie das heutige Niederösterreich. Das Stadtwappen von Amstetten zeigt den roten, bayerischen Wolf und die Wellen der Ybbs. Der Industrieort Amstetten (Metall, Holz, Papier, Chemie) spielt als Bahnknotenpunkt, Schul- und Verwaltungszentrum eine Rolle.
Die untere Ybbs, bis zur Mündung in die Donau, entzog sich lange einer Regulierung. Sie ist, "von zunehmend breitem Wald umgeben. Siedlungen halten respektvollen Abstand." Schloss Senftenegg überragt die Siedlung. Es geht auf eine mittelalterliche Burg zurück, von der Freskenreste erhalten sind. Nur als Ruine überlebte Schloss Freydegg, einst der schönste Renaissancebau, der sogar die Schallaburg übertroffen haben soll. St. Georgen (am Ybbsfelde) ist der dritte Ort dieses Namens im Ybbstal. Das Gemeindewappen zeigt den heiligen Drachentöter. Seit einem Jahrzehnt ist seine Metallskulptur das Wahrzeichen der Marktgemeinde. In Blindenmarkt zog ein Marienorden in das ehemalige Schloss ein. In Hubertendorf befand sich eine landwirtschaftliche Fachschule. Sie ist untrennbar mit dem Wirken des geistlichen Volksbildners Leopold Teufelsbauer (1886-1946) verbunden, auf den die Einführung des Erntedankfestes in Österreich zurückgeht. Ybbs an der Donau markiert die Mündung der Ybbs. Die Stadt war ein Teil des römischen Donaulimes. Auf der Tabula Peutingeriana ist sie als befestigter Flussübergang eingezeichnet. Das Kraftwerk Ybbs-Persenbeug entstand in den 1950er Jahren als erstes Laufwasserkraftwerk der Donau. Es gilt als Symbol des Wiederaufbaus und der Zweiten Republik. Die Kleinstadt Persenbeug liegt gegenüber der Flussmündung. Mitglieder der Familie Habsburg-Lothringen bewohnen bis heute das Schloss.
Das letzte Kapitel ist ein flammender Appell des Autors für Natur und Umweltschutz. Der Biologe erklärt die Folgen des Klimawandels: "Konkret hat sich die Blütezeit pro Grad Celsius Erwärmung um 3,6 Tage nach vorne verschoben." Während man früher die "Eismänner" Mitte Mai als Lostage ansah, beginnt die Vegetationsperiode seit Mitte der 1980er Jahre Ende April. "Ob Buschwindröschen, Waldmeister oder Lungenkraut, alle blühen früher, um die Zeitfenster ihrer Blütezeit hinzubekommen, bevor der Laubaustrieb der Baumkronen nur mehr wenig Licht zum Waldboden durchdringen lässt." Franz X. Bogner verurteilt die Profitgier auf Kosten der Natur, die im Mostviertel (noch) nicht so ausgeprägt ist, wie in anderen Landesteilen. Hier haben die Streuobstwiesen "der EU-Subventionitis gut trotzen können, die mit prämierten Baumfällungen Agrarflächen maschinentauglicher machen wollte." Für den Flugbildfotografen wird das Weglassen von Naturzerstörungen zunehmend schwieriger. "Luftbilder zeigen schonungslos, wo wir heutzutage die Natur für ein paar windige Silberlinge verraten." Trotzdem gelingt es ihm, Licht- und Wasserstimmungen emotional berührend einzufangen. Flusswasser vermittelt am späten Abend oder frühen Morgen "einen fast mystisch blauen Farbeindruck", der "ins Himmelblau mutieren" kann. "Man muss den Lichtpinsel der Sonnenstrahlen nur gewähren lassen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um einen Fluss auf die Seele wirken zu lassen." Es ist dem Autor zu gratulieren, dass es ihm gelungen ist, diese Stimmungen einzufangen und die LeserInnen an der Faszination der Vogelperspektive teilhaben zu lassen.