Christian Wöckinger: Salzburg#
Christian Wöckinger: Salzburg. Porträt einer Stadt. Mit Texten von Eva Krallinger-Gruber und Matthias Gruber, Arnold Klaffenböck. Verlag Pustet Salzburg. 246 S. ill., € 38,-
" Mozart, Lederhosen, Festung – sind das unsere größten Stärken?", fragte Bundespräsident Alexander van der Bellen bei der Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen. Weiter meinte das Staatsoberhaupt: "Sind das wirklich wir? Oder sind wir nicht doch mehr als das?". Das Zitat aus dem neuesten Salzburg-Buch ist eines von vielen, die der Mozartstadt ambivalent gegenüberstehen. Die Texte spielen in dem faszinierenden Bildband nicht die Hauptrolle. Diese gebührt den mehr als 200 außergewöhnlichen Fotos, die Christian Wöckinger mit seiner Hasselblad in allen Stadtteilen aufgenommen hat. Die Auswahl umfasst klassische Postkartenmotive, wie die Sehenswürdigkeiten der Altstadt, ebenso wie unkonventionelle Blicke in wenig bekannten Vierteln.
Die Steingasse, einst Teil der Römerstraße nach Aquiläa, war später die Heimstätte vieler Handwerker, wie des Instrumentenbauers, der Mozarts erste Geige anfertigte, Hafner oder Weber. Der Bildausschnitt zeigt eine "Tändlerei", deren Rollbalken mit Street Art gestaltet sind, neben einer restaurierten historischen Fassade. Der Profi holt auch moderne Kunst und Architektur vor seine Kamera. Beispiele dafür sind etwa die Stadtbibliothek, der bevölkerungsreiche neue Stadtteil Lehen mit der futuristisch anmutenden Panoramabar, das architektonische Gesamtkunstwerk Hangar-7, das Uniklinikum, Infrastruktureinrichtungen wie der Bahnhof, Heizkraftwerk und Brücken, Fabriken und die "Gurken" im Wilhelm-Furtwängler-Park. Immer findet der Fotokünstler Blicke aus ungewöhnlichen Perspektiven und besondere Sichtachsen. Dadurch lassen sich auch bekannte Motive neu entdecken: Domplatz, Mirabellgarten, Residenzplatz, Kajetanerkirche, Festung Hohensalzburg, Franziskanerkirche, St. Peter, Schloss und Park Hellbrunn, Schloss Kleßheim, Glockenspiel, Getreidegasse, Schloss Leopoldskron und andere. Sehr eindrucksvoll sind die in verschiedenen Stimmungen aufgenommenen Panoramen u. a. Blick vom Plainberg Richtung Untersberg, Blick vom Basteiweg, Elisabethkai, Mozartsteg, Schloss Mönchstein, Nonntal, Blick vom Mönchsberg, Kapuzinerberg, Leopoldskroner Weiher. Der Verlag verspricht, dass auch Alteingesessene Überraschendes finden werden. Das könnte das Maibaumaufstellen bei Schloss Aigen sein, Details vom Augustinerbrau oder die Surfwelle am Almkanal.
Im Textteil bieten Eva Krallinger-Gruber und Matthias Gruber einen Essay mit dem Titel "Durch die Schatten der prunkvollen Fassaden ins Herz". Die Familie lebt in Salzburg. Für Eva Krallinger war die "Nicht-nur-Mozart-Stadt" eine "Liebe auf den zweiten Blick". Auch im Essay werden kritische Stimmen laut. "Viele Salzburgerinnen und Salzburger tun sich schwer mit ihrer Heimatstadt. Und das nicht erst seit gestern." Schon Mozart war an der später so oft nach ihm genannten Stadt und ihrem Erzbischof "gar nichts gelegen." Fast schon legendär ist der Hass des Schriftstellers Thomas Bernhards auf die Stadt seiner Jugend. Doch auch das "andere Salzburg" existiert, "das Salzburg der Jungen und Junggebliebenen. Das Salzburg der Romantiker, der Wilden, der Lauten, der Kreativen. … Mehr als anderswo muss man in Salzburg den Blick vom Offiziellen abwenden, den Kitsch übersehen und hinter die Fassaden blicken."
Das tut der Germanist und Kunsthistoriker Arnold Klaffenböck, wenn er das historische Fundament beleuchtet, auf dem diese "kaum vergleichbare Doppelwelt" (Stefan Zweig) beruht. Sein "Streifzug durch die Geschichte der Stadt Salzburg" beginnt in der Jungsteinzeit, als die ersten Siedler auf den felsigen Anhöhen Schutz vor Überschwemmungen und Feinden fanden. Das Iuvavum, die Römerstadt entstand am linken Ufer der Salzach auf dem Areal der heutigen Altstadt. "Das urbane und kulturelle Leben Iuvavums war hoch entwickelt," wie Mosaiken bezeugen. Im 5. Jahrhundert wirkte der heilige Severin in der spätantiken Stadt, in der sich eine Klosteranlage befand. Im 6. Jahrhundert nahmen die Bajuwaren den Salzburger Raum in Besitz. Die wirtschaftliche Basis bildete die Produktion von Salz im nahen Reichenhall in Oberbayern. 998 erhielt Salzburg das Markt- und Münzrecht. Im 11. Jahrhundert ließ Bischof Konrad I. den Dom erneuern, errichtete seine Residenz, den Almkanal für die Wasserversorgung und die Stadtmauer. Im 12. Jahrhundert entstand die Bürgerstadt an der Salzach. Seit dem 14. Jahrhundert trugen die Salzburger Erzbischöfe den Titel Fürsterzbischof und waren das geistliche und weltliche Oberhaupt des Erzstiftes Salzburg. Ihre Macht schwand im 15. Jahrhundert, während das bürgerliche Selbstbewusstsein wuchs – was zu Spannungen führte. Anfang des 16. Jahrhunderts hatte Salzburg 5000 Bewohner," 30 % des Handelsaufkommens mit Venedig lagen in den Händen hiesiger Kaufleute. Auch an Stoffen und Leinwand verdienten Salzburgs Händler gutes Geld." Nachdem sich die Lutherische Lehre ausgebreitet hatte, arbeiteten die Fürsterzbischöfe unerbittlich an der Gegenreformation.
"Die Prachtentfaltung Salzburgs kumulierte im 18. Jahrhundert unter jenen Fürsterzbischöfen, die Johann Bernhard Fischer von Erlach sowie Johann Lucas von Hildebrandt, zwei Star-Architekten ihrer Zeit, mit Bauprojekten betrauten." Sie machten die Stadt zum "Rom des Nordens". Kollegienkirche, Schloss Mirabell und Schloss Leopoldskron entstanden damals. Unter dem letzten Fürsterzbischof, Hieronymus Graf von Colloredo, wurde die Stadt zum Mittelpunkt der Aufklärung im süddeutschen Raum. Nach ihm wechselte die Zugehörigkeit der Stadt zwischen der Toskana, Bayern und Österreich. Nach dem Wiener Kongress wurde Salzburg endgültig österreichisch und 1849 ein selbstständiges Kronland. in der Gründerzeit waren Stadterweiterungen, Salzachregulierung und Bahnanschluss wegweisende Projekte. "Der Elan der späten Gründerzeit reichte über die Jahrhundertwende hinweg. Die Stadt versuchte die heimische Wirtschaft durch kommunale Investitionen und Aufträge zu stärken und investierte in die Infrastruktur oder in öffentliche Gebäude." Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Festspiele zum Motor für den Tourismus. "Was als Provisorium begann, entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte." Nach dem Zweiten Weltkrieg, Faschismus und Demokratie präsentiert sich Salzburg heute als "eine Stadt von Welt – traditionell und modern."