Herta Neiß - Michael John (Hg.): Sehnsucht Salzkammergut#
Herta Neiß - Michael John (Hg.): Sehnsucht Salzkammergut. Böhlau Verlag Wien. 219 S., ill., € 35,-
Kulurhauptstadt zu werden, ist Bürde und Würde. Für Bad Ischl, das erstmals mit der umgebenden ländliche Region zu einer „Kulturhauptstadt Europas“ erkoren wurde, bringt es 2024 den Vorteil eines neuen Stadtmuseums. 35 Jahre sind seit seiner Eröffnung vergangen und das Ablaufdatum war erreicht. Die Daueraufstellung steht nun unter dem Motto "Das Hotel Austria. Willkommen im Salzkammergut. Museum der Stadt Bad Ischl". Das informative Buch, das die Wirtschafts- und Kulturwissenschafterin Dr. Herta Neiß und der Historiker em. Univ. Prof. Michael John herausgegeben haben, ist die Begleitpublikation dazu. Das einzige, was fehlt, ist ein Katalogteil. Vielleicht könnte dieser als 2. Band folgen ?
Das Museum der Stadt Bad Ischl befindet sich in jenem Gebäude, in dem Erzherzog Franz Karl und Erzherzogin Sophie wohnten und wo sich ihr Sohn Franz Joseph mit Elisabeth, Herzogin in Bayern, 1853 verlobte. 1880 wurde das Haus für ein Jahrhundert zum "Hotel Austria", 1989 zum Stadtmuseum. "Das neue Museum soll überraschen, unterhalten und letztlich auch das Wissen bereichern," schreiben die Herausgeber, denen die wissenschaftliche Leitung oblag.
Die Präsentation umfasst 7000 Jahre, als die Salzgewinnung begann. Ihr widmet der Sozialhistoriker Roman Sandgruber einen umfassenden Artikel im Begleitbuch. Unter den Salzburger Erzbischöfen war die Halleiner Saline im 13. Jahrhundert die größte Mitteleuropas. Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit brachte das "weiße Gold" einen großen Teil der landesfürstlichen Einnahmen. Es "machte Fürsten und Bürger reich: goldene Gewinne, gesalzene Preise." Mit dem Ende der Habsburgermonarchie ging die Produktion dramatisch zurück. Letztlich beendete der EU-Beitritt das österreichische Salzmonopol. "Das Salz ist ein Rohstoff wie jeder andere geworden. Sein Beitrag zur Wertschöpfung ist inzwischen sehr gering. Und doch ist es im Salzkammergut immer noch allgegenwärtig."
Die Bezeichnung taucht 1656 auf. Das Kammergut als Privatbesitz der Habsburger umfasste die Gegend um Ischl und Hallstatt. Später kam das "äußere Salzkammergut " um Gmunden dazu, im 19. Jahrhundert das steirische Ausseerland. Heute meint man die Region, die sich vom Fuschlsee, Wolfgangsee und Mondsee bis ins Almtal, zum Dachstein und zum Ennstal erstreckt. Für die Europäische Kulturhauptstadt 2024 haben sich 23 Gemeinden aus zwei Bundesländern vereinigt. Unter dem Motto „Kultur ist das neue Salz" wollen sie ein Salzkammergut erfinden, in dem Kunst, Kultur, Wirtschaft und Tourismus zusammenwirken.
Das neue Museum der "Bannerstadt Bad Ischl" ist ein wesentlicher Bestandteil. Die Zeitreise beginnt in der ehemaligen Rezeption des Hotels Austria. Im Buch referiert der Historiker Michael Kurz die Stadtgeschichte. Im 13. Jahrhundert hieß das Innere Salzkammergut "Ischlland". Mit der Übernahme durch die Habsburger um 1300 begann der Aufschwung der Region. 1466 eröffnete die Markterhebung neue Rechte. Ischler Bürger konnten nun Salzfertiger (Händler) werden. Im konfessionellen Zeitalter wurden viele Ischler evangelisch, nach 1600 begann die Rekatholisierung. Treibende Kräfte waren ein Salzamtmann und das von den Jesuiten übernommene Kloster Traunkirchen. Hunderte Lutheraner wurden verschleppt oder mussten flüchten. Ein Stadtbrand, die napoleonischen Kriege und eine Neuorganisation der Saline trafen viele Ischler in ihrer Existenz. Eine glückliche Wendung brachte die Entdeckung der Solebäder. 1822 bis 1918 wurde der Ort zum "Modebad der Monarchie". Hilfreich dabei erwies sich ab 1877 die Eisenbahnverbindung nach Wien. Dass Ischl (seit 1906 "Bad") "Kaiserstadt auf Zeit" wurde, trug wesentlich zur Entwicklung der Infrastruktur und des Hotelwesens bei.
An "illustre Gäste im Salzkammergut" erinnert die Ausstellung in der ehemaligen Hotelbar. Im Buch ist ihnen der Beitrag der Kunstmanagerin Marie-Theres Arnbom gewidmet. In Bad Aussee betrieben der Mediziner Josef Schreiber und die Schriftstellerin Clara Schreiber ein Sanatorium, das sich als Zentrum der Kur- und Sommerfrischegesellschaft etablierte. In Unterach am Attersee gründete der Komponist Eduard Brüll, ausgehend vom "Berghof", einer ehemaligen Villa Todesco, eine Künstlerkolonie. Zu Stammgästen zählten Carl Goldmark, Johannes Brahms und Hugo von Hofmannsthal. Berühmt war die "Operettenbörse Bad Ischl". Die Kurstadt ist untrennbar mit Namen wie Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Oskar Straus, Alfred Grünwald, Julius Brammer, Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda verbunden. In St. Gilgen bauten der Generaldirektor der Prager Eisenindusriegesellschaft, Wilhelm Kestranek, und der Nobelpreisträger Karl von Frisch, der hier die Sprache der Bienen erforschte, "familiäre Netzwerke" auf. Die Villa Toscana in Gmunden war im Besitz des Erzherzogs Johann Salvator, aus dessen Nachlass sie einer der erfolgreichsten Unternehmer der Donaumonarchie, Karl Wittgenstein, erwarb. Der Stahlmagnat war u. a. der Vater des Philosophen Ludwig Wittgenstein, des Pianisten Paul Wittgenstein und der - von Gustav Klimt portraitierten - Werkbund Wien-Präsidentin Margret Stonborough-Wittgenstein.
Im Museum folgen nun die Themen Sommerfrische und Kaiserzeit. Im Buch beschäftigen sich Herta Neiß mit "Reisenden und Bereisten" und die Kunstwissenschaftlerin Rafaela Hemetsberger mit der Sommerfrischenarchitektur. Die Historikerin Marija Wakounig referiert das wohl prominenteste Kapitel der Stadtgeschichte, die "Monarchie im Salzkammergut". Sie vergleicht die Region mit der österreichischen Riviera an der Adria als sommerlicher Sehnsuchtsort der besseren Gesellschaft.
"Das Salzkammergut war eine in ganz Mitteleuropa beliebte Destination. Doch die vermeintliche Idylle erhielt bald Risse durch Antisemitismus, Armut und das Erstarken von Diktaturen," schreiben die Herausgeber, und: "Die Jahre 1938 bis 1945 waren besonders düster, Konzentrationslager und Arbeitslager wurden auch in dieser Region eingerichtet, Oppositionelle und Andersdenkende verfolgt, die jüdische Bevölkerung vertrieben, enteignet, deportiert, ermordet. Widersetzlickeit und aktiver Widerstand waren ebenfalls im Salzkammergut zu finden, die 'Partisanen der Berge' waren kein Mythos." Dem düsteren Kapitel der Zeitgeschichte sind im Buch mehrere Beiträge gewidmet. Dies erscheint umso gerechtfertigter, als im früheren Stadtmuseum, wie damals üblich, die Präsentation mit 1916 endete.
Die Begleitpublikation vereint mehr als 20 Beiträge, auch über Sport, Verkehr, Kunst und Alltagskultur. Der Historiker Roland Ernst Laimer widmet sich regionalen Bräuchen und Traditionen. Erfreulich, dass der Beitrag auf der Höhe der Wissenschaft ist. Er verweist auf Eric Hobsbawns "Invention of Tradition", wonach die meisten als "uralt" bezeichneten Traditionen Erfindungen des 19. oder 20. Jahrhunderts sind. Dies trifft auch auf populäre Salzkammergut-Traditionen zu, die teilweise als Immaterielles Kulturerbe der UNESCO gelistet sind. Der Ebenseer Glöcklerlauf lässt sich nur bis 1852 zurückverfolgen. Events wie das Narzissenfest oder der Kaisergeburtstag sind überhaupt dem Tourismus geschuldet.
Bei der Verklärung der "guten alten Zeit" ergänzten und beeinflussten sich bürgerliche Kultur und kulturelle Traditionen der Region, stellt auch der Historiker Thomas Hellmuth im abschließenden Kapitel "Dynamische Heimat. Identität(en) im Salzkammergut" fest: "Kultur ist letztlich Ausdruck von Wandlungsprozessen - entweder im Sinne einer statischen Folklore oder eines dynamischen Verständnisses von Tradition". Der Autor vergleicht die Denk- und Handlungsmöglichkeiten mit Schubladen. Je mehr davon zur Verfügung stehen, umso differenzierter wird der Blick auf die sich ständig verändernde Welt. "Auf diese Weise kann sich der statische Heimatbegriff in eine 'dynamische Heimat' verwandeln." Thomas Hellmut ermutigt dazu, sich dem Wandel zu stellen und mit ihm konstruktiv umzugehen - wie das neue Stadtmuseum und sein Begleitbuch beispielhaft zeigen.