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Helmut Eberhart: Mythos Tankstelle#

Bild 'Eberhart'

Helmut Eberhart: Mythos Tankstelle. Notizen zu einer Institution in Vergangenheit und Gegenwart. Styria Verlag Wien - Graz. 80 S., ill., € 20,-

2014 gab es noch kaum Kritik am "klassischen Verbrenner". Dennoch weckte das Thema "Tankstelle" ethnologisches Interesse. Em. a.o. Univ. Prof. Helmut Eberhart erforschte es mit einer Gruppe von Studierenden. "Am Beginn der Forschungen standen die Überlegungen des französischen Ethnologen Marc Augé aus den frühen 1990 er Jahren, wonach es neben 'Orten' auch 'Nicht-Orte' gäbe, die von Menschen eher monofunktional genutzt werden". Tankstellen zählen dazu. Die Kulturanthropologen fragten sich: "Sind Tankstellen mittlerweile Kommunikationszentren wie das klassische 'Beisl' und nicht mehr als 'Nicht-Orte' zu klassifizieren?" Sie untersuchten 30 Tankstellen als "Ort der Begegnung". Die Ergebnisse führten zu einer Ausstellung im Grazer Volkskundemuseum und zur vorliegenden Publikation, die in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Steiermark entstanden. Das Erscheinen der Broschüre trifft sich mit einem Jubiläum: Vor 100 Jahren eröffnete am Grazer Jakominiplatz die erste Tankstelle Österreichs.

Zur Einstimmung zum "Mythos Tankstelle" referiert der Autor Beispiele aus künstlerischen Bereichen. 1930 brachte der Film "Die Drei von der Tankstelle" Heinz Rühmann den Durchbruch als Schauspieler und begründete das Genre der Tonfilmoperette. In Alfred Hitchcocks Horrorfilm spielt eine explodierende Tankstelle die zentrale Rolle. Kommissar Matthäi überführte 1958 in "Es geschah am helllichten Tag" als Tankwart getarnt einen Kindesmörder. Seit den 1960 er Jahren rückten Tankstellen in den Fokus der Fotografie. Maler fertigten Arbeiten zum Thema an, dem sich Literaten ebenso widmeten. So lässt der französische Roman "Erkenntnisse eines Tankwarts" den Protagonisten zur Erkenntnis kommen, "Außerdem muss man Nicht-Orte mögen. … Alles hier ist vorläufig und flüchtig."

1886 meldete Carl Benz (1844-1929) die "pferdelose Kutsche" mit Motorantrieb zum Patent an. Zwei Jahre später unternahm seine Frau Bertha Benz (1849-1944), die ihn bei der Entwicklung des Fahrzeugs unterstützt hatte, die erste Überlandfahrt von Mannheim nach Pforzheim und retour. Die mühsame Beschaffung des Treibstoffs verzögerte das Fortkommen. Fleckbenzin war nur in kleinen Mengen in Apotheken erhältlich. Ab 1914 produzierte Henry Ford in den USA sein "Modell T" vom Fließband. Lange blieb dieses das preiswerteste und meistverkaufte Auto der Welt. Das erforderte den Ausbau des Tankstellennetzes. Anfangs wurde der Treibstoff mittels Trichtern aus Kanistern in den Tank geschüttet. 1915 stellte die Firma Shell auf der Weltausstellung in San Francisco die erste moderne Tankstelle vor.

1924 eröffnete der Grazer Vizebürgermeister die erste "Benzinzapfstelle" Österreichs. Der Kino-Inhaber Karl Löffler und der Motorrad-Rennfahrer Heinrich Haas betrieben den Kiosk der Rosenthal & Co KG auf dem Jakominiplatz. Anfangs bewundert, gaben die bald erwogenen Ausbaupläne der Anlage Anlass zu Kritik. Letztlich war der Anrainerprotest erfolgreich. Die Konkurrenz blieb nicht untätig. 1928 nennt die Statistik 26 Grazer Tankstellen. Die erste öffentliche "Bezintankstelle" in Wien nahm 1925 bei der Volksoper am Währinger Gürtel den Betrieb auf. In den nächsten Jahren häuften sich die Zeitungsmeldungen über die "Tankstellen", "Benzinzapfstellen", "Benzinabgabestellen" oder "Sicherheitstankanlagen".. Dabei wurden auch Zahlen genannt. 1925 gab es in den USA eine Million Pumpen für 14 Millionen Kraftfahrzeuge. Betrug hier das Verhältnis 1:14, so lag es in England bei 20:1 und in Deutschland 58:1. Für Österreich gab es wegen der geringen Zahl moderner Tankstellen keine Statistik.

Das letzte Kapitel des schmalen, aber überaus aufschlussreichen, Publikation nennt sich "Die Tankstelle. Vom Treibstofflieferanten zum Dienstleister". Es enthält die Forschungsergebnisse, die den Funktionswandel verdeutlichen. "Tankstellen sind längst nicht mehr nur Treibstofflieferanten, somit für viele längst nicht mehr ein 'Durchzugsort', wo man tankt, vielleicht einkauft und allenfalls einen schnellen Kaffee trinkt. Die Gastronomie spielt seit vielen Jahren eine bedeutende Rolle, die immer größer zu werden scheint. Dies gilt auch für den Tankstellenshop. … Heute gehört es für Menschen im urbanen Umfeld, aber nicht nur dort, zum nomalen Alltag, sich an der Tankstelle mit Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs zu versorgen. Die Vorteile der längeren Öffnungszeiten wissen KundInnen zu schätzen, allerdings bedeutet dies in vielen Fällen auch eine Mehrarbeit für das Personal an der Tankstelle." Mit dem Funktionswandel von der Benzinabgabestelle zum Beislersatz haben sich die Anforderungen an die Betreiber und Angestellten geändert. Stammgäste erwarten von ihnen persönliche Beziehungen wie zum Wirten. Meist kommen männliche Gäste wie zur Stammtischrunde oder zum Kartenspielen. Besonders wenn es in der Nähe kein Gasthaus mehr gibt, finden Pensionisten einen Ort für soziale Kontakte. Den Gegentrend bilden Selbstbedienungstankstellen und die massive Kritik an fossilen Brennstoffen. "TankstellenbetreiberInnen sind zunehmend gefordert, flexibel zu reagieren … Schon heute finden wir an allen größeren Tankstellen Anschlüsse zum Laden der Batterie für den E-Motor. Ob der Elektroantrieb den klassischen Verbrenner je ersetzen wird, ist allerdings offen. … Flexibilität vorausgesetzt, müssen wir uns um die Tankstelle der Zukunft keine Sorgen machen."

hmw