Bertrand Michael Buchmann: Die Babenberger#
Bertrand Michael Buchmann: Die Babenberger. Österreich im Hochmittelalter. Böhlau Verlag Wien. 248 S., ill., € 32,-
"Vor tausend Jahren kam der erste Babenberger in unser Land, also vor 30 Generationen. An eine derart lang zurückliegende Zeit gibt es keine Erinnerungen mehr, ja wir erinnern uns tatsächlich nicht einmal mehr an das, was vor einem Jahrhundert, also vor drei Generationen, geschehen ist. Alles, was es vorher gab, liegt unendlich fern und scheint uns ganz unverständlich …", so beginnt der Historiker Bertrand Michael Buchmann sein Werk über Österreich im Hochmittelalter. Es ist ein überaus lesenswertes, wissenschaftlich fundiertes und zugleich spannendes Buch, das man, einmal begonnen, nicht mehr aus der Hand legt.
Die 270 Jahre dauernde Regierung der Babenberger begann mit Leopold (Luitpold) I., "der Erlauchte" (um 940-994, reg. ab 976). Sie endete mit Friedrich II., "der Streitbare" (1211-1246, reg. ab 1230), der kinderlos in der Schlacht an der Leitha starb. Die Geschichte der ersten Dynastie Österreichs deckt sich mit dem Hochmittelalter und dem Beginn der abendländischen Kultur. War anfangs das östliche Österreich von undurchdringlichem Wald bedeckt, den nur kleine Rodungsinseln unterbrachen, bestand am Ende ein dichtes Siedlungs- und Wegenetz. Mitte des 13. Jahrhunderts zählte Niederösterreich zu den dichtest besiedelten Gebieten des Heiligen Römischen Reiches. Die damals entstandenen Städte, Märkte, Dörfer, Klöster und Burgen prägen bis heute unsere Kulturlandschaft.
Die Babenberger leiteten ihren Namen von ihrer Stammburg in Bamberg ab. Anlässlich der Heiligsprechung von Leopold III.,1485, entstand der Babenberger-Stammbaum, ein Hauptwerk der spätmittelalterlichen Tafelmalerei. Das acht Meter breite und vier Meter hohe Triptychon im Stift Klosterneuburg stellt alle männlichen Vertreter der Dynastie, ihre Ehegattinnen und einige Töchter dar. Die Portraits der mehr als 70 Personen sind in szenische Zusammenhänge und Landschaften eingebettet. Leopold (Luitpold) I. ist im Kampf gegen die Ungarn, mit Stift Melk im Hintergrund, dargestellt. Der Markgraf war bei einem "Versöhnungstreffen" irrtümlich erschossen worden.
Ihm folgte sein Sohn Heinrich I., "der Starke" († 1018, reg. ab 994). Zu seiner Zeit entstand 996 die viel zitierte "Ostarrichi"-Urkunde. Heinrichs Rundbild im Stammbaum zeigt auch den früheren Landespatron Koloman. Der irische Fürstensohn war als Pilger nach Jerusalem unterwegs, als man ihn für einen Spion hielt, folterte und in Stockerau tötete. Aus Heinrich I. Regierungszeit stammt das älteste erhaltene Gotteshaus im babenbergischen Gebiet. Der Zentralbau mit achteckiger Kuppel und den ältesten Monumentalmalereien des Mittelalters ist ein Teil der Kirche von Wieselburg.
Heinrichs Nachfolge trat sein jüngerer Bruder Adalbert, "der Siegreiche" (um 985-1055, reg. ab 1018), an. Er sicherte die Grenzen an den Flüssen Thaya, March und Leitha. Wien bestand damals aus den Siedlungskernen um St. Peter und St. Ruprecht. Der Berghof in der Mark-Aurel-Straße bildete den fest gebauten Mittelpunkt der Stadt. Der Markgraf residierte jedoch in Tulln. In seine lange Regentschaft fiel 1054 das Große Schisma, die Trennung von Ost- und Westkirche. Unter Markgraf Ernst, "der Tapfere" (1017-1075, reg.ab 1055), gelangten die böhmische und die ungarische Mark wieder an die Babenberger. Das Waldviertel wurde mit Wehrbauten gesichert. Die Kuenringer stiegen zum führenden Ministerialengeschlecht auf. Krems, Tulln, St. Pölten, Klosterneuburg, Wien, Hainburg, Baden und Krems entstanden als älteste Marktorte.
Die Markgrafenschaft der nächsten beiden Babenberger, Leopold II., "der Schöne" (1050 -1095, reg. ab 1075), und Leopold III., "der Heilige" (1073-1136, reg. ab 1095), war vom Investiturstreit um das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht gekennzeichnet. Leopold II. starb 1095 in seiner Residenz in Gars am Kamp. Wenige Wochen später rief Papst Urban II. zum Kreuzzug auf. "Kreuzzüge waren de facto Kriege der Päpste. Das Schlagwort 'Deus vult' (Gott will es) erweckte in Europa ein bisher nie gekanntes Aggressionspotential der Kirche." Für die Ritter war außer religiöser Begeisterung der Wunsch nach Macht und Ehre motivierend. Das Kreuzfahrerheer und die Nichtkrieger, die ihm folgten, plünderten "dreist, geldgierig und maßlos". Leopold der Heilige schloss sich den Kreuzfahrern nicht an. Auch die Kandidatur zur Königswahl lehnte er ab. Für ihn war es interessanter, den Eigenbesitz zu vergrößern. "Rangmäßig war er zwar dem Herzog von Bayern unterstellt, tatsächlich war er aber bereits so mächtig, dass er sich nur mehr unmittelbar an den König/Kaiser gebunden fühlte." Leopold III. war mit der Kaisertochter Agnes von Waiblingen, "Österreichs berühmtester Markgräfin" (1072-1143), verheiratet. 1108 stifteten sie das Stift Klosterneuburg, dem die Gründungen in Heiligenkreuz und Kleinmariazell folgten. "Eine Klostergründung war eine gute Kapitalanlage für den Stifter. … Ihm und seinen Nachkommen … garantierte das neue Kloster den dauernden Gottesdienst und ihm selbst ein repräsentatives Grab." Leopold III. verlegte seinen Sitz von Gars am Kamp nach (Kloster-)Neuburg. "1136 konnte das vollendete Gotteshaus - damals das größte im ganzen Land - geweiht werden. … Am 15. November 1136 starb Markgraf Leopold III. Die meisten Quellen sprechen von einem Jagdunfall, doch wurde er offensichtlich während eines Jagdausfluges ermordet. … Die Nachwelt machte ihn zu einer der populärsten Herrschergestalten Österreichs. … Rund 350 Jahre nach seinem Tod wurde er heilig gesprochen, seit 1663 gilt er als Landespatron von Niederösterreich (und Wien) ."
Das nächste große Kapitel ist "Von der Markgrafschaft zum Herzogtum" übertitelt. Es umfasst die Regentschaft von Leopold I., "der Freigiebige" (um 1108-1141, ab 1136 Markgraf von Österreich, ab 1139 auch Herzog von Bayern), Heinrich II., "Jasomirgott" (1107-1177, 1143-1156 Herzog von Bayern, 1156-1177 Herzog von Österreich), Leopold V., "der Tugendhafte" (1157-1194, ab 1177 Herzog von Österreich, ab 1192 auch Herzog der Steiermark) und Friedrich I., "der Katholische" (1175-1198, reg. ab 1194).
Heinrich II. Jasomirgott verlegte 1145 seine Residenz von Klosterneuburg nach Wien und gründete ein Jahrzehnt später das Schottenkloster. 1147 nahm er am misslungenen Zweiten Kreuzzug teil und heiratete aus dynastischen Gründen 1148 die byzantinische Kaisernichte Theodora Komnena. Die Ehe brachte dem Babenberger einen hohen Prestigegewinn, der Braut vorerst einen Kulturschock. Im Privilegium minus verzichtete Heinrich Jasomirgott 1156 auf Bayern, dafür wurde Österreich ein Herzogtum. "Damit schlug die Geburtsstunde einer eigenständigen Entwicklung Österreichs als Land mit eigenem Recht und Gericht sowie mit annähernd festen Grenzen." Unter Heinrich Jasomirgott blühte Wien zur Kulturhauptstadt auf. Er führte einen "glänzenden Hofbetrieb", förderte Heldenepos, Ritterroman und Minnesang. Leopold V. war ein Sohn von Heinrich II. Jasomirgott und Theodora Komnena. 1186 wurde die Georgenberger Handfeste ausgehandelt, durch welche die Steiermark und zentrale Teile Oberösterreichs mit Österreich verbunden wurden. Leopold V. nahm am Dritten Kreuzzug (1189-1192) teil und ließ auf der Heimreise den englischen König Richard Löwenherz festnehmen. Er hielt Richard in der Burg Dürnstein gefangen und lieferte ihn Kaiser Heinrich VI. aus. Seinen Anteil am immensen Lösegeld verwendete Leopold für den Bau einer neuen Wiener Stadtmauer, zur Gründung der Münze in Wien und der Städte Wiener Neustadt und Friedberg. In seiner Regierungszeit entstand der Verduner Altar, eines der wichtigsten mittelalterlichen Emailkunstwerke.
Die "glorreiche Babenbergerzeit" neigte sich mit Leopold VI., "der Glorreiche" (1176-1230, ab 1194 Herzog der Steiermark, ab 1198 auch von Österreich), und Friedrich II., "der Streitbare" (1211-1246, ab 1230 Herzog von Österreich und der Steiermark), ihrem Ende zu. Die Nachwelt pries die Herrschaft Leopold VI. als "Goldenes Zeitalter." Er förderte die Baukunst und baute Stift Lilienfeld aus. Dessen spätromanisch-frühgotische Kirche zählt zu den größten Österreichs. Die Städte erhielten gemauerte Häuser und Stadtrechte. Mitte des 13. Jahrhunderts gab es in Niederösterreich 2500 Häuser, in Wien 1000. Nach dem Tod Leopold VI. "setzte der Niedergang ein, bis nach dem Ableben des letzten Babenbergers das völlige Chaos ausbrach," schreibt Bertrand Michael Buchmann. Es ist ihm wunderbar gelungen, nicht nur die Geschichte einer Dynastie, sondern auch kulturelle Leistungen und den Alltag lebendig darzustellen. Die LeserInnen sollten sich von der Lektüre anregen und ihre Fantasie spielen lassen, denn "Geschichte ist das, was in unserem Kopf passiert. Daher die Bitte des Autors: Lesen Sie das Buch und lassen Sie Ihren Gedanken freien Lauf. Dann wird vor Ihrem inneren Auge eine neue Welt erscheinen, die so ungemein bunt, vielgestaltig und auch spannend ist, wie Sie es nie für möglich gehalten hätten."
Dieses Abenteuer sollte man sich keineswegs entgehen lassen !