Christoph Mandl: Geschriebenstein#
Christoph Mandl: Geschriebenstein. Der Gipfel des Burgenlandes. Edition Winkler-Hermaden. 132 S. ill., € 26,90
"Der Geschriebenstein ist nicht nur ein Berg, er ist vor allem eine Landschaft vieler kleiner Sensationen. Man findet dort das einzige Edelserpentinvorkommen Europas in Bernstein, die einzige Skisprungschanze Pannoniens in Köszeg (früher Güns), den weltweit einzigartigen barrierefreien Baumwipfelweg in Markt Neuhodis … Der Geschriebenstein wurde besonders für Minderheiten Heimat und Prüfstein des Leidens: Sinti und Roma sowie die jüdische Bevölkerung und ungarische Zwangsarbeiter mussten hier in ihrer Geschichte Vertreibung und Ermordung erfahren. Ihnen soll das Buch - trotz der Lieblichkeit von Landschaft und Kultur - seine Reverenz erweisen. … Es gibt Hunderte Gründe, über den Geschriebenstein zu schreiben und zu lesen. Der Geschriebenstein will beschrieben sein."
So beginnt Christoph Mandl sein Buch über den "Gipfel des Burgenlandes". Der Autor ist in Pinkafeld aufgewachsen, hat evangelische Theologie und Publizistik studiert und ist seit seiner Jugend journalistisch tätig. Christoph Mandl geht auf die Geschichte der nicht katholischen Burgenländer ein, beschreibt protestantische Kirchen und Synagogen. So lernt man viel über das Südburgenland, was man sonst kaum erfahren hätte. Auch die Naturschönheiten nehmen in seinem Buch breiten Raum ein. Es ist, wie alle Bände der Edition Winkler-Hermaden, reich illustriert. Doch steht, anders als sonst, der Text im Mittelpunkt. Zu dem vielen Wissenswerten hat der Autor bei jedem der zehn Kapitel etwas "dazugeschrieben". Das können Hintergrundinformationen ebenso sein wie persönliche Erfahrungen. So erzählt er u. a. über "Aberwitz, Aberglauben, sagenhafte Märchen", oder das "patscherte Leben" eines Schulkollegen.
Der 884 m hohe Geschriebenstein liegt direkt an der Grenze von Österreich und Ungarn. Orientierungspunkte sind die Orte Bernstein, Stadtschlaining, Rechnitz, Köszeg und Lockenhaus. Für Wanderer wird die höchste Erhebung im Günser Gebirge durch das Wegenetz "Alpanonnia" erschlossen, das vom steirischen Semmeringgebiet bis nach Köszeg führt.
In Bernstein gibt es nicht das gleichnamige goldgelbe fossile Harz, sondern Edelserpentin, ein grünes basisches Magnesiumsilikat. Praktischerweise betreibt der Ehemann der Bürgermeisterin eine Steinschleiferei, für die sie Schmuckstücke designt. Das Geschäft am Hauptplatz ist zugleich "eine Filiale der Gemeindestube", wo Renate Habeler bürgernah agiert. Schloss Bernstein befindet sich im Besitz der Grafen Almásy. Hier wurde der Saharaforscher, Pilot, Automobilpionier und Abwehroffizier im Zweiten Weltkrieg, Ladislaus Almásy (1895-1951) geboren. Er ist durch den verfilmten Roman "Der englische Patient" bekannt, der mit der Wahrheit nur entfernt zu tun hat. Die Familie führt im Schloss einen kleinen Hotelbetrieb.
Das nächste Kapitel gibt Einblick in die Wirtschaftsgeschichte. In Unterkohlstätten wurde ein Kalkofen aufgebaut, der die schwere Arbeit der Kalkgewinnung nachvollziehen lässt. Weitere Beschäftigungsmöglichkeiten waren Glaserzeugung und Köhlerei. Holzkohle bildete die Grundlage der Erz- und Glasindustrie. Nur wenige Kilometer voneinander entfernt gibt es zwei Orte namens "Glashütten". Auch Waldarbeit und die Herstellung von Holzrechen boten den Einwohnern bescheidene Verdienstmöglichkeiten.
Das Tauchental war ein altes Bergbaugebiet. Silber, Kupfer, Gold, Antimon und Quarz werden schon lange nicht mehr gewonnen. Der Kohlenbergbau Tauchen bestand von 1919 bis 1967. Noch 1960 beschäftigte die Firma 500 Mitarbeiter. Sie förderten im Drei-Schicht-Betrieb täglich bis zu 600 Tonnen Braunkohle. Einer Seilbahn brachte diese zum Bahnhof Oberschützen, von dort kam sie nach Wien bzw. in das Fernheizwerk Pinkafeld.
In der Folge geht es um "Sankt Martins Wiege". Der burgenländische Landespatron wurde in der Region Steinamanger geboren. Ein Privatforscher hält Neumarkt im Tauchental (Ortsteil von Stadtschlaining) für seinen Geburtsort. Er meint, dass Martins Mutter eine keltische Druidin und der Vater ein römischer Centurio gewesen wären. Die Hypothese beruht auf dem römischen Grabstein einer Familie, wie es viele in Europa gibt, und genauen Studien eines lateinischen Textes.
"Rechnitz - im Herzen des Geschriebensteins" wird mit einem der schrecklichsten zeitgeschichtlichen Ereignisse in Verbindung gebracht: "Das jüdische Drama. Der Kreuzstadl" schildert die Schicksale jener Menschen, den das Buch gewidmet ist. Aber "es gibt noch andere berühmte Rechnitzer" ergänzt der Autor und nennt Christian Kolonovits, "Vollblutmusiker und weltberühmt. … Christian Kolonovits ist ein 'typischer Burgenländer': Vater Kroate, Mutter Ungarin." Genau 120 Jahre älter war ein anderer hier geborener Komponist, Gustav Pick, der Schöpfer des Fiakerliedes. Als Künstler ist der Vorarlberger Claudius Schöner ein bekannter "Zuagraster". Er gibt Kurse in einer als Kulturhaus revitalisierten Mühle. Diese war im Besitz der Vorfahren des engagierten Altbürgermeisters, Engelbert Kenyeri, der als Naturpark-Obmann fungiert.
"Achtung Staatsgrenze" heißt es bei Köszeg, wohin der Wanderweg Alpanonnia durch den Wald führt. Die Stadt mit 12.000 Einwohnern hat "eine fast unüberschaubare Zahl an Kirchen und eine prächtige Synagoge, Universität, naturwissenschaftliche Institute … Im vorvergangenen Jahrhundert war Güns von Bedeutung. Heute stehen die vielen Paläste, Institute, denkmalwürdigen Häuser leer." Dennoch bietet die Kleinstadt und ihre Umgebung viel Sehenswertes, z. B. Hauszeichen, eine museale Apotheke, Skisprungschanzen, Bauernhäuser, Torfmoorwiesen, eine Aussichtswarte an Stelle der Burg aus dem 13. Jahrhundert.
Wieder "drüben", in Rattersdorf, wartet die Wallfahrtskirche mit einem ungewöhnlichen ikonographischen Programm auf. 34 barocke Bildtafeln rund um den Altar zeigen eine Maria lactans und "seltsame Heilige". Die gotische Kirche entstand im 13. Jahrhundert neben einer heiligen Quelle. Im nahen Liebing gilt ein imposanter Edelkastanienbau als Naturdenkmal. Er soll, wie einige weitere Exemplare, ein Geschenk Maria Theresias gewesen sein. Damals waren Maroni, aus denen Mehl gewonnen wurde, ein wichtiges Nahrungsmittel.
Die letzte Station der Reise am Geschriebenstein führt nach Lockenhaus. "Bekannt wurde der Ort wohl über die Grenzen des Landes und auch Österreichs hinaus, durch einen … Ortsgeistlichen, der ein Faible für klassische Musik hatte." Seit 1981 finden alljährlich im Juli klassische Konzerte mit hochkarätigen Musikern statt. Aufführungsorte sind die frühbarocke Pfarr- und Wallfahrtskirche "Zum hl. Nikolaus" und die Burg Lockenhaus. Diese ist mystisch- sagenumwoben, wird mit den Tempelrittern und der "Blutgräfin" Erzsébet Báthory (1560-1614) in Zusammenhang gebracht. Sie soll Hunderte junge Frauen gefoltert und ermordet haben. In den 1960 er Jahren erwarb der steirische Dichter Paul Anton Keller (1907-1976) die Burg. Seine Stiftung vermarktet sie heute als Hotel und Eventlocation.
Im Schlusswort schreibt Christoph Mandl: "Eine burgenländische Eigenschaft: zurückhaltend sein, aber da sein. Keine großen Worte bewegen, aber Wort halten. … Die burgenländische Geschichte: durchgebeutelt und geschüttelt, zerstückelt und verbrannt und wiederaufgebaut und neu gemixt. Der Geschriebenstein trägt diese Eigenschaften und diese Geschichte. … Der Geschriebenstein als Gegend im Abseits. Abseits ist oft gut, weil unentdeckt, unverformt, unverdorben. Eine Gegend, die nicht missbraucht wird. Die als Gegend sein und bleiben kann."