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Birgit Johler (Hg.): Das andere Leben #

Bild 'Mautner'

Birgit Johler (Hg.): Das andere Leben. Fotografien von Konrad Mautner. Begleitpublikation zur Ausstellung im Volkskundemuseum am Paulustor. Universalmuseum Joanneum Graz. 148 S., ill., € 14,90

Vor 100 Jahren, am 15. Mai 1924, starb Konrad Mautner, der passionierte Volkskundler, Sammler und Forscher von Trachten und Liedern aus dem Salzkammergut. Zu diesem Anlass widmet das Volkskundemuseum am Paulustor in Graz dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit im volkskundlichen Feld eine Sonderschau und eine reich illustrierte Biographie als Begleitbuch. Die Ausstellung wird auch im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres in Bad Ischl gezeigt. Konrad Mautner war Vorstandmitglied des Österreichischen Museums für Volkskunde und publizierte in dessen Mitteilungsblättern. Er veröffentlichte die Sammlung "Steyerisches Raspelwerk, Lieder, Vierzeiler, Gasselreime aus Gößl am Grundlsee". Gemeinsam mit dem steirischen Professor und Museumsleiter Viktor Geramb (1884-1958), dem er fachlich und freundschaftlich verbunden war, verfasste er das "Steyrische Trachtenbuch." Der begabte Autodidakt hielt Vorträge vor Fachpublikum und erhielt wissenschaftliche Anerkennung. "Mit seinen Fotografien, Schriften und Sammlungen wirkte er an der Produktion volkskundlichen Wissens mit, dazu gehörte auch die Herstellung des Bildes vom Salzkammergut als Trachtenregion."

Damit entsprach er dem Rettungsgedanken der Volkskunde, die sammelte, um vor dem Verschwinden zu bewahren. Das Fach hatte sich "der Suche nach dem Ursprünglichen, dem 'Primitiven', vor dem Hintergrund zunehmender Industrialisierung verschrieben. Die Liste der Gönner*innen und Förder*innen des 1905 gegründeten Volkskundemuseums in Wien ist prominent. … Konrad Mautner, sein Bruder Stephan wie auch seine Eltern Jenny und Isidor Mautner zeigten sich fasziniert von der damals jungen Wissenschaft." Sie wurden Mitglieder im Wiener Volkskundeverein, den sie mit finanziellen und Sachspenden unterstützten.

1880 in Wien geboren, genoss Konrad Mautner als zweites von vier Kindern ein privilegiertes Familienleben. Sein Vater Isidor Mautner (1852-1930) kam im Weltausstellungsjahr 1873 nach Wien und vergrößerte das väterliche Firmenimperium. Der Großindustrielle und Bankengründer war Inhaber des bedeutendsten Textilkonzerns der Donaumonarchie. Dazu zählten Baumwollspinnereien und Webereien in Tschechien, Ungarn und Österreich, darunter in Pottendorf, Felixdorf und Marienthal. Mit seiner Frau Eugenie ("Jenny", geb. Neumann, 1856-1938) hatte er zwei Töchter und zwei Söhne. Jenny Mautner führte im Geymüllerschlössel in Pötzleinsdorf einen der bekanntesten Wiener Salons. Als ihr Sohn Konrad 1909 seine Cousine Anna Neumann(1879-1963), die Tochter eines Seidenhändlers, ehelichte, erhielt das Paar eine repräsentative Villa in der Nachbarschaft (Khevenhüllergasse 6) als Hochzeitsgeschenk. Anna Mautner unterstützte ihren Mann bei seinen ethnologischen Arbeiten und sicherte ab 1930 mit der Produktion von Trachtenstoffen den Lebensunterhalt ihrer Familie.

Das Wiener Großbürgertum war die eine Welt, in der Konrad Mautner lebte. Die andere war Gößl am Grundlsee. "Das eine ist ohne das andere nicht begreifbar," schreibt Ausstellungskuratorin Birgit Johler. Gößl war Mautners Sehnsuchtsort und Forschungsfeld. Er kannte das Dorf von klein auf und war mit vielen seiner Einwohner befreundet, was seinen Forschungen sehr zu Gute kam. Schon als Jugendlicher soll er den Gößler Dialekt gesprochen und die dortigen Lieder und Tänze gekannt haben. Stets zog es den passionierten Sammler und volkskundliche Akteur in das Ausseerland.

Seit Mitte der 1880er Jahre verbrachte Familie Mautner alljährlich die Sommerfrische in Gößl. Anfangs mietete sie sich dort im Gasthaus Veit ein. 1916 erwarben Isidor und Jenny Mautner die Schweiberalm.. 1919 kaufte Konrad im Ortsteil Archkogel der Gemeinde Grundlsee die "Villa Seeblick". Bald verkaufte er das ehemalige Hotel an die Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald als Sommerheim und behielt sich nur das Waltergütel auf dem Grundstück. In diesem Haus pflegte er eine "Trachtenkammer" mit Sammelstücken, die er auch für Veranstaltungen verborgte.

In seiner Wiener Villa richtete Konrad Mautner sein Wohnmuseum ein. In der "Gößlerstube" präsentierte er Trachten und bäuerliche Objekte. Die Direktoren der Volkskundemuseen waren gern gesehene Gäste. Den Dachboden baute er als Fotoatelier aus und posierte selbstbewusst als "Ausseer" in Tracht mit der unvermeidlichen Pfeife.

Die frühen volkskundlichen Vereine animierten ihre Mitglieder, mit der Kamera "Trachtenbilder" anzufertigen. "Mit diesen 'Typenbildern' , die massenhaft entstanden, trug die Volkskunde früh dazu bei, Vorstellungen vom Aussehen von Menschen zu generieren und zu verfestigen." Konrad Mautner erforschte in teilnehmender Beobachtung die Arbeit une Gemeinschaftsspiele der Gößler Holzknechte und inszenierte sie) für seine Bilder. Mautner war schon als junger Mann ein leidenschaftlicher Fotograf. Seit den 1890er Jahren entstanden tausende Aufnahmen. Für die Ausstellung im Volkskundemuseum am Paulustor stellte die Familie 21 Fotoalben zur Verfügung. Sie zeigen Menschen des Ausseerlandes, ihre Tracht, Architektur, Arbeit, Spiele und Tänze, aber auch Konrad Mautner selbst. "In den Alben tritt er als Sohn, Bruder, Ehemann und Vater auf, als Ethnograph und Dokumentarist, als Eventorganisator, Unterhalter, Performer und als ein Mensch, dem Beziehungen zu anderen wichtig waren," schreibt Birgit Johler. Sie unterscheidet die "Subjektperspektive", Fotos auf denen Mautner posierte, und die "Objektperspektive" der anderen Motive.

Die Ausstellung und der Katalog gliedern sich in fünf Kapitel. Kapitel 1, "Die Familie Mautner", zeigt diese im Salzkammergut. Es war die Zeit, als elitäre Wiener Kreise die Sommerfrische pflegten. Während die Kinder der Familie Mautner, wie damals modisch, Tracht (Lederhose, Hemd, Leibl und Rock) und Dirndl trugen, bevorzugten die Eltern städtisch-großbürgerliche Kleidung.. Schon die Hochzeitsreise führte Konrad und Anna Mautner nach Gößl. Ihren Erstgeborenen, Heinrich Matthias, nannten sie "Hias", den zweiten Sohn Laurenz, "Lenz". Ein Foto zeigt den Vater in Tracht, mit den beiden, die Kippa tragen. Nach dem Ersten Weltkrieg ließ er sie evangelisch taufen und konvertierte mit seiner Ehefrau zum Protestantismus.

Kapitel 2 nennt die Kuratorin "Der eine Ort und der andere". Die erste Aufnahme (1904) zeigt den "Wiener" Konrad Mautner als dandyhaft auftretenden jungen Mann im Habitus des Großindustriellen-Sohnes. Das Hochzeitsgeschenk, die renovierte Villa, ließ er mit wertvollen Antiquitäten und zeitgenössischen Möbeln ausstatten. Der bekannte Architekturfotograf Martin Gerlach jun. hielt das noble Ambiente fest. Oft diente die Stiege, die vom Hof in den ersten Stock führt, als Kulisse, so für eine Nikolofeier anno 1914. Fotos der "Bauernstube" dokumentieren ihre Nutzung als Repräsentations- und Aufenthaltsraum. In und um Gößl am Grundlsee entstanden zahlreiche Fotos, auf denen Konrad Mautner, mit seiner Familie und im dortigen Freundeskreis, abgelichtet ist. Dazwischen finden sich viele Aufnahmen der schönen Gegend des Ausseerlandes.

In Kapitel 3, "Ethnografie aus Leidenschaft", sieht man auch Bilder, die entstanden, als Mautner seinen Vater auf Reisen in dessen Fabriken in Tschechien begleitete. Darunter Frauen bei der Baumwollverarbeitung, aber auch in ländlicher lokaler Kleidung. Zahlreich sind die Portraitaufnahmen Mautners und seiner Familie in Festtagstracht. Als sie 1905 an einem der beliebten Trachtenfeste teilnahmen, trugen seine Schwestern große, schwarze Seidentücher als Kopfbedeckung und seine Frau eine Goldhaube,

In Kapitel 4, "Landleben genießen und gestalten" geht es um die Kultur der Sommerfrische: Baden im See, Wandern, Jagen, Geselligkeit, Tanz, Eisschießen, Hilfe bei der bäuerlichen Arbeit… Kapitel 5 übertitelt die Kuratorin "Beziehungen knüpfen". Dazu zählten nachbarschaftlich-freundschaftliche Kontakte, wie zur "alten Pfeifenraucherin Eggin", einer der wichtigsten Gewährspersonen. Da das Dorf um 1900 nur 186 Einwohner zählte, kannte man einander, und dem Wiener fiel es leicht, ihr Vertrauen zu gewinnen. Der Wirt und frühere Holzknecht "Veit Sepp" war einer seiner besten Freunde. Der "Veit Hias" als Trachtenträger mit stattlichem Bart und Hut diente ihm als beliebtes Fotomotiv. Der Volkssänger "Egg Lois" verhalf ihm zu den Liedern für sein "Steyerisches Rasplwerk." Für die Aufnahmen verwendete er einen um 1900 gekauften Phonographen, so auch für das Geigenspiel von Peregrinus Steinegger, vulgo Anerl Grimas. Martha Schlömmer wurde auch vom Portraitmaler Carl Theodor Blaas gezeichnet. Das Bild war die Vorlage für die Figurine der Grundlseerin im Trachtensaal des Volkskundemuseums in Graz. Ihre Zwillingsschwester Flora Schlömmer heiratete 1937 Matthias "Hias" Mautner.

Ihnen und Konrad Mautners Witwe gelang in der NS-Zeit die Flucht in die USA. Sie kehrten nach dem Krieg an den Grundlsee zurück, wo Anna Mautner ihre Stoffdruckerei fortsetzte. Mit den "biografischen Notizen" endet das aufschlussreiche Buch. Nicht alle Mitglieder der Familie Mautner hatten ein glückliches Schicksal. Konrads Bruder Stephan (1877-1944) und dessen Frau Else, geb. Eissler, wurden in Auschwitz ermordet. Andere Familienmitglieder konnten sich nach Belgien, Großbritannien und die USA retten. Konrad Mautners Enkel, Stephen M. Mautner, verdankt das Volkskundemuseum die Ausstellung der Fotos seines Großvaters. Er hatte dies seit langem angestrebt und verfasste auch einen Artikel über den facettenreichen Ahnen für den Katalog.

hmw