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Eva Schlotheuber, Jeffrey F. Hamburger, Christina Jackel (Hg.): Wir Schwestern#

Bild 'Schlotheuber'

Eva SCHLOTHEUBER, Jeffrey F. HAMBURGER, Christina JACKEL: Wir Schwestern Die vergessenen Chorfrauen von Klosterneuburg. Begleitbuch zur Ausstellung. Böhlau Verlag Wien. 340 S., ill., € 35,-

Mehr als 400 Jahre lang gab es in Klosterneuburg nicht nur ein Chorherren- sondern auch ein Chorfrauen-Kloster. Schon bei der Gründung des Stiftes durch den Babenberger-Herzog Leopold III. und seine Gemahlin, die Kaisertochter Agnes von Waiblingen, um 1133 war die geistliche Gemeinschaft als "Doppelkloster", wie es im 12. Jahrhundert sehr beliebt war, konzipiert. Das Nonnenkloster endete nach dem Tod der letzten Vorsteherin, 1568 - viel später als vergleichbare Institutionen. 1722 wurde die Chorfrauenkirche entweiht und zwei Jahrzehnte später zu einem Presshaus mit Getreidespeicher umgebaut. "Nach der Auflösung der Frauengemeinschaft fielen die Zeugen ihrer Existenz, ihre Handschriften und Bücher, ihre Urkunden und das Verwaltungsschriftgut, ihre Kunst sowie der gesamte Grundbesitz an das Männerstift. Ihr Erbe versank in der Männergemeinschaft und damit gerieten auch die Frauen immer mehr in Vergessenheit."

Umso bemerkenswerter ist das Vorhaben, "die vergessenen Chorfrauen von Klosterneuburg" mit der Jahresausstellung und einem repräsentativen Katalog wieder ins Gedächtnis zu rufen. Das Kuratoren- und Herausgeberteam bilden Jeffrey F. Hamburger (Harvard, USA), der sich als erster 2005 in der Ausstellung "Krone und Schleier" mit der religiösen, sozialen und kulturellen Lebensform der Frauenklöster beschäftigte, die deutsche Mediävistin Eva Schlotheuber, die ihre Habilitation der Welt der Nonnen im Spätmittelalter widmete, und der Germanistin Christina Jackel von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Es ist ihnen gelungen, eine Reihe von Spuren zu finden, die an die Chorfrauen erinnern. Die Ausstellung mit rund 80 Exponaten "konzentriert sich nicht auf das, was verloren gegangen ist, sondern auf das, was sich aus den verbliebenen Fragmenten über ihre besondere Lebenswelt zusammensetzen lässt."

Die ausführlichen Katalogtexte stammen von rund 30 ExpertInnen. Sie gliedern den Band in sechs große Kapitel. Einer ersten Orientierung folgen vier Beiträge über Doppelklöster. Diese entstanden in einem Zeitalter der Reformen um 1100 und verfolgten nicht nur geistliche, sondern auch politische Ziele - wie in Klosterneuburg. Landesausbau und Siedlungsentwicklung gingen mit religiösen Interessen Hand in Hand. Um 1500 lassen sich im Herzogtum Österreich 93 Klöster nachweisen, davon 58 Männerkonvente. 20 Frauengemeinschaften und 15 Doppelklöster. Bei diesen herrschte eine strenge Hierarchie. Die Schwestern unterstanden materiell wie spirituell dem Probst, der auch die gewählte Meisterin und Neueintritte von Novizinnen bestätigen musste. Der Meisterin, der die Rolle der Mutter ihrer Mitschwestern zukam, unterstand die Dekanin als Stellvertreterin. Weitere Ämter waren Novizenmeisterin, Küsterin, Sängerin, Schaffnerin, Kellnerin, Gewandmeisterin, Siechmeisterin, Küchenmeisterin und Gärtnerin. Die Seelsorge der Schwestern oblag dem Custos dominarium ("Frauenpfleger").

Über Eintritt und Bildung schreibt Eva Schlotheuber: "Im Noviziat stand nicht die intellektuelle Ausbildung im Zentrum, sondern die Einführung in die religiöse Lebensweise",. Oft kannten Novizinnen das Klosterleben schon seit der Schule, in die sie mit 5 bis 7 Jahren eintraten. Auch "weltliche" Mädchen konnten sie - als einzige Bildungseinrichtung - gegen Bezahlung besuchen. Adelige, reiche Bürger, Ritter- und Ratsherrenfamilien nützten diese Möglichkeit. Im 12. Jahrhundert war für den Klostereintritt die Schenkung von Grundstücken oder Silbergeld Voraussetzung. Kleine Töchter wurden als "lebendes Opfer" gemeinsam mit Gütern der Klostergemeinschaft übergeben. Was heute befremdlich wirkt, war damals auch für Frauen und Witwen als Alternative zur Hochzeit begehrt, sodass der Papst im 14. Jahrhundert eine Obergrenze von 32 Schwestern verfügte. Die Stellung der religiösen Frauen als "Bräute des höchsten Königs" sicherte ihnen eine anerkannte Position in der mittelalterlichen Gesellschaft. Chorfrauen waren, anders als Chorherren, zur "päpstlichen Klausur" verpflichtet. Sie durften zeitweise ihr Kloster nicht einmal für Prozessionen verlassen und fristeten ihr Leben hinter hohen Mauern und Gittern. Privatbesitz war untersagt, nur Bücher bildeten eine Ausnahme.

Ein weiteres Kapitel widmet sich Liturgie und Tagesablauf. Christina Jackel hat den Stundenplan der Klosterneuburger Chorfrauen nach den Statuten um 1500 zusammengefasst: Matutin (Stundengebet/Hore um Mitternacht) - einige Stunden Schlaf bis zur Laudes vor Sonnenaufgang - Prim (kleine Hore bei Sonnenaufgang) - Kapitel (Versammlung) - Sprechzeit - Terz (kleine Hore am Vormittag) - Messe (an Sonn- und Feiertagen) - Sext (kleine Hore zu Mittag) - Mittagessen - Messe (außer an Feier- oder Fasttagen) - Non (kleine Hore am Nachmittag) - Ruhezeit - Messe (an Fasttagen) - Vesper (große Hore bei Sonnenuntergang) - Abendessen - Lesung - Komplet (kleine Hore vor dem Schlafengehen).

Der Abschnitt Cura corporum widmet sich Gesundheit und Heilkunde bei den Chorfrauen. Bilder der Exponate zeigen Anleitungen zum Aderlass und Arzneibücher. Eine Handschrift aus dem Jahr 1393 beweist, wie eng Magie, Medizin und Glaube verbunden waren. Im vorletzten Kapitel wird auch "Ökonomie, Herrschaft und Besitz" abgehandelt, ehe sich schließlich der Heiligenhimmel öffnet. Während bisher zumeist - perfekt reproduzierte - Handschriften und Dokumente im Mittelpunkt standen, begegnet man nun Schätzen aus dem Stiftsmuseum. Der Ursula-Altar, ein Flügelaltar aus dem Umfeld des Schottenmeisters, schildert detailreich die Legende der als glaubensstarke Lehrerin verehrten Märtyrerin. Sie soll mit 11.000 Gefährtinnen den Tod erlitten haben. Unzählige Reliquien dieser Heiligen, so genannte Ursula Köpferln, wurden als Klosterarbeiten vertrieben. Ein mit Metall, Papier und Federn verzierter Schädel stammt aus dem Jahr 1672. Älter ist ein Hausaltärchen aus Holz mit Goldstoff und Samt überzogen, mit Perlen, Gold und Edelsteinen bestickt. Es stammt vom Anfang des 16. Jahrhunderts und zeigt Formen der "Astwerkgotik", der spätesten Spielart der Gotik. Ein Tafelbild um 1510 stellt die heilige Maria Magdalena dar, der möglicherweise die Klosterneuburger Chorfrauenkirche geweiht war. Den Abschluss bildet ein Altarbild von 1619 aus der ehemals inkorporierten Pfarre Stoitzendorf. Der Sammlungskurator Wolfgang Huber schreibt dazu: "In der Mitte öffnet sich die Aussicht auf Klosterneuburg mit dem Leopoldsberg im Hintergrund. Während Leopold die Stiftskirche vorweist, hält Agnes ein Modell der Chorfrauenkirche. Das Gemälde besitzt großen architekturhistorischen Wert, denn die beiden von Leopold und Agnes getragenen Kirchenmodelle geben die Bauzustände der Gebäude zur Entstehungszeit sehr genau wieder. Bilder wie dieses beweisen die traditionelle Verbindung der Markgräfin mit dem Chorfrauenstift."

hmw