Danielle Spera (Hg.): Stammgäste#
Danielle Spera (Hg.): Stammgäste. Jüdinnen und Juden am Semmering. Amalthea Verlag Wien. 254 S., ill., € 40,-
"Stammgäste" ist ein schönes, aber erschütterndes Buch. Schön in der Ausstattung und im Layout. Erschütternd, weil man weiß, wie es enden wird. Es geht darin weniger um den Semmering, als um die Menschen, die hier in Hotels oder eigenen Villen ihren Urlaub verbrachten. Unter ihnen waren, so wird geschätzt, ein Drittel Jüdinnen und Juden. Ihr tragisches Schicksal durch Ermordung, Vertreibung und Enteignung in der NS-Zeit wird umfassend dargestellt. Ein biographisches Glossar von Georg Gaugusch, dem Verfasser des vierteiligen Werkes "Wer einmal war" enthält die Details. Das Kapitel über antisemitische Agitation und nationalsozialistische Verfolgung bilde den Kern dieses Buches, betont die Herausgeberin.
"Stammgäste" ist das erste Buch, das jüdisches Leben am Semmering beleuchtet. "Die Publikation ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Dokumentation der Kulturgeschichte Niederösterreichs und auch der Geschichte der jüdischen Bevölkerung", schreibt Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner im Vorwort. Und: " Für ihre Herausgabe gibt es keine bessere Wahl als Dr. Danielle Spera." Die langjährige ORF-Moderatorin und Direktorin des Jüdischen Museums Wien "sagte mit großer Leidenschaft zu", wie sie schreibt. Neben eigenen Kapiteln versammelte sie Beiträge von 16 AutorInnen. Sie behandeln u. a. die Geschichte der Semmeringstraße, die Semmeringbahn, die Prominenz, jüdische Frauen, Kleidung für die Sommerfrische, Hotels und Pensionen, Gesundheitstourismus, Sport, Plakate, Villen und deren "Arisierungen".
Im einleitenden Essay schreibt Danielle Spera: "Dort und in den neu errichteten Hotels und Kuranstalten fand eine neue vermögende Klientel die entsprechende Kulisse zur Selbstdarstellung. … Die Gäste stammten aus den höchsten Kreisen der Wiener Gesellschaft, einschließlich Erzherzögen und Ministern, selbst das Kaiserpaar war zugegen. Später kamen die jüdischen Intellektuellen, Künstler, Schriftsteller, Philosophen, Mediziner und auch Sportler, die sich von der Region inspirieren ließen. Die glanzvollen Salons wurden zum Treffpunkt für Persönlichkeiten dieser Szene, von Peter Altenberg bis Berta Zuckerkandl. Viele Autoren ließen sich von der einzigartigen Aura beflügeln und hinterließen literarische Zeugnisse. Der Nobelkurort des Wiener Fin de Siècle wurde von jüdischen Stammgästen geprägt. Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Gustav Mahler, Franz Werfel, Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein, Eugenie Schwarzwald und viele andere."
Für den Ausbau des Ortes Semmering zum Kur- und Ferienort war die Semmeringbahn maßgeblich. Die erste Hochgebirgsbahn der Welt wurde 1854 eröffnet. In den folgenden Jahren verkaufte die Staatsbahn einen Teil ihrer Strecken, die Semmeringbahn ging an die private Südbahngesellschaft. Die einzige private Eisenbahngesellschaft, die bis zum Ende der Habsburgermonarchie bestand, wurde vom Bankhaus Rothschild finanziert. Die Südbahngesellschaft war der Auslöser für die touristische Erschließung der Region. 1882 eröffnete das bahneigene Semmering-Hotel. Der erste Restaurantpächter, Wilhelm Panhans, wurde 1888 mit seinem eigenen Grand Hotel zu dessen stärkster Konkurrenz. Schließlich zählte das "Panhans" mit 400 Betten zu den größten Hotels Europas. Die Pläne stammten von den, auf Theater spezialisierten, Stararchitekten Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer. 1930 erwarb der Unternehmer William D. Zimdin das Hotel und ließ es ausbauen. Er eröffnete ein Spielcasino und errichtete das Alpenstrandbad Semmering als freistehendes Hallenbad mit verschiebbaren Glaswänden.
Daran und an viele weitere Anekdoten erinnert sich im Buch der Arzt Fritz Rubin-Bittmann. Seine Eltern waren 1948 "vermutlich die ersten jüdischen Gäste, die den Semmering zur damaligen Zeit besuchten". Im Alpenstrandbad trafen sie Robert und Yvonne Stolz. "Der Semmering galt als der 'Balkon Wiens'. … Im Panhans hatten wir zwei miteinander verbundene Zimmer mit großen Balkonen … Vor dem Hotel gab es eine große Terrasse, die Treffpunkt für viele jüdische Familien war. … Man hörte Jiddisch, Hebräisch, Polnisch, Ungarisch und viele andere Sprachen. … Sie alle versuchten, ihren Kindern im Urlaub so viel Freude wie möglich zu bereiten. Man kannte einander aus Wien, aber am Semmering war man wie eine große Familie."
Mit journalistischem Fingerspitzengefühl hat die Herausgeberin zwölf prominente Stammgäste befragt, die als Kinder oder Jugendliche in der Nachkriegszeit dort die Ferien verbrachten. So auch ihr Ehemann, der Psychoanalytiker und Nationalratsabgeordnete Martin Engelberg: "Es war wie eine große gesellschaftliche Zusammenkunft. Das heißt, die jüdischen Familien, die sich aus Wien kannten, haben sich dann auch dort getroffen. … Der Hauptfokus lag darauf, wie die Damen der Familien gekleidet waren … Der Running Gag war, dass die beiden Lifte im Hotel ständig in Bewegung waren, weil sich die Damen dreimal täglich umgezogen haben. … Da gab es eine starke Gruppenbildung und Hierarchie. Als einmal eine Ehe zwischen einem Burschen aus der ungarisch-jüdischen und einem Mädchen aus der polnisch-jüdischen Clique geschlossen wurde, hat man fast von einer Mesalliance gesprochen. … Auf der Terrasse wurde am Nachmittag Karten gespielt, später gemeinsam zu Abend gegessen, da waren die Freunde meiner Eltern immer beieinander."
Das Zusammengehörigkeitsgefühl betont auch der Musiker Edek Bartz: "Es war ja ein ganz besonderer Ort, weil man wusste, dass man dort viele Freunde trifft, auch die Elterngeneration. Man wusste, da ist etwas los. Das war schon ein sehr kommunikativer Ort." Für die Jugendlichen besonders die Hütte des Jugend- und Sportklubs Hakoah. "Es war immer interessant, denn es gab heiße Diskussionen, also nicht nur Party und lustiges Beisammensein, sondern interessante Debatten zu vielen Themen. Man hatte sich viel zu sagen." Da auf der Hütte Burschen und Mädchen - offiziell streng getrennt - untergebracht waren, sahen es die meisten Eltern nicht gerne, dass sich ihre Töchter dort aufhielten.
Aus den Interviews lassen sich gewisse Hierarchien der Unterkünfte und ihrer Gäste herauslesen. So formuliert die Journalisten Anita Pollak: "Der Aufstieg auf den Semmering hat über Edlach begonnen, dann konnte man sich Reichenau leisten und schließlich den Kurort Semmering. Und auch dort gab es mehrere Stufen: Entweder hat man sich in der Villa Mary oder in der Villa Olga eine Wohnung gemietet und sich selbst versorgt. Die nächste Stufe war schon eine Pension mit Frühstück. Die Krönung war dann das Hotel Panhans oder das Südbahnhotel."
Die Urlaube ihrer Kindheit und Jugend blieben allen GesprächspartnerInnen in guter Erinnerung. Die Kulturmanagerin Marika Lichter bringt es auf den Punkt: "Es war nicht nur schön, es war herrlich."