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Michael Lemster: Strauss#

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Michael Lemster: Strauss. Eine Wiener Familie revolutioniert die Musikwelt. Benevento Verlag Salzburg - Wien. 496 S., ill., € 28,-

2025 wird ein Strauss-Jahr. Vor 200 Jahren erblickte Johann Strauss Sohn (oder II. oder Jean) das Licht der Welt. Unter dem Motto "Wien in Strauss und Braus" rüstet sich die Stadt zu einem Monsterprogramm, 60 Projekte an 30 Standorten sind geplant. Auch eine Fülle von Büchern ist zu erwarten. Dabei hat der Salzburger Benevento Verlag die Nase vorne. Er engagierte Michael Lemster, der u. a. für "Die Zeit" und den Bayrischen Rundfunk tätig ist. Der deutsche Kulturhistoriker und Journalist hat Erfahrung mit Familiensagas. Die Kritik lobte sein Buch "Die Grimms" als "wunderbar erzählt, ein großer Bilderbogen über eine hochinteressante Familie". Gleiches lässt sich zum fast 500-seitigen Werk über die Strauss-Dynastie sagen.

Es vereint Fakten und spannende Schilderungen. Auch Spekulationen und Assoziationen finden Platz, aber diese werden mit Fragezeichen relativiert. Nicht selten liest man dann: "Wir wissen es nicht." Ein Wien-Plan mit eingezeichneten Wohnhäusern und Spielstätten sowie ein Stammbaum der Familie Strauss erleichtern die Übersicht. (Den ältesten Aufzeichnungen zufolge jetzt wieder mit Doppel-S geschrieben). Michael Lemster entwirft ein umfassendes Zeit-, Kultur- und Sittenbild des 19. Jahrhunderts. Dieses war in Wien "eine Zeit großer Veränderungen: Nach Krieg und Einschränkungen sehnte sich das Volk nach Zerstreuung – ungeachtet der staatlichen Repressionen durch das System Metternich. Eine Wiener Familie wusste das für sich zu nutzen: Was Johann Strauss Vater, Komponist des Radetzky-Marschs, begann, führte sein Sohn, der 'Walzerkönig', erfolgreich fort."

Der Autor lässt die Familiengeschichte mit "Vor-Geschichten" beginnen, die nicht der Brisanz entbehren: Einmal der Ertrinkungstod (möglicherweise Suizid) des Bierwirts Franz Borgias Strauss (1765-1816), des Vaters von Johann I. und seiner fünf Geschwister. Die zweite Enthüllung betrifft die Herkunft der Familie. Der erste fassbare Ahne war Wolf(gang) Strauss (* um 1720), der Urgroßvater von Johann Strauss I. Dessen Großvater Johann Michael Strauss (1714-1800) wurde 1762 bei seiner Hochzeit mit der Niederösterreicherin Rosalia Buschin (1729-1785) im Trauungsbuch des Stephansdoms als "ein getauffter Jud" eingetragen. Das störte Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels. "Er ließ 1941 das historische Trauungsbuch durch einen Wiener Gestapo-Beamten beschlagnahmen, nach Berlin schaffen und durch eine mit dem Dienstsiegel des Reichssippenamtes beglaubigte fotografische Kopie ersetzen - aus der freilich der verräterische Eintrag auf Seite 211 gelöscht war." Franz Borgias Strauss war ihr drittes Kind. Er arbeitete in jungen Jahren als Kellner. 1803 legte er den Bürgereid ab und pachtete in der Leopoldstadt die Bierschenke "Zum heiligen Florian" (Floßgasse). In dem Haus, das damals der Gasse den Namen gab, wurde Johann Strauss I. (1804-1849) geboren.

Die Kindheit des ersten Walzerkönigs fiel in die Zeit der Napoleonischen Kriege und des Wiener Kongresses - die viel zitierte Biedermeierzeit. Deren Schattenseiten - wie Zensur und Spitzelwesen - lassen sich bei der Lektüre des Buches gut nachvollziehen. Die Bürger reagierten mit Rückzug in die Häuslichkeit und das Vergnügungsleben. In den Vorstädten entstanden große Tanzlokalitäten. Ihre Hochsaison waren die Faschingsbälle. Hier gedieh an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert der Wiener Walzer. Anfangs als unmoralisch empfunden, wurde er mit dem Wiener Kongress (1814/15) salonfähig. Um 1820 entstand jener Typus zwischen Tanz- und Konzertmusik, den Johann Strauss I. und seine Söhne Johann II. (1825-1899), Josef (1827-1870) und Eduard (1835-1916) zur Vollendung brachten.

Nach seiner Buchbinder-Lehre entschied sich Johann Strauss I. für die musikalische Karriere. Er hatte Violine spielen geübt, Musiktheorie studiert und war in verschiedenen Orchestern, vor allem gemeinsam mit Josef Lanner, aufgetreten. 1827 etablierte er sein eigenes Unternehmen. Johann Strauss I. gründete das erste Reiseorchester der Welt. Mehrmonatige Konzertreisen führten u. a. nach Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

1825 hatte Johann Strauss I. in der Lichtentaler Pfarrkirche Anna Streim (1801-1870), die Tochter des Bierwirts "Zum roten Hahn" auf dem Thurygrund, geheiratet. Johann II. kündigte sich da bereits an. Jean komponierte als Sechsjähriger im Salmannsdorfer Sommerdomizil des Großvaters seinen ersten Walzer für Klavier. Die Mutter "Anna soll das kurze Stück aufgeschrieben und ihm eine Bassbegleitung hinzugefügt haben." Sie förderte ihren Ältesten, "gegen den ausdrücklichen väterlichen Willen." Michael Lemster zeichnet ein Bild der sechsfachen Mutter Anna Strauss, geb. Streim, das sie als resolute "Tigermutter", "Haus- und Arbeitstier" erscheinen lässt. Ihre ältesten Söhne Johann II. und Josef besuchten das Schottengymnasium mit gutem Erfolg. Sie sollten Technik studieren. Josef wollte Ingenieur oder Architekt werden und erfand sogar eine Straßenreinigungsmaschine. Er war auch künstlerisch begabt und ein vorerst unentdecktes musikalisches Talent. Hingegen gelang Jean mit seinen frühen Kompositionen für Klavier ein "glanzvoller Karrierestart". Johann Strauss Vater und Sohn blieben stets Konkurrenten. Der Vater bediente in der Stadt den Adel und das konservative Publikum. Der Sohn spielte in den Vorstädten für die Mittelschicht. "1867 führte er im Dianasaal die spätere "inoffizielle Hymne Österreichs", den Donauwalzer, auf. "Jean nahm anschließend den Walzer mit nach Paris, wo er bei der Weltausstellung gastierte. In kurzer Zeit dürfte er etwa eine Million Exemplare … verkauft haben." 1849 erlag Johann Strauss I. dem Scharlach. 1852 war der 27-jährige Johann II. "am Ende seiner Kräfte". Um das erfolgsgewohnte Unternehmen der Sträusse weiterzuführen, musste Josef einspringen. Er tat es aus Pflichtbewusstsein - und mit Erfolg. Als auch er gesundheitliche Probleme bekam, war die Reihe an Eduard, der sich "als geborenes Bühnen- und Showtalent" erwies.

Gegen das Jahrhundertende war die große Zeit der Biedermeierbälle vorbei. Der Deutsch-Pariser Jacques Offenbach feierte mit einem neuen, "schillernden" Genre auch in Wien Erfolge - eine Anregung für Johann Strauss II., sich an der Operette zu versuchen. Seine erste, "Indigo", wurde 1871 im Theater an der Wien uraufgeführt. Wie die weiteren litt sie unter der Schwäche des Librettos, während die Kritik die Musik lobte und das Publikum jubelte. Drei Jahre später folgte die "Fledermaus". Die Einnahmen erlaubten es dem Komponisten, in der - später nach ihm benannten - Igelgasse auf der Wieden ein Palais zu errichten und in Schönau an der Triesting ein Sommerhaus mit Park und Landwirtschaft zu erwerben. Die Villa in Bad Ischl, die er zwei Jahre vor dem Tod gemeinsam mit seinem Schwager kaufte, avancierte zum gesellschaftlichen Mittelpunkt Ischls.

Im vorletzten Kapitel des Buches über die Wiener Familie, welche die Musikwelt revolutionierte, betont Michael Lemster, dass man bei Betrachtung der 16 Operetten Strauss' über seine Ehefrauen schreiben müsse. Die erste war die Opernsängerin Henriette Chalupetzky (1818-1878). Als Künstlerin nannte sie sich Jetty Treffz. Sie war die Lebensgefährtin des Fabrikanten und Bankiers Moritz Todesco, den sie 1862 verließ, um den sieben Jahre jüngeren Johann Strauß zu heiraten. Mit ihrer Bühnenerfahrung managte sie seine Karriere als Operettenkomponist und sie traten gemeinsam auf, zuletzt 1867 in London. Sieben Wochen nach ihrem Tod heiratete der Witwer die Schaupielerin Angelika Dittrich (1850-1919). Sie stammte aus dem preußischen Breslau und war 25 Jahre jünger als ihr Bräutigam. 1882 ließ sie sich scheiden und begann ein neues Leben mit dem Theaterdirektor Franz Steiner, "Jeans Arbeitgeber". Seine dritte Gattin war eine "alte Bekannte", die schöne, junge Witwe Adele Strauß, geb. Deutsch (1856-1930). Ihr zuliebe gab der 31 Jahre ältere prominente Komponist seine österreichische Staatsbürgerschaft und die katholische Konfession auf. Erst 1887 konnten sie die Ehe in Coburg (Sachsen) schließen. Sie dauerte acht - harmonische - Jahre. Adele Strauss erwies sich als durchsetzungsstarke Nachlassverwalterin. Johann Strauss II. starb 1899. "Bei seiner Beisetzung in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof war halb Wien auf den Beinen, wie schon bei seinem Vater, dem ersten Walzerkönig."

hmw